(c) Pester Lloyd / 2006
MUSEEN & GALERIEN _______________________________________________________
Ein Museum öffnet sich
100 Jahre Museum der Schönen Künste Budapest
Die Schätze, die das Gebäude des Szépmüvészeti Múzeum (Museum der Schönen / Bildenden Künste) beherbergt, sind viel älter als der Bau selbst
und doch ist die Geschichte des Museums lang und mittlerweile historisch. Auf ein 100jähriges Bestehen blickt das Museum zurück und erinnert sich an Anfänge sowie viele Veränderungen und Wendungen.
Ein Gebäude entsteht
„Ein Landesmuseum der Bildenden Künste soll geschaffen und ein zur Aufnahme
seiner Sammlungen geeignetes Gebäude an entsprechendem Ort errichtet werden.” Der Millenniumslandtag, der das tausendjährige Bestehen des
ungarischen Staates feierte, legte den Bau des Museum gesetztlich fest. Den „entsprechenden Ort” fand man an der Mündung der Radialstraße, am Vorplatz
des Stadtwäldchens, dem heutigen Heldenplatz (Hôsök tere). Die Bauarbeiten begannen im Sommer 1900. Die Pläne zum Bau des Gebäudes stammen von den
Architekten Albert Schickedanz und Fülöp Herzog. Dem Hauptbau, in dem heute die Gemäldegalerie und Verwaltungsräume untergebracht sind, setzten die
Baumeister drei tempelartige Bauten vor, die durch niedrigere Trakte miteinander verbunden sind. Acht korinthische Säulen tragen den Giebel, dessen
Tympanon vom „Kampf der Kentauren und Lapithen“ geschmückt wird. Am 1. Dezember 1906 öffnete das neoklassizistische Bauwerk zu ersten Mal seine Tore.
Eine Sammlung entsteht
Das neue Gebäude wurde zur Heimstätte der bis dahin in verschiedenen
Sammlungen bewahrten Zeugnisse bildender Kunst. Der Grundstock des Bestandes beruht auf der 1870 angekauften Sammlung Eszterházy, die bis dahin
unter dem Namen „Landesgalerie“ in der Akademie der Wissenschaften ausgestellt worden war. Die Sammlung Eszterházy wurde zur Wende vom 17.
zum 18. Jahrhundert begründet und von fünf Generationen der Fürstenfamilie bereichert, bis sie schließlich der ungarische Staat kaufte. Zu diesem Zeitpunkt
bestand die Sammlung aus 637 Gemälden, fast 3.500 Zeichnungen und 31.000 Graphiken.
Mit dem Ankauf der Sammlung des Archäologen Paul Arndt wurde bereits 1908
die Antikensammlung des Museums begründet. Die heute ausgestellten Stücke gelangten aus altitalienischen Palästen, wie dem Palazzo Grimani in Venedig,
dem Palazzo Farnese und dem Palazzo Odescalchi in Rom und aus dem Bestand auseinander gefallener antiker Privatsammlungen ins Museum. Zahlreiche Stücke
stammten auch von ungarischen Kunstsammlern. Im Jahr 1934 entstand die Ägyptische Sammlung, die den Besucher heute mit einer Fülle an Exponaten
fesselt. Die Sammlung besitzt – abgesehen vom Alten Reich – aus allen Epochen der ägyptischen Kunst einige bedeutende Stücke. Zum Bestand gehören bemalte
Mumiensärge, Kleinplastiken, eine reiche Folge bronzener Götterskulpturen, Tongefäße, Skarabäen, Amulette und andere Exponate.
Zur gleichen Zeit, als das Museum den Bestand von Paul Arndt kaufte, vermachte
Graf János Pálffy dem Museum 177 wertvolle Gemälde alter Meister. Heute umfasst die Galerie Alter Meister mehr als 600 Werke und zeigt mit ihren
Exponaten eine fast lückenlose Schau der Entwicklung der europäischen Malerei vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. Berühmt ist die Abteilung der spanischen
Malerei . Sie gilt neben dem Madrider Prado als eine der umfangreichsten und qualitativ besten der Welt. Neben der italienischen, englischen, französischen,
holländischen und flämischen Sammlung vermag der Bestand an Werken der alten deutschen und österreichischen Malerei ein umfassendes Bild von den
charakteristischen Richtungen des 15. bis 18. Jahrhundert zu geben. Die ausgestellte Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts findet der Museumsgast heute
im Untergeschoß des Gebäudes. Werke der Landschaftsmaler aus der Schule von Barbizon, der französischen Künstlerkolonie und die großen Romantiker wie
Eugène Delacroix finden sich hier ebenso wie Werke von Marc Chagall und Pablo Picasso.
Das Museum besitzt außerdem eine herausragende graphische Sammlung. Der
Bestand, der 10.000 Zeichnungen und 100.000 Stiche umfasst, wird wie allgemein üblich wegen seiner Lichtempfindlichkeit verschlossen gehalten und nur
von Zeit zu Zeit für Ausstellungen der Öffentlichkeit gezeigt. Die Werke der graphischen Sammlung reichen von Leonardo da Vinci und Raffael bis Picasso,
Chagall und Rodschenko. Die sechste und letzte Sammlung ist die Abteilung für alte Skulpturen. Die Werke dieser Sammlung zeigen die Entwicklung der
europäischen Bildhauerkunst vom Urchristentum bis zum Ende des Barocks.
Ein Museum entwickelt sich
Der Zweite Weltkrieg bescherte dem Museum große Verluste und Beschädigungen
und die Weiterentwicklung und Erweiterung der Sammlungen kam zum Erliegen. In den letzten Kriegsmonaten wurde ein Großteil der Sammlungen verschleppt,
darunter einige der wertvollsten Stücke. In den Jahren 1946/47 konnten ein paar der Stücke zurück nach Budapest geholt werden. Leider sind einige Werke bis
heute verschollen oder wurden in den Nachkriegswirren komplett zerstört.
Die Restaurationsarbeiten begannen, sowohl am Gebäude des Szépmûveszeti
Múzeum als auch an den beschädigten Werken. 1946 eröffnete die erste Ausstellung nach dem Krieg und im Jahr 1949 wurde die Galerie der alten Meister
der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Der bedeutsame Zuwachs, darunter der Nachlass des Grafen Jenô Zichy, und die systematischen Käufe
erweiterten die Sammlung des Museums. In dieser Zeit verdoppelte sich die Größe der Skulpturensammlung.
Das Museum verfolgte in den Nachkriegsjahren eine neue Sammel- und
Kaufpolitik, wodurch eine bemerkenswerte Sammlung von zeitgenössischen, ausländischen Werken entstand. Als 1957 die Ungarische Nationalgalerie
gegründet wurde, schied der Bestand an ungarischen Gemälden und Skulpturen aus dem Bestand des Museums aus, da nun die Nationalgalerie für die Werke
ungarischer Künstler zuständig war. Die Werke der alten ungarischen Meister übergab das Museum 1973 an die Ungarische Nationalgalerie, als diese in die
Budaer Burg umzog. Damit hatte die Verbindung des Museums der Bildenden Künste mit der ungarischen Kunst ein Ende. Heute beherbergt das Museum mehr als 100.000 Stücke der nicht-ungarischen Kunst.
Ein Museum öffnet seine Tore
Was nützen all die Schätze und Kostbarkeiten, wenn sie niemand sehen kann?
Das Museum der Bildenden Künste betrieb in den letzten zwanzig Jahren eine zweifelhafte Museumspolitik. Die Werke der großen Maler schienen nur für den
Adel, für die Obrigkeit Budapests und Ungarns bestimmt zu sein. Familien mit Kindern oder junge Leute waren kaum gesehene Gäste des Museum.
|
In den letzten 20 Jahren hat weltweit eine Museumsrevolution stattgefunden: Die
großen Museen rund um den Globus öffneten ihre Türen, rückten das Museum und die Kunst in den Mittelpunkt der Medien, viele Museen erweiterten ihr
Angebot mit Museumsshops und Restaurants. Gestiegene Besucherzahlen waren die Folge. Dieser Revolution verschloss sich Ungarn und blieb konservativ seiner
veralteten Politik treu. Seit 1. Dezember 2004 hat das Museum der Bildenden Künste mit Dr. László Baán einen neuen Direktor, der die Türen seines Hauses
für alle öffnet. Symbolisch ließ der neue Museumsdirektor den Bauzaun vor dem Museum, der schon lange keine Funktion mehr erfüllte und doch visuell den
Besucher vom Museum trennte, entfernen und rief so die neue Museumspolitik „open doors“ ins Leben.
Zwischen den Jahren 1990 und 2004 hatte das Museum nur eine einzige große
Galerie, die Monet-Ausstellung, die die umwerfende Besucherzahl von 25.000 vorweisen konnte. Die Menschen standen Schlange um die Werke des Künstlers
zu sehen. Diese Ausstellung war ein Wendepunkt in der Geschichte des Museums. Die Kunst und das Museum rückten in das Bewusstsein der Budapester, die Medien begannen über das Museum zu berichten.
Dr. László Baán will neue Wege gehen. „Wir bringen das Museum auf das Land,
zu Menschen, die keine Möglichkeit haben, nach Budapest zu kommen. In insgesamt neun Städten Ungarns zeigen wir Ausstellungen mit unseren Werken.
Wenn das Publikum nicht zu uns kommen kann, dann gehen wir eben zum Publikum.“
Die spanische Ausstellung in Budapest war ebenfalls ein großer Erfolg. 200.000
Besucher sahen die Galerie und Dr. László Baán will noch mehr. „In den 1990er Jahren hatte das Museum eine durchschnittliche Besucherzahl von 200.000. Im
Jahr 2005 schon 280.000 und für 2006 erwarten wir 500.000 Besucher.“
Für behinderte Menschen fertigt das Museum Kopien der Werke an um
beispielsweise blinden Menschen Gelegenheit zu geben, die Werke zu fühlen und so zu erleben. „So öffnen wir das Museum auch für Menschen, die sonst
ausgeschlossen sind,“ erzählt der Direktor. Auch die wöchentliche Museumsnacht „Múzeum+“ spricht ein neues Publikum an. Jeden Donnerstag Abend werden
passend zur jeweiligen Ausstellung Konzerte, Theatervorstellungen, Lesungen oder Vorträge angeboten. Dazu gibt es eine Tapas Bar und natürlich nächtliche
Führungen durch das Museum. „Die Museumsnacht ist sehr beliebt. Wir haben Stammgäste, die jeden Donnerstag kommen und auch Menschen, die wegen eines bestimmten Themas kommen.“
Múzeum+ ist Museum im zweifachen Sinne. Dr. László Baán erklärt die
Bezeichnung: „Múzeum+ heißt es, weil die Nacht mehr zeigt als Museum und mehr zeigt vom Museum.“ Auch mit der diesjährigen Sonderreihe zur
Geburtstagsfeier des Museums „Géniuszok és Remekmûvek“ – Genies und Meisterwerke – zieht das Museum ein breites Publikum an. Gezeigt werden seit
1. Dezember 2005 temporäre Ausstellungen zu einem Künstler oder Thema. Zurzeit kann der Museumsbesucher die Ausstellung „Tiziano – Ein rätselhafter
Mann“ besuchen. Es folgen noch „Picasso in Love“ und „Der Triumphierende, der Besiegte und das Opfer; Caravaggio: David mit dem Kopf von Goliath“. Am 1.
Dezember 2006, dem Geburtstag des Museums, eröffnet die Van Gogh Ausstellung und erwartet bis zu 400.000 Besucher.
Große Pläne hat der ehemalige Staatssekretär und neue Direktor des Museums.
Beispielsweise schwebt ihm eine Erweiterung des Museums unterhalb des Heldenplatzes vor. Außerdem muss die Fassade des Museums erneuert werden
und die Beleuchtung will er bis zur „Rembrandt 400“ – Ausstellung am 30. Juni fertig wissen.
Finanziert werden die Pläne nur teilweise vom Staat. „Vom Staat erhalten wir
immer die gleiche Summe. Aber seit wir offensiver sind, haben wir immer mehr Sponsoren, die uns unterstützen. Heute sind wir das meistgesponsorte Museum
Ungarns.“ Nach dem Motto: „Eine schlechte Ausstellung ist eine teure Ausstellung. Eine gute Ausstellung bringt Besucher und damit Geld.“ macht sich
Dr. Lászlo Báan daran, weitere Neuerungen zu realisieren. Dass das Konzept aufgeht, bewies nicht zuletzt die „Nacht der Museen“ am vergangenen
Wochenende, bei der die Schlange der Besucher bis ein Uhr morgens nicht abreißen wollte. Herzlichen Glückwunsch!
Tanja Kirsten
www.szepmuveszeti.hu
IHRE MEINUNG IST GEFRAGT - KOMMENTAR ABGEBEN
(c) Pester Lloyd
|