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(c) Pester Lloyd / 2007 MUSEEN & GALERIEN
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Vom Rechtsverlust zum Völkermord

Das Holocaust-Zentrum in Budapest

Es bedurfte 60 Jahre, bis nach der Deportation von rund 600.000 und dem Tod von ca. 450.000 ungarischen Bürgern jüdischer und Roma-Abstammung in Budapest das Holocaust Dokumentationszentrum mit Gedenkstätte eröffnet wurde. Die Idee kam 1999 von der konservativen Orbán-Regierung, ihre Verwirklichung dauerte jedoch bis in die Zeit des Regierungswechsels 2004 an. Die Lösung der so wichtigen Aufgabe war und ist umstritten, eine lobenswerte Idee lief – wie so oft in Ungarn – schief.

Im Gegensatz etwa zu Deutschland, wo das Mahnmal in der Mitte der Hauptstadt steht, ist das Pendant in Budapest nicht leicht zu finden: eine verlassene Synagoge in einer Nebengasse in einem der weniger schönen Bezirke von Pest wurde für diesen Zweck adaptiert. Daneben errichtete man auf engstem Raum einen architektonisch gelungenen Ausstellungsund Bürotrakt. Dass die Gedenkstätte in der Páva utca mit Massenverkehrsmitteln nur umständlich, mit dem Auto oder dem Bus noch schwieriger zu erreichen ist, war das kleinere Übel. Wichtig war allein, einen Ort gefunden zu haben – ein wirkliches Konzept zur Nutzung oder die Idee einer ständigen Ausstellung lagen jedoch nicht vor.

Provisorische Ausstellungen überbrückten die ersten zwei Jahre, die inklusive der vielen ausländischen Besucher nur 100.000 Gäste anlockten. Wer für den Zustand verantwortlich ist, darüber streiten sich jüdische und nicht-jüdische Intellektuelle bis heute in den Medien.

Abstieg in den Hades

Nun scheint eine Lösung in Sicht: kürzlich wurde im Gedenkzentrum eine ständige Ausstellung eröffnet; eine gelungene Arbeit namhafter Historiker, die als Experten engagiert wurden und mit Fachleuten des Nationalmuseums und der Studios, die mit den Methoden der modernen Ausstellungstechnik operieren, verwirklicht wurde. Die Reise in die Vergangenheit beginnt mit dem Abstieg in den Hades, der erlebten Unterwelt: die Ausstellung ist eine Welt dunkler, unterirdischer Korridore. Trocken und sachlich möchte man informieren und dies mit unwiderlegbaren Beweisen in Form von Filmen, Fotos und Dokumenten belegen. Die Geschichte beginnt im Jahr 1920, als das erste Judengesetz im Europa des 20. Jahrhundert, das die Zahl der Juden an den Hochschulen begrenzte, in Ungarn in Kraft trat. Weitere folgten ab 1938. Die jüdischen Staatsbürger des Königreichs Ungarn wurden zuerst ihrer Rechte, dann ihres Eigentums, danach ihrer Freiheit und ihrer Menschenwürde beraubt.

Danach verloren nahezu 600.000 Männer, Frauen und Kinder sowie Zehntausende Roma ihr Leben – in den Gaskammern, beim Arbeitsdienst, bei Todesmärschen, als Sklavenarbeiter oder als Opfer wütender Nazis in Budapest. Bis zur deutschen Besetzung des Landes im März 1944 wurden sie zwar gedemütigt und ausgeraubt, doch starben noch verhältnismäßig wenig. Danach gelang Eichmann und Co. mit tatkräftiger Hilfe der ungarischen Behörden der Massenmord.

Das alles ist kurz und bündig in der Ausstellung (auch in englischer Sprache) zu erfahren. Man sieht Plakate, Zeitungen, Fotos, Filme und Verordnungen des Staates aus diesen Zeiten. Parallel wird die Geschichte anhand des Schicksals jüdischer Familien personalisiert: reiche Großbürger, Ärzte, Kleinexistenzen, Schriftsteller, Händler und Sport-Champions. Allsamt Opfer, es gab nur wenige Überlebende. Die Mehrheit der Juden des Landes hielt sich für Ungarn, für Patrioten. Sie waren gehorsame Staatsbürger, die pflichtbewusst in den Arbeitsdienst zogen und in die Gettos marschierten, die Vorstationen der Vernichtung.

Die Ausstellung versucht, die Wurzeln des Antisemitismus aufzuzeigen. Das Judentum emanzipierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollkommen, die Anzahl der Juden machte in der ungarischen Reichshälfte um die Jahrhundertwende 20 Prozent der Bevölkerung aus. In ihren Reihen gab es kaum Staatsbeamte, Offiziere oder Hochschulprofessoren, aber fast jeder zweite Anwalt oder jeder dritte Journalist war Jude, ebenso viele Künstler und Schauspieler. All das wurde in der Zwischenkriegszeit genau gezählt und man befürchtete den Untergang des Ungarntums durch „Eindringlinge“, die übrigens auch für den Verlust Großungarns 1918 verantwortlich gemacht wurden – als ob die kurzlebige, auch von vielen Juden geführte Räterepublik 1919 dafür verantwortlich gemacht werden könnte.

Konfrontation mit der Vergangenheit

Die Mehrheit der Ungarn nahm das Schicksal der Juden eher gleichgültig zur Kenntnis. Viele konnten sich durch die „Arisierungen“ bereichern, ist auf der Ausstellung zu lesen, oder, dass es in Ungarn im Gegensatz zu Rumänien und Litauen keine Pogrome gab. Traurige Tatsache ist auch, dass sich die christlichen Kirchen kein einziges Mal zu einem gemeinsamen Protest gegen die Deportationen durchringen konnten. Sie versuchten aber, konvertierten Juden zu helfen. Daneben gab es katholische und protestantische Bischöfe, Geistliche und Ordensschwestern, die das Leben Tausender Juden, darunter das zahlreicher Kinder, retteten. In der Synagoge, dem Raum für Erinnerung, sind auch die Namen der ausländischen Menschenretter verewigt, denen Zehntausende Juden ihr Leben zu verdanken haben, so beispielsweise der Italiener Giorgio Perlasca, die Schweizer Carl Lutz und Friedrich Born oder der Schwede Raoul Wallenberg.

Im Hintergrund ist ein Zitat des heute europaweit bekannten Schriftstellers Sándor Márai aus dem Jahr 1945 zu lesen: „Was geschehen war, zu verteidigen oder zu erklären, ist unmöglich. Es aber einzugestehen und zu sagen, was passiert war, ist sehr wohl möglich. Diese Generation wird diese Aufgabe haben.“ Seine Generation konnte diese Aufgabe durch den Verlauf der Geschichte nicht wirklich wahrnehmen.

Im Gegensatz zu anderen Ländern, vor allem Deutschland, hat sich Ungarn bis heute nicht mit diesem Teil seiner Vergangenheit auseinandergesetzt und wirklich konfrontiert. Dazu könnte diese Ausstellung viel beitragen. Alle Schüler und Studenten sollten die Ausstellung besuchen, Eintritt und Kopfhörer (mit Erklärungen in ungarischer bzw. englischer Sprache) stehen kostenlos zur Verfügung.

Holocaust Emlékközpont
Páva u. 39
1094 Budapest

www.hdke.hu

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