(c) Pester Lloyd / 08 - 2012
POLITIK 21.02.2012
Monetäre Folterkammer
Brüssel droht Ungarn offen mit Geldentzug
Bereits auf seiner Sitzung am Mittwoch will die Europäische Kommission dem Rat empfehlen, Ungarn mit finanziellen Sanktionen wegen seines "exzessiven
Haushaltsdefizits" zu belegen. Die erstmalige Anwendung dieses Instrumentes hat jedoch nicht nur fiskale sondern auch politische Ziele. Ungarn bleibt immer noch eine
realistische Chance, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, muss dazu aber mehr tun als ein bisschen Haushaltskosmetik.
Dass die Kommission dem Rat die Empfehlung der Geldsperre am Mittwoch übermitteln
will, ging zunächst aus Informationen hervor, die aus einem Vorbereitungstreffen der Kabinettschefs der EU-Kommissare an verschiedene Medien sickerten. Mittlerweile liegt
uns auch eine indirekte Bestätigung aus Brüsseler Kreisen vor.
Haushaltskommissar Olli Rehn erklärte schon vor einem Jahr Nationalwirtschaftsminister Matolcsy,
wohin die Reise geht...
Setzt der Rat die Empfehlung der Kommission um, werden ab 1. Januar 2013 die für
Ungarn vorgesehenen Mittel aus dem EU-Kohäsionsfonds eingefroren. 2011 erhielt Ungarn netto 4,37 Mrd. EUR von der EU, die Blockade würde rund 1,7 Mrd. EUR betreffen. Das
Vorgehen gegen Ungarn stellt eine Präzedenz dar, es handelt sich dabei um die erstmalige Anwendung der zweiten Stufe des Defizitverfahrens, die dritte und letzte wäre die
Verhängung von empfindlich hohen Geldstrafen.
Dass Ungarn - trotz Aufforderung und mehrmals verschobener Fristen - keine
ausreichenden Maßnahmen ergriffen hat, um sein strukturelles Haushaltsdefizit durch entsprechende Reformen in den Griff zu bekommen, entspricht den Tatsachen, ist aber
nur ein Grund für die erstmalige Anwendung des Zahlungsstopps. Das Mittel wird eindeutig auch angewandt, um den politischen Druck auf die ungarische Regierung hochzuhalten, im
Hinblick auf die Vertragsverletzungsverfahren und das allgemein rechtsstaatsgefährdende Verhalten, das sich in der umfangreichen neuen Gesetzgebung des Landes spiegelt, die von
der EU auf allen Ebenen geprüft wird.
Ungarn hat das Defizitverfahren jahrelang schleifen lassen, in der nicht ganz falschen
Annahme, dass es genauso lasch gehandhabt wird wie in der Vergangenheit und gegenüber anderen Defizitsündern. Da die EU aber über so gut wie keine wirksamen Instrumente
verfügt, um gegen allgemeine demokratiegefährdende Tendenzen bei Mitgliedsländern vorzugehen, entschloss man sich in Brüssel, die monetäre Folterkammer zu öffnen.
Eine Begründung für die Einleitung der zweiten Stufe des Defizitverfahrens war nicht
schwer zu finden. EU-Kommissar Rehn überführte den ungarischen Finanzminister Matolcsy vor kurzem öffentlich der Lüge, hinsichtlich des Defizits 2011, als dieser diverse
Einmaleffekte mit einrechnete und einfach behauptete, man habe die Zielvorgabe von unter 3% erreicht. Rehn rechnete vor, dass es letztlich über 6% gelegen hat, rechnet man
u.a. die zwangsverstaatlichten privaten Rentenbeiträge heraus. Statt struktureller Reformen hat die Orbán-Regierung in erster Linie Klientelpolitik betrieben (flat tax, Forex-Ablöse).
Wörtlich schrieb der Rat der EU-Finanzminister, Ecofin: "Ungarn hat es verabsäumt, die
Ratsempfehlungen umzusetzen. Ungarn hat das Defizitziel 2011 nur formal erfüllt, Dank der Einrechnung von Einmaleinnahmen von über 10% des BIP... Der Rat stellt fest, dass es
keine strukturelle und nachhaltige Korrektur des Defizits gegeben hat, daher ist Ungarns Antwort auf die Empfehlungen ungenügend..."
Trotz des sich zuziehenden Strickes hat Ungarn noch immer die Möglichkeit, den Kopf aus
der Schlinge zu ziehen. Bis Ende 2012 bleibt - auch bei einer Annahme der Kommissionempfehlung durch den Rat - Zeit, um die EU durch geeignete Maßnahmen
nachhaltiger Budgetgesundung von der Strafmaßnahme abzubringen. Dazu gehören ein faires und ausbalanciertes Steuerwesen, das die Finanzierungsbedürfnisse des Staates nicht
hinter die Bedienung von Gruppeninteressen stellt, strukturelle Veränderungen im öffentlichen Dienst, eine Reform des Gesundheitswesens sowie eines Generalplans für die
Sanierung der defizitären Staatsbetriebe (hier vor allem BKV und MÁV). Vor allem die Flat tax und die Zusammenlegung der einzelnen Sozialversicherungen (Rente, Arbeit,
Gesundheit) in einen zentralen Fonds, bilden die Haupthindernisse.
Außerdem kann der Rat der Regierungschef nochmals eine Fristverlängerung beschließen
oder nur eine teilweise Aussetzung der Zahlungen verhängen. Laufende und bereits genehmigte EU-Projekte sind von dem Mittelstopp im übrigen nicht betroffen.
Ungarn hatte am 17.2., fristgerecht, seine mehr als einhundert Seiten umfassende
Antwort auf die Bedenken der EU-Kommission übersandt, dabei aber nur Teilzugeständnisse gemacht. Vor allem bei der Frage des Pensionsalters der Richter bleibt
man stur, Regierungssprecher Giro-Szász wiederholte gestern nochmals, dass dies alles eine Frage einer "allgemeinen Pensionsreform" sei. Die EU beunruhigt jedoch gar nicht die
Altersgrenze an sich, sondern die Frage, ob die Auswahl der hunderten notwendigen neuen Richter die Unabhängigkeit der Justiz gewährt. Die neuen Strukturen und Personalien der
dafür zuständigen Richterkammer sprechen dagegen. Bei den anderen Punkten, Datenschutz und Nationalbank ist das Entgegenkommen scheinbar größer, allein die
formalen gesetzlichen Änderungen, die im Zuge dessen folgen werden, sagen nicht viel über die tatsächliche Gewährleistung der politischen Unabhängigkeit beider Institutionen
aus. Diese ist schließlich auch von Personen und dem politischen Willen der Regierung abhängig.
Hinsichtlich eines Termins für die Wiederaufnahme von offiziellen Verhandlungen mit dem
IWF über einen Stand-by-Kredit oder, wie es im ungarischen Neusprech heißt: eines "vertrauensteigernden Sicherheitsnetzes für den Fall, dass die Euro-Zone ihre Krise nicht
lösen kann", glaubt die Regierung - offiziell - an Anfang bis Mitte März, was allerdings voraussetzen würde, dass bis dahin eine Einigung mit der EU - zumindest - hinsichtlich der
drei Vertragsverletzungsverfahren erzielt wurde. Realisten sehen die Gespräche daher eher in den späteren April verlagert, eine Einigung nicht vor Ende Mai, vorausgesetzt Ungarn
kooperiert nun bei möglichst allen offenen Fragen mit der EU, was als unwahrscheinlich anzunehmen ist.
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red.
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