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(c) Pester Lloyd / 08 - 2012    KULTUR 24.02.2012

 

Petőfi ohne Heiligenschein

Drei Literaten in einer Innenstadt-Perle in Budapest

Im Petőfi-Literaturmseum gibt es derzeit drei Ausstellungen zur ungarischen Literaturgeschichte: die Hauptausstellung über Sándor Petőfi, sowie zwei kleinere über Arpád Tóth und Géza Gárdonyi. Das Museum ist eine kleine Perle mitten in der Pester Innenstadt, nicht mal fünf Gehminuten von der touristischen Váci utca entfernt und unser Kulturtipp der Woche.

Das Museum ist klein, aber fein. Je nachdem wieviel man sich anschaut, kann man in einer Stunde durchkommen. In sechs Räumen im schmucken Károlyi Palais wird das Leben des ungarischen Nationaldichters Sándor Petőfi beleuchtet. Den Gestaltern des Museums geht es darum die „Dilemma im Leben von Petőfi“ und die verschiedenen Rollen, die er eingenommen hat, zu beleuchten. Dabei verzichtet das Museum auf eine plumpe Heroisierung oder eine überzogen nationalistische Deutung. So wird beispielsweise auch der slowakische Ursprung des Dichters herausgestellt, schließlich ist Petőfi mit dem Namen Petrovics zur Welt gekommen.

Dieser Umgang mit dem Dichter ist angesichts der allgenegenwärtigen Vereinnahmungen durch die Politik eine Wohltat des Museums. Petőfi, der die Revolution gegen Habsburg 1848 in Worte kleidete, fiel in den Abwehrkämpfen des Antihabsburgeraufstandes gegen zaristische Truppen, denen die ungarische Befreiungsarmee 1849 bei Világos endgültig unterlag. Er war zuletzt Adjudant beim polnischen General Josef Bem und ist nach der Schlacht bei Schäßburg (Sighisoara, Segesvár) auf einem Schlachtfeld verschollen, er wurde nur 27 Jahre alt.

Alles Umstände, die zu einer so romantischen wie heldischen Verklärung geradezu einladen, in beidem sind die Ungarn Spezialisten. Aktueller Höhepunkt der Erbschändung war jedoch die Rezitation eines Petőfi-Gedichtes auf einer Regierungsveranstaltung am Nationalfeiertag des 15. März 2011, als man ausgerechnet jene Zeilen ausließ, die sich mit der Pressefreiheit befassten. Der nächste 15.3. steht vor der Tür...

Je nach Uhrzeit hat man das Museum ganz für sich allein oder teilt es mit dem Getümmel einiger Schulklassen, die sich an interaktiven Gimmicks erfreuen. Es gibt beispielsweise im dritten Raum, in dem das Schauspielerleben Petőfis vorgestellt wird, eine kleine Bühne, mit nachgeahmter Schauspielerkleidung, die man anprobieren kann. Die Petőfi-Ausstellung ist modern eingerichtet und auf dem neuesten museographischen Stand: es gibt viele Texte, Originalgegenstände Petőfis, Videos, Gedichte zum anhören und interaktive Nachbauten. Schade ist jedoch, dass nicht alles auf Englisch übersetzt wurde. Man kann zwar so Petőfis Verse im Original bewundern, jedoch erschließt sich einem nicht-ungarisch sprechenden selbstredend nicht unbedingt der Sinn der Verse, eine Vorbereitung wäre daher angebracht.

Die Ausstellung ist nach einer kurzen Einführung chronologisch aufgebaut. Von Petőfis Kind- und Schulzeit, geht es über seine Wander-, Dichter und Revoluzzerjahre bis zu seinem frühen Tod. Am Ende wird eine etwas schmal ausgefallene Einordnung vorgenommen. Ein kleines Highlight für Deutschsprachige ist ein Original-Militär-Dokument auf Deutsch in dem Petőfi wie folgt beschrieben wird: „Besondere Kennzeichen: Pflegt mit entblößtem Haupt zu gehen. Nach deutscher Mode gekleidet. Mund proportioniert.“

Wer Zeit und Lust hat, kann man am Ende der Ausstellung für einen kleinen Aufpreis noch die kleinen Ausstellungen über Árpád Tóth und Géza Gárdonyi besuchen. In diesen beiden kleinen Ausstellungen gibt es jedoch keine Erklärungen in englischer Sprache mehr. Die zwei Räume über Tóth fokussieren sich auf das kurze Leben des Dichters und maßgeblichen Literaturübersetzers, zu Wort kommt per Video unter anderem seine Tochter. Tóth war im Umkreis der legendären Literaturgruppe Nyugat (Westen) tätig, ihm verdanken die Ungarn neben vielen existentialistischen Gedichten die ersten qualitätvollen Übersetzungen der Werke Oscar Wildes, von Baudelaire, Flaubert, Maupassant und Tschechow.

Die Ausstellung über Géza Gárdonyi zeigt das andere Ende der Literatur, fokussiert es sich doch besonders im zweiten Teil auf die Hauptwerke des Schriftstellers Egri csillagok (Sterne von Eger), A láthatatlan ember (Ich war den Hunnen untertan) und Isten rabjai (Die Gefangenen Gottes). Im Zusammenhang mit dem Buch „Sterne von Eger“ welches die heldenhafte Verteidigung der Burg Eger gegen die osmanischen Eroberer beschreibt (und eine Standardschullektüre in Ungarn ist, sowie eines der populärsten Bücher in Ungarn) wird eine Videosimulation der Stadt mit englischem Untertitel gezeigt an deren Ende ein wenig martialisch geschrieben steht „When Eger falls, shall it be the end of christian europe?"

Legende und Verklärung, wie sie auch das Werk Gárdonyi kennzeichnen, sind auch die Hauptinstrumente des ungarischen Geschichtsunterrichts. Diese Ausstellung liefert daher eine kleine Denkhilfe, warum die Dinge im Lande so stehen wie sie stehen und wie ein Satz in die ungarische Verfassung des Jahres 2012 gelangen konnte wie: "Wir sind stolz darauf, dass unser Volk Jahrhunderte hindurch Europa in Kämpfen verteidigt hat...

Erwähnenswert sind noch die äußerst freundlichen und zuvorkommenden Museumsangestellten, was nicht überall die neueste Mode in Budapester Museen ist, die einem unaufgefordert auf bestimmte Aspekte hinweisen oder beispielsweise den Ton bei den Videos lauter stellen.

Philipp Karl

Géza Gárdonyi – Ausstellung (100 – 200 Forint) 1.12.2011 – 2.10.2012
Árpád Tóth – Ausstellung (100 – 200 Forint) September 2011 – März 2012
Petőfi – Ausstellung (300 – 600 Forint) Dauerausstellung
Preis für alle drei Ausstellungen 400 Forint reduziert und 800 normal (1,5 – 2,5 €), wenn man Fotos machen möchte zahlt man 1500 Forint (5 €)

Petőfi Irodalmi Múzeum.
Károlyi Mihaly utca 16
Dienstag bis Sonntag, 10 . 18 Uhr
www.pim.hu

 

 

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