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(c) Pester Lloyd / 08 - 2012      POLITIK  21.02.2012

 

Versöhnung in Zeiten des Wahlkampfes

Ungarn und die Slowakei steuern auf neue Konflikte zu

Die amtierende slowakische Premierministerin, Iveta Radicová, versucht auf Ungarn und die ungarische Minderheit im eigenen Land zuzugehen und bedauert die "Revanche" ihres Vorgängers für das neue ungarische Staatsbürgerschaftsgesetz. Der Wahlkampf und der erwartete Sieg des "Sozialdemokraten" Robert Fico, dem kein nationalistischer Ausrutscher zu platt ist, lassen schlimmes für die fragilen Beziehungen beider Länder erahnen. Den auch Orbáns "Nationenpolitik" ist alles andere als hilfreich.

Orbán und Radicová tauschen Höflichkeiten aus

In einem Radiointerview am vergangenen Wochenende - und wenige Wochen vor den slowakischen Parlamentswahlen - sprach die noch amtierende slowakische Premierministerin Iveta Radicová über Ungarns Gesetz zur doppelten Staatsbürgerschaft und die legislative Antwort des damaligen slowakischen Premiers Robert Fico. Sie bezeichnete beides als bedauerlich und unglücklich. Sie setzt damit ihre Entspannungspolitik mit Ungarn fort, die ihr, aufgrund der Fragilität ihrer mittlerweile geplatzten Vier-Parteien-Koalition nur zum Teil gelungen ist. Auch war Premier Orbán, durch die einseitige Bevorzung der radikal-nationalistischen Kräfte bei den Slowakungarn, kein hilfreicher Partner.

Alttestamentarischer Schlagabtausch

Das ungarische Gesetz von 2010 sieht vor, dass jeder "Ungar nach Blutslinie" künftig die ungarische Staatsangehörigkeit nach einem vereinfachten Verfahren erhalten kann, auch wenn er keinen Wohnsitz in Ungarn hat und auch nicht in Ungarn geboren ist. Es bedarf der Abstammung, der Sprache und des Bekenntnisses. Schon einmal hatte es den Versuch gegeben, den im Ausland lebenden Ungarn die doppelte Staatsangehörigkeit zu geben. Der ehemalige und derzeitige Ministerpräsident Viktor Orbán unterstützte 2004 eine Initiative zur doppelten Staatsbürgerschaft, die jedoch wirkungslos blieb. Am 1. Januar 2011 erfüllte sich Orbán seinen Wunsch selbst.

Die Slowakei hatte 2010 Radicovás Auffassung nach nicht die passende Lösung parat. Die damalige Regierung des Populisten Robert Fico (mit den noch übleren Hetzern der SNS als Koalitionspartner) antworte nach dem Prinzip „Gleiches mit Gleichem vergelten“. Auf den indirekten Eingriff in slowakische Hoheitsrechte (Souveränität über die eigenen Bürger und Vergabe der Staatsbürgerschaft) den das ungarische Gesetz für die Kritiker darstellt, reagierte Fico ebenfalls mit einer Provokation.

Am selben Tag, an dem die Ungarn über ihr Staatsbürgerschaftsgesetz abstimmten, hatte das Parlament der Slowakei seinerseits einem Sondergesetz zugestimmt. Danach sollten alle Personen automatisch die slowakische Staatsbürgerschaft verlieren, die «freiwillig die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates» annehmen. Diese legislativen Retourkutschen sorgten für einen Tiefpunkt in den ungarisch-slowakischen Beziehungen und wurden noch verstärkt als klar wurde, dass Auslandsungarn auch das aktive Wahlrecht erhalten sollten.

Menschliche Schicksale politisch ausgeschlachtet

Jüngst gab der Fall einer 99 Jahre alten Frau den Nationalisten auf beiden Seiten erneut Grund zum Aufruhr. Der Dame aus Rimavska Sobotá wurde nach Erteilung der ungarischen Staatsbürgerschaft ihre slowakische Staatsbürgerschaft entzogen. Mit Hilfe ihrer Familie und eines Anwalts möchte sie sich nun an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden. Die ungarische Politik schlachtet solche Fälle dankbar aus: Zsuszanna Répas, Staatssekretärin im ungarischen Außenministerium ließ mitteilen, dass die Regierung ihr „jede rechtliche Hilfe zuteil werden lasse“. Auf der anderen Seite stellt sich auch die Frage, wieweit eine Bürokratie eigentlich gesunken sein muss, um einer alten Frau im heutigen Europa so etwas anzutun.

Die Beziehungen der beiden Staaten sind seit der slowakischen Staatsgründung wegen der ethnischen Minderheiten auf beiden Donauseiten oftmals schwierig und hatten vor zwei Jahren einen neuen Tiefpunkt erreicht. Dann wurde jedoch mit Iveta Radicová eine weniger aggressiv auftretende, gemäßigte Politikerin Premierministerin der Slowakei. Außerdem hatten sowohl die Slowakei als auch Ungarn mit der Wirtschaft- und Finanzkrise zu kämpfen und somit de facto andere Sorgen als Nachbarschaftsstreit.

Fico auf dem Rückweg zur Macht

Im Radiointerview sagte Radicová, dass es 2010 angebracht gewesen wäre „bilaterale Gespräche nach internationalen Rechtsnormen“ durchzuführen, um einen Konsens über die Art und Weise der Erlangung der Staatsbürgerschaft herbeizuführen. Besonders in Hinblick auf die Tatsache, dass nach jüngsten Umfragen der offen mit Nationalismen hantierende Fico und seine Partei SMER eine deutliche Mehrheit bei den Wahlen am 10. März erlangen werden, ist die Einsicht Radicovás zwar schön, aber wirklungslos und darf durchaus - auch - als Wahltaktik verstanden werden, um den Slowakoungarn ein Angebot zu machen. Die ehemalige Regierungspartei, die Mitte-Rechts-Partei SDKÚ–DS, kämpft bereits mit der 5 %-Hürde. Hoffnung bereitet nur, dass Ficos SMER diesmal einen anderen Koaltionspartner ins Boot nimmt, weil die SNS zu schwach geworden ist, dies könnte dämpfend auf Fico wirke.

Orbán erweist seinen Blutsbrüdern einen Bärendienst

Auch die multiethnische Most-Híd, die eigentlich der Idealpartner für die Lösung des Problems wäre, hat es nicht leicht, sie wird von Orbáns Fidesz in Budapest nicht als "legitime" Vertretung der Slowakungarn betrachtet, weil sie nicht radikal genug ist. Orbán schnitt die Partei öffentlich und verweigerte sogar ein Treffen, als diese Teil der Regierungskoalition waren. Er spielt damit den slowakischen Nationalisten direkt in die Hände, aus dem Kalkül heraus, die eigenen Anhänger zu mobilisieren und seine Macht- und Wählerbasis auch im Ausland zu vergrößern, schließlich sollen die Auslandsungarn in Zukunft ein Stimmrecht bei Wahlen in Ungarn bekommen, was - mehr noch als der Pass - als illegitime Beeinflussung der staatsbürgerlichen Loyalität gesehen werden muss - übrigens in beiden Ländern.

 

Dass er seinen "Blutsbrüdern", u.a. auch in Rumänien und Serbien damit einen Bärendienst erweist, weil er ihr seit Jahrhzehnten erkämpftes Standing und mühsam errungene Minderheitenrechte gefährdert, interessiert die Machtstrategen an der Donau dabei wenig. Auch in Rumänien wird die Székler Partei des Nationalradikalen László Tökés der an der Regierung beteiligten Ungarnpartei bevorzugt und großzügig gesponsert.

Es ist zu befürchten, dass ein Wahlsieg und eine Regierungsübernahme Ficos – der einer anderen Umfrage zufolge der beliebteste Politiker in der Slowakei ist - zu einem erneuten Aufwallen des Nationalismus hüben wie drüben führen wird. Insbesondere da die politische Stimmung in Ungarn in den Tagen um den Nationalfeiertag am 15. März sowieso recht aufgeheizt und voller nationalistischer Töne ist.

Philipp Karl, red.

Mehr zum Thema Ungarn-Slowakei und weiterführende Links zur doppelten Staatsbürgeschaft und dem Wahlrecht für Auslandsungarn

Retourkutschen auf Probefahrt - November 2011
Wieder nationalistischer Kleinkrieg zwischen Ungarn und der Slowakei
http://www.pesterlloyd.net/2011_47/47retourkutsche/47retourkutsche.html

Die Populismus-Spirale - Januar 2011
Andauernde Spannungen zwischen Ungarn und der Slowakei
http://www.pesterlloyd.net/2011_01/01ungarnslowakei/01ungarnslowakei.html

Außenpolitisches Minenfeld - April 2011
Chancen und Risiken eines neuen Wahlrechts für Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/2011_16/16wahlrecht/16wahlrecht.html

Weitere Beiträge zur Nachbarschaftspolitik im dazugehörigen Ressort

 

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