(c) Pester Lloyd / 2006
STADTLEBEN _______________________________________________________
Kinder(un)freundlich?
Von den Schwierigkeiten in Budapest mit Kindern zu leben
Tag für Tag sehen wir, wie verzweifelte Mütter versuchen, Kinderwagen in Busse oder Straßenbahnen zu bugsieren. Genauso oft gehen wir an längst
zum Hundeparadies gewordenen Spielplätzen vorbei oder sehen Eltern in Restaurants, die ihr Kind mangels Kinderstuhl auf dem Schoß halten müssen.
Welche Schwierigkeiten erwarten sie außerdem in der Hauptstadt?
Öffentliche Verkehrsmittel & Geschäfte: „Kinderwagen bitte draußen lassen“
Das Verbot steht an der Tür eines
Tante-Emma-Ladens an der Ecke Etele út / Tétényi út. Man könnte daraus sogar einen Slogan machen und ihn für offizielle Zwecke verwenden. Denn die Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel, Essen und Einkaufen mit einem Kinderwagen sind in Budapest fast unmöglich. Im Personennahverkehr gibt es nur sehr wenige positive Beispiele. Hier
kann man die niedrigeren Busse der Linien 7, 7A, 78 und 26 sowie die neue 86 und noch einige andere erwähnen, aber mit einem Kinderwagen in die alten
Busse oder in Straßenbahnen einzusteigen, erfordert einen wahren Kraftakt. Es gibt sogar Verkehrsmittel, die man mit einem Kinderwagen nicht einmal dann
besteigen kann, wenn andere helfen. Man hat beispielsweise kein Problem, in die Metro zu steigen, umso mehr aber mit dem Hinkommen. Rolltreppen sind mit
Kinderwagen zwar benutzbar, aber ziemlich gefährlich. Von der Straße führen meistens nur Treppen hinab zu den U-Bahnstationen. Am Westbahnhof gibt es
eine schiefe Ebene, aber auch nur an einem Eingang. Kommt man aus einer anderen Richtung, ist man wieder gezwungen, die Treppen zu benutzen. Einige
unterirdische Haltestellen, beispielsweise Népliget, verfügen über Aufzüge, doch die funktionieren einfach nicht und wären für den Kinderwagen ohnehin zu klein.
Laut Gesetz müssen U-Bahn-Unterführungen und öffentliche Verkehrsmittel bis
2010 hindernisfrei zugänglich sein, ob daraus etwas wird, darf mit starker Wahrscheinlichkeit angezweifelt werden. Im September 2004 demonstrierten
Mütter und Behinderte an der Metrostation Blaha Lujza tér, die trotz der gelungenen Restaurierung weiterhin weder über einen Aufzug noch über eine
Rampe verfügt. Die Stadtverwaltung und der Leiter der Budapester Verkehrsbetriebe versprachen beide, bis 2007 in jeder Station einen Aufzug einzurichten.
Öffentliche Gebäude müssten eigentlich schon jetzt hindernisfrei zugänglich sein,
trotzdem gelangt man mit dem Kinderwagen in viele immer noch nicht hinein. Denken wir nur an das frequentierte Postamt am Westbahnhof oder an das
Museum für Landwirtschaft, in dem sehr oft Kinderprogramme veranstaltet werden. Im Zoo wurde ein langer Weg mit Naturstein gepflastert, was mit dem
Kinderwagen ebenfalls unangenehm ist. In einigen Restaurants findet man vielleicht einen Kinderstuhl, aber auf einen Wickelraum trifft man nur selten.
Dies gilt auch für viele Mc-Donalds-Filialen, obwohl gerade sie mit ihrer
Kinderfreundlichkeit prahlen. Wenn in größeren Einkaufszentren oder Schnellimbissen ein Wickelraum eingerichtet ist, ist er meistens schmutzig und
deswegen unbrauchbar. Außerdem befindet er sich immer in der Damentoilette, obwohl es sicher auch mal vorkommt, dass das Kind mit dem Vater unterwegs
ist. Stillen kann man in ihnen ebenfalls nicht. Positive Beispiele sind IKEA mit seinem Stillraum und das Westend City Center. Im Letzteren ist der
„Baby-Mama-Raum“ schon im Untergeschoss ausgeschildert. In der obersten Etage befinden sich dann zwei winzige Zimmer mit einem Kinderstuhl, einem
Wickeltisch, einer Matte und einem Waschbecken. Eine freundliche Dame putzt das Zimmer nach jeder Benutzung.
Spielplätze: Under reconstruction
Diese wichtigen Schauplätze des Kinderlebens werden von EU-Normen geregelt.
Spielgeräte, die diesen Normen nicht entsprechen, wurden in den letzten Jahren sukzessive von den Spielplätzen entfernt, wodurch einige nun ziemlich leer
wirken. Diese Lücken werden erst in den nächsten 10 bis 15 Jahren nach und nach gefüllt, bis dahin müssen sich die Eltern eben einen anderen Spielplatz
suchen. Eltern und Kinder im III. Bezirk haben Glück: Hier wurden in den letzten Jahren von den Maltesern insgesamt fünf nagelneue Spielplätze eingerichtet. Sie
sind umzäunt und werden von Sicherheitsleuten bewacht, außerdem sind sie mit Toiletten und Wickelräumen ausgestattet. Sogar ein Häuschen gibt es auf dem
Grundstück, in dem man im Winter in einer warmen Stube spielen kann. Malteser-Spielplätze stellen darüber hinaus Spielpädagogen ein, die sich mit den Kindern beschäftigen.
Zwei große Neueinrichtungen der Hauptstadt wurden im Sommer 2005 den
Bürgern übergeben. Anfang Juli konnten Kinder den völlig neugestalteten Spielplatz der Hajógyári-Insel (Schauplatz des Sziget-Festivals)in Besitz nehmen.
Der ehemalige „Park des 9. Mai“ stammt noch aus den 80er Jahren und machte in der letzten Zeit einen ziemlich heruntergekommen Eindruck. Dazu trug unter
anderem bei, dass jemand die Rutschen angezündet hatte. Jetzt wurde er als der größte Spielplatz Budapests wieder hergerichtet. Für kleinere Kinder stehen
Sandkasten, Rutschen, eine Spielburg, Wippen und Schaukeln zur Verfügung. Für die größeren wurden zwei Türme gebaut, die mit Seilen verbunden sind und von
denen man herunterrutschen kann. Daneben gibt es noch zwei Riesenrutschen.
Anfang August wurde ein ähnlich großer und moderner Spielplatz auf der
Margaretheninsel übergeben. Diese beiden bilden aber eher eine Ausnahme. Im VIII. Bezirk beispielsweise wurden vor nicht allzu langer Zeit mehrere neue
Spielplätze (Golgota tér, Kálvária tér, Mátyás tér, Horváth Mihály tér) eingerichtet, doch nach nur einem halben Jahr waren sie zerstört. Auf den
kleineren Spielplätzen, vor allem in den Plattenbausiedlungen, fehlen meistens Brunnen, Schatten spendende Bäume oder Bänke. Im Gegensatz dazu haben die
Planer des Spielplatzes im Millenáris-Park sogar ein bisschen Fantasie miteingebracht: Die Spielgeräte werden von großen Holzfiguren gehalten,
wodurch der Platz viel lebhafter wirkt. Im Millenáris-Park werden darüber hinaus auch viele Kinderprogramme organisiert, sowohl im Freien als auch im Gebäude.
Parkanlagen: Angst vor Obdachlosen und Dieben
Nach einer tudie sind die Budapester mit den Grünflächen ihrer Stadt eher
unzufrieden. Wenn man die Lage in der Hauptstadt mit der von Berlin vergleicht, zeigt sich ein deutlicher Unterschied: 45 Prozent des Berliner Stadtgebietes sind
nicht bebaut, 6,4 Prozent (5.700 ha) davon sind öffentliche Grünflächen. In Budapest beträgt der Anteil der öffentlichen Parkanlagen dagegen nur 2,4
Prozent. Das Problem liegt aber nicht nur in den Prozentzahlen, sondern auch im allgemeinen Lebensgefühl. Die meisten Leute vermissen in Budapest Pflanzen auf
den Straßen: 80 Prozent der Befragten möchten mehr Bäume und Blumen in der Stadt sehen. Laut einer Studie hält man nach Plan entstandene und gepflegte,
eventuell umzäunte Parkanlagen für am besten geeignet, Inseln der passiven Erholung zu sein. Beliebt ist zum Beispiel der Károly-kert in der Nähe des Astoria-Hotels.
Dort können Kleinkinder auf dem Spielplatz klettern, rutschen und Sandkuchen
backen, während die Eltern im Schatten der Bäume plaudern. Für größere Kinder steht ein Fußballplatz zur Verfügung. Der Károly-kert verdient den Namen
Garten: In seiner Mitte ergötzen Pflanzen und Blumen den Besucher. Auch Studenten kommen hierher, um auf den Bänken liegend in ihren Notizen zu blättern. Toiletten gibt es ebenfalls.
Als weiteres positives Beispiel soll hier der Szent István Park stehen, der sich im
XIII. Bezirk zu beiden Seiten der Pozsonyi utca befindet. Von hier aus kann man die Schiffe auf der Donau sehen. Der Park verfügt über eine große Fläche und
bietet Platz für alle möglichen Freizeitprogramme. Auf dem langen Rasenstreifen kann man Federball spielen oder einfach im Gras sitzen, von den Bänken aus
lassen sich die Fontänen und das Wasser in den kleinen Becken bewundern. Auch hier gibt es einen Fußball- und einen Spielplatz. Der Szent István Park wird von
Sicherheitskräften bewacht. Im Sommer gibt es an jedem zweiten Sonntag Veranstaltungen für Kinder, Konzerte oder literarische Programme. Der Park auf
der gegenüberliegenden Straßenseite, also der weiter von der Donau entfernte Teil, wird offenbar vernachlässigt. Die gefederten Spielzeuge weisen
Graffitispuren auf und bei unserem Besuch führten zwei Frauen hier ihre Hunde spazieren.
Das ist aber immer noch nicht so schlimm, wie die Lage im Orczy kert. Warum
der einmal „Garten“ hieß, kann man sich heute gar nicht mehr erklären. Denn der offene Park zwischen den beiden Metrostationen Klinikák und Nagyvárad tér
ist heute nur noch für Hunde ein Paradies. Das Gras ist wahrscheinlich nur deshalb grün, weil es in diesem Sommer so viel geregnet hat. Einige wenige
Bänke stehen versprengt unter den hohen Bäumen, Familien mit Kindern sieht man aber nicht. Die Mülltonnen quellen über, der Wind fegt Abfälle über die
Wiese. Die Befragten der Studie gaben an, dass sie in Parkanlagen wie dem Orczy-kert Angst vor Obdachlosen, „Drogencliquen“, Exhibitionisten und Dieben
haben. Außerdem stört sie auch der Müll und der Schmutz auf den Bänken sowie die mangelhafte Beleuchtung. Weitere leider ebenfalls vernachlässigte große
Parkanlagen befinden sich im Népliget und auf dem Vérmezô.
Ausweichen auf die Inseln und die Randgebiete der Stadt
In den Budaer Bergen kann man schöne Sonntagsausflüge machen. Auf der Margaretheninsel ist die sogenannte „Bringó-hintó“, eine Mischung aus Fahrrad
und Kutsche, bei den Kindern sehr beliebt, aber man kann hier auch auf dem eigenen Fahrrad oder Rollschuhen seine Runden drehen. Riesige Wiesen laden
zum Picknicken, Frisbee, Fuß- oder Federball spielen ein. Gepflegte Blumenbeete verschönern die Insel, und ein besonderer Anziehungspunkt für Kinder ist der
Tierpark. Im Sommer erwartet das Palatinus-Freibad seine Gäste, wer im überdachten Becken schwimmen will, kann ins Hajós-Alfréd-Schwimmbad gehen.
Die Margaretheninsel lockt gelegentlich auch mit eigenständigen Programmen und Sporttagen.
In den Randgebieten von Budapest gibt es natürlich mehr Grünflächen und wer
dort wohnt, kann in dieser Hinsicht zufriedener sein. Im Hûvösvölgy liegt beispielsweise die Nagyrét, eine große Lichtung am Waldrand. Im Sommer locken
hier Karussell, Los- und Schießbude zahlreiche Kinder an und wer möchte, kann in dem umliegenden Wald Wanderungen unternehmen. Hûvösvölgy ist die
Endstation der Kinder-Eisenbahn, bei der alle Aufgaben außer die des Lokomotivführers von Kindern erfüllt werden. Libegô, ein Sessellift, der zwischen
der Gipfelstation János-hegy und der Talstation Zugliget verkehrt, ist ebenfalls ein beliebtes Ausflugsziel. Günstig wohnen Familien auch am Római part, wo
man mit dem Fahrrad entlang der Donau oder mit dem Kanu auf ihr fahren kann.
Fruzsina Müller
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