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Ave, Panonnien!

Ein Besuch in Budapests Römerstadt Aquincum

Römerlatschen, umgehangene Bettlaken, Lorbeerkranz auf dem Kopf. Die Vorstellung einer römischen Siedlung fällt ein paar Meter von der stark befahrenen M11 reichlich schwer. Doch nach ein paar Minuten Umherwandelns in den Ruinengärten von Aquincum ist sie zu spüren: Die Antike.

Willkommen in der Vergangenheit: Der Name „Aquincum“ ist keltischen Ursprungs und bedeutet: „ergiebiges Wasser“. Das deutet zum einen darauf hin, dass schon die Römer die Mineralquellen Ungarns kannten und sie nutzten: Bis heute legten Archäologen bei Ausgrabungen 21 römische Bäder frei. Zum anderen bekam die Stadt den Namen „Aquincum“, weil sie direkt am Wasser, an der Donau, lag. Und das hatte militärische Gründe. Dazu muss zunächst die Bedeutung des Wortes „limes“ geklärt werden. Ursprünglich stand das Wort für befestigte, immer auf den Feind zuführende Straßen. Im Lauf der Zeit erfuhr der Begriff eine Wandlung und Erweiterung und bezeichnete endlich die von römischen Truppen besetzte Grenzlinie. Der Limes war also die Grenze des römischen Imperiums. Diese Grenze verlief im 1. Jahrhundert entlang der Donau.

Zu Beginn des 1. Jahrhunderts besetzte Rom schrittweise den Boden der späteren Provinz Pannonia Inferior. Mehr als 400 Jahre – vom 1. bis ins 5. Jahrhundert - war die Siedlung Aquincum Teil des römischen Reiches. Im Jahr 106, vor genau 1900 Jahren, wurde Aquincum Hauptstadt der Provinz Pannonia Inferior. Die Lage an der römischen Reichsgrenze bestimmte den Charakter der Stadt. Sie bestand aus Siedlungsteilen unterschiedlicher Rechtsstellung.

Zivilstadt

Municipium, später Colonia, ist die Zivilstadt, deren Überreste heute im Ruinengarten von Aquincum zu sehen sind. Die Ausgrabungen sind nur ein Drittel der ehemaligen Zivilstadt. Sie erhielt im Jahr 124 das Stadtrecht einer  Municipium (Bundesstadt), im Jahr 194 folgte die Beförderung zur Colonia (geplant angelegte Siedlung außerhalb Roms). Es ist fast ein kleines Pompeji, das sich auf dem Gebiet des heutigen Óbuda auftut. Geordnete Straßen zwischen Häuserreihen, Bäder, Markthallen, Gerichtsgebäude, ein kleines Freilichttheater. Fast sind sie zu sehen, die Männer, die ihre Waren in der Geschäftsstraße feilbieten und Handwerker, die ihrer Arbeit nachgehen. Fast sind sie zu riechen, die Gewürze, das frische Obst und Gemüse, das der Obsthändler anbietet und fast sind sie zu hören, die Marktschreier, die frischen Fisch und Fleisch anpreisen. Leider halt nur fast.

Vom Leben in Aquincum sind nur noch Ruinen übrig, doch ist das hohe Niveau der Stadtkultur zu erkennen: Wasserleitungen, Kanalnetze, mit Steinplatten gepflasterte Straßen, mit Wasser gespülte Toiletten, mit Fließwasser versehene Privathäuser, verglaste Fenster, mit Mosaiken und Malereien verzierte Gebäude. Außerdem stand den Einwohnern der Zivilstadt ein Amphitheater zur Verfügung.

Legionslager

Castra legionis – das Legionslager – ist ein anderer Siedlungsteil von Aquincum und liegt ein paar Kilometer südlich der Zivilstadt. Die Überreste wurden
im Zentrum von Óbuda, im Umkreis des heutigen Flórián tér freigelegt. Die Trennung von Militär- und Zivilstadt hatte rechtliche Gründe. Keine Siedlung, die auf militärischem Territorium lag und somit der Militärverwaltung unterstand, durfte das Stadtrecht erhalten. Das Lager war mit hohen Mauern, Eck- und Zwischentürmen und einem Grabensystem umgeben. Im Lager konnten Archäologen Mannschaftsunterkünfte, Lagerräume, einen Appellplatz, Wach- und Schreibstuben, Arrestzellen und Archivräume freilegen. Das wichtigste Gebäude des Legionslagers war der Statthalterpalast, dessen Ruinen heute leider nicht mehr erhalten sind. Neben dem Statthalter lebten hier auch sein Gefolge von Beamten, Juristen, Technikern, Verwaltungs- und Wirtschaftsfachleuten.

Militärbad und Lagerstadt

Das römische Militärbad, dessen Reste 1778 von István Schönwiesner entdeckt und ausgegraben wurden, stellt die Anfänge der Budapester Badekultur dar. Die Badeanlage gehörte zum Legionslager und bestand aus Heiß-, Warm- und Kaltbecken und war von einer Säulenhalle überdacht. Aber es gab auch Freibecken. Mosaike, Springbrunnen, Skulpturen und Steinbilder zierten das Bad. Heute kann das restaurierte „Thermae maiores“ besichtigt werden.

Rings um die Mauern des Legionslagers entstand auf militärischem Territorium eine Siedlung - canabae – die Lagerstadt. Hier lebten die Angehörigen der Soldaten, Heereslieferanten und Kaufleute. Ziegeleien, Töpfereien, Glashütten, Gerbereien und viele andere Handwerksbetriebe verrichteten hier ihr Tagwerk.

Der Marktplatz und der Donauhafen gehörten ebenfalls zum römischen Stadtbild. Den wohl bedeutendsten Fund aus der Lagerstadt stellt das Amphitheater dar. In den vergangenen Jahrhunderten gab es Anlass zu vielerlei Spekulationen. In seiner Chronik schreibt ein königlicher Anonymus-Schreiber, dass der Heerführer Árpád in den Ruinen des römischen Freilichttheaters Rast machte und staunend die Reste einer Burg betrachtete, die seiner Meinung nach Beleda, der Bruder und Mitregent von Hunnenkönig Attila, gebaut haben musste. Erst Ausgrabungen aus dem 20. Jahrhundert beseitigten diesen Irrtum und bestätigten den Bau aus der Römerzeit.

Das Amphitheater der Lagerstadt, das wesentlich größer ist als das Amphitheater der Zivilstadt, diente mit Gladiatorenkämpfen und Tierhatzen der Unterhaltung der hier stationierten Legionäre. Die Tribünen boten 12.000 Gästen Platz. Ebenfalls ein besonderer Fund aus römischer Zeit ist die Herkules Villa, die heute auf der Meggyfa utca zu besichtigen ist. Sie diente vermutlich einem betuchten Römer als Domizil. Prachtvolle Mosaike mit Szenen der Herkules-Taten und der Dionysos-Sage gaben dem Haus seinen Namen.

An bedrohten Grenzen

Die Einwohnerzahl von Aquincum wird zu Beginn des 3. Jahrhunderts, als das wirtschaftliche Leben seinen Höhepunkt erreicht hatte, auf 50.000 Menschen geschätzt. Als Provinzhauptstadt war sie vom Beginn des 2. Jahrhunderts an bis zum Ende der Römischen Herrschaft ein Ort von großer Bedeutung und unterschied sich in zweierlei Hinsicht von anderen römischen Städten: Einmal besaß die Stadt auffallend viele öffentliche Thermen und Bäder. Zum anderen ergab sich aus der Lage der Stadt an der Reichsgrenze ein bedeutender Charakterzug: Das Leben war rege und die Einwohnerschaft ethnisch gemischt, was zu einer offenen Gesellschaft führte. In die Grenzstadt strömte auch mehr Geld als in das Innere der Provinz, denn der pannonische Limes schützte ja Italien und damit reiche norditalienische Städte. Für die Sicherheit der Grenzzonen bezahlte Rom einen höheren Sold.

Seit dem 3. Jahrhundert, mit Beginn der Völkerwanderung, wurden die Grenzen des römischen Imperiums immer öfter bedroht. Der Ansturm der Barbaren um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert brachte Aquincum die Aufgabe der Grenzverteidigung bis zum Zusammenbruch des römischen Reiches ein. In den dreißiger Jahren des 5. Jahrhunderts war das Imperium nicht mehr imstande, die von allen Seiten gegen seine Grenzen anstürmenden Feinde aufzuhalten und verzichtete in einem mit König Attila geschlossenen Vertrag zugunsten der Hunnen auf Pannonien. Bis zum Tod ihres Königs Attila ließen sich die Hunnen in der Stadt Aquincum nieder. In den folgenden Jahrhunderten verlor das Gebiet an Bedeutung und geriet in Vergessenheit.

Die früheste Erwähnung römischer Spuren, wenn auch unbewusst, stammt aus dem 12. Jahrhundert von eben jenem unbekannten Chronisten, der die Funde des römischen Militär-Amphitheaters verewigte. Die lückenhaften Kenntnisse über längst vergangene Zeiten ließen die Bedeutung der Funde im Dunkeln. Die Wurzeln der ungarischen Geschichte wurden lange in der Hunnenzeit gesucht. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden römische Funde meist unter falschem Namen beschrieben. Viel verdankt die Limesforschung deutschen und englischen Berichten aus dem 16. und 17. Jahrhundert, denn mancher Reisende fand es wert, die deutlichen Spuren der Vergangenheit in Notizen und Skizzen festzuhalten. Von besonderer Bedeutung sind die Arbeiten des Grafen A. L. Marsigli, der im 17. und 18. Jahrhundert als Ingenieur beauftragt wurde, die Militäranlagen zu vermessen.

In der Renaissance fand das zunehmende Interesse an römischen Altertümern in Literatur, Geschichtsschreibung und Kartographie ihren Niederschlag. Weitere Fortschritte für die Limesforschung brachten militärische Landesforschungen im 18. Jahrhundert. Die ersten archäologischen Publikationen Ungarns entstanden Ende des 18. Jahrhunderts. 1777 kam der Fachgelehrte István Schönwiesner, der Vater der ungarischen Archäologie, nach Buda und schon ein Jahr später stellte er die neu gefundenen Thermen des Legionslagers in einer wissenschaftlichen Publikation vor. Viele Historiker und Archäologen machten sich um die Limesforschung verdient und trugen dazu bei, dass wir heute ein Bild der eigenen römischen Vergangenheit haben.

Das Aquincum Museum feiert in diesem Jahr das 1900-jährige Jubiläum der Wahl von Aquincum zur Provinzhauptstadt. Mit dem Feiern von antiken Festtagen wie dem Venusfest, Theaterabenden und Gladiatorenkämpfen, wird Aquincum einmal mehr zum Leben erweckt. Salve!

Tanja Kirsten

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