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(c) Pester Lloyd / 2006 THEATER & KONZERT
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Ma(h)ler gesucht!

Die Oper in Budapest

Weltoffener Musentempel oder nationaler Heiligenschrein? – Das traditionsreiche Haus an der Andrássy braucht dringend eine Generalüberholung

Geplant war am 27. September 1884 ein glanzvoller Eröffnungsabend mit der Opern-Novität István király / König Stephan, von Chefkapellmeister Ferenc Erkel, der seit seiner Heldenoper (er schrieb ausschließlich Heldenopern) „Hunyadi” 1844 für Jahrzehnte Ungarns einzige reale Hoffnung nach einer eigenständigen Nationaloper war und der diese Hoffnungen regelmässig mit immer gigantischer auswuchernden Monumentalplagiaten bediente, wenn nicht enttäuschte. Zwar wurde die Oper nicht rechtzeitig fertig – manche meinen, sie war es, doch sei es besser gewesen, sie nicht zu spielen - , doch hatte sich Erkel letztlich durchgesetzt. Er war in „seiner” Oper. Schon 1837 zur Gründung des Ungarischen Nationaltheaters und dann wieder 1854, als er gemeinsam mit Liszt, der über die Rolle eines prominenten Schirmherren in Ungarn selten hinauskam, die Philharmonische Gesellschaft (das heutige Opernorchester) und die Musikakademie gründete, träumte Erkel immer von dem Augenblick, da Ungarn über ein richtiges, eigenes und so prächtiges Opernhaus verfügen würde.

Prächtig wie Wien und Paris, vielleicht noch ein bisschen schöner, dank Baumeister Miklós Ybl. Zu genau ist ihm noch die Dominanz der „Deutschen”, protegiert vom Adel, den Juden und den Österreichern, in ihrem Stadttheater mit über 3.500 Plätzen bis zum Brand 1847 in Erinnerung, noch hat er schmerzlich vor Augen, wie man seine Opern vom Programm nahm, als die erste große Wagnerwelle durch Budapest schwappte und er selbst – Erkel, Komponist der Nationalhymne! – dem tönenenden Sachsen den Lorbeerkranz aufsetzen musste.

Erkel, selber mit deutschen Wurzeln, gehörte zu dem Teil der Ungarndeutschen, die sich nicht nur magyarisierten, sondern „das” Deutsche – also einen wichtigen Teil der ungarischen Kultur – auch aktiv bekämpfte. Der Hass auf die Habsburger entlud sich auf die eigenen Landsleute, oft glühende ungarische Patrioten, nur wegen der gleichen Sprache. Mit diesem Tag der Operneröffnung vor 120 Jahren war dies alles nun vergessen und der Komponist Erkel hatte sein Lebenswerk vollbracht. Kaiser Franz Joseph I. war zugegen, als sich der Opernvorhang zum ersten Mal hob, dahinter Erkels „Hunyadi” und „Bánk bán”, aber – maledetto! – auch der erste Akt vom „Lohengrin” gezeigt wurden.

Ein Kompromiss zur Eröffnung, der die Spaltung der Protagonisten des Hauses an der Andrássy in Nationalisten und Kunstpuristen sowie Weltbürger (Ex-k.u.k.-Aussenminister Graf Andrássy, sowie Graf Apponyi und Edmund Mihalovich, zwar beide eingefleischteste Nationalisten, jedoch auch kunstsinnige Liebhaber, gehörten zu den grössten Förderern des Hauses) mit allerhand Zwischenströmungen schon von Beginn an signalisiert. Eine Spaltung, die sich in gewisser Weise noch heute äussert und die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Hauses windet. Sie zeigte sich in der Personalpolitik, am Spielplan, in dem Misstrauen, das man dem jungen Gustav Mahler entgegenbrachte, der 1889 als Direktor ans Haus berufen wurde, kurz bevor es aufgrund der internen Machtkämpfe und reichicher Inkompetenz künstlerisch zu kollabieren drohte. Mahler war man bald wieder los, doch der ewige Widerstreit zwischen der Suche nach künstlerischer Qualität und der Ausbreitung nationalen Kleinmuts (noch bis in die zwanziger Jahre bestand ein Verbot in deutscher Sprache zu singen) blieb bestehen, diese Ambivalenz ist ein Charaktermerkmal dieses Hauses.

Mahler, Strauss und die “goldenen Zeiten”

Unabhängig davon, was hinter den Kulissen geschah, was die Leute antrieb, die Ergebnisse auf der Bühne konnten sich über weite Strecken sehen lassen und es ist schade, dass dieses Haus heute mit seinen historischen Pfunden nicht mehr wuchert und so kaum über den Schatten des grossen und etwas älteren Schwagers (1869) in Wien hinauskommt. Nach der Begeisterungswelle der Eröffnung folgte das Chaos, finanziell wie künstlerisch. Mahlers Zeit bis 1891 stellte nicht nur eine Rettung dar, sondern der knapp 30jährige erklomm hier für sich und für das Land künstlerische Höhen, die - wie der Giovanni von 1889 – noch vom alten Brahms persönlich gewürdigt wurden. Mahler brachte die ersten Teile des Rings nach Ungarn, und machte Mascagni populär – vor allem aber hinterliess er einen bleibenden Eindruck: den von der Uneigennützigkeit künstlerischer Arbeit. Das Star- und Kapellmeisterwesen war in Mitteuropa um 1900 gerade im Aufschwung und zog auch nach Budapest bedeutende Künstler. Neben Mahlers Nachfolger Artur Nikisch (Ungar, aber im Ausland aufgewachsen) gaben sich auch Richard Strauss und Giacomo Puccini regelmässig die Klinken und Tackstöcke in die Hände, studierten teils selbst ihre Werke ein und letzterer feierte mitunter auch ausgelassene Gelage.

Ab 1912 wurde Graf Miklós Bánffy, Bühnenbildner, Maler und Schriftsteller Operndirektor und man kann von der Zeit etwa zwischen 1910 bis 1918 getrost von einem Goldenen Zeitalter sprechen, in dem grossartige Produktionen, auch durch Regisseur Sándor Hevesi und den italienischen Kapellmeister Egisto Tango, der auch die Bartók-Uraufführungen leitete, realisiert wurden. Zudem erhielt die Ungarische Staatsoper 1911 mit dem Erkel-Theater (damals Volksoper) eine Konkurrenz, dem grossen Haus z.B. die Erstaufführung des Parsifal vor der Nase wegschnappte. Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges gehörte Budapests Oper mit zu den führenden Häusern in Europa, grossartige Inszenierungen mit ebenso berühmten Sängerinnen und Sängern sind überliefert, Ungarn wie Ausländern. Man kann nicht sagen, dass von Budapest aus jemals ein prägender Impuls, eine neue Richtung oder ein eigener Stil in die Welt gesandt worden ist, man nahm hier die angesagten Trends auf, wollte prächtig sein, repräsentativ, also mithalten. Der Musentempel war hier eher eine Darstellungsfabrik auf allerhöchstem Niveau.

„Tolle Tage” zwischen den Kriegen

Dann kam der Krieg. Die Oper blieb vorerst geschlossen und hatte ab Kriegsende, wie das ganze Land, mit extremer Ressourcenknappheit zu kämpfen. In der internationalen Isolation und den Wirren des Völkerschlachtens kamen die anspruchsvollen Werke Béla Bartóks, die einaktige Oper Herzog Blaubarts Burg 1918 (entstanden schon 1911) und die Ballettpantomime Der hölzerne Prinz zur Uraufführung. Die sich anschliessenden „goldenen Zeiten”, die zwanziger Jahre sind ein bisschen auch mehr Wunschtraum als eine reale Geschichte von Glück und Überschwang, man hangelte sich trunken in die nächste Katastrophe, doch: the Show must go on, und die Show war prächtig. Gastspiele der grossen Stars von Gigli über die Jeritza bis Furtwängler – sie waren alle hier. Doch selbst wenn man die üblichen Vernebelungen beim Blick zurück in Rechnung stellt, die Qualität des damaligen Ensembles und die Reihe der Stars unter dem ebenfalls zur Legende avancierten Direktor Miklós Radnai (1925-1935) ist sicher unerreicht. Die Fülle war auch durch viele „Exilanten” zu erklären, Ungarn, die aus den durch die Versailler Verträge abgetrennten Gebiete in Budapest eine Heimstatt suchten.

Die berühmten Namen reichen von den Dirigenten Sergio Failoni und János Ferencsik bis Erno von Dohnányi, der neben der Leitung der Philharmonischen Gesellschaft auch eine eigene Werke, wie Der Turm des Wojwoden und die Komische Oper Der Tenor 1929 zur Aufführung brachte, die national wie international Beachtung fanden. Eine ganze Anzahl von weiteren namhaften Mitarbeitern (herausragend hier die Universaltalente Gusztáv Oláh als Bühnenbildner und Kálmán Nádasdy als Regisseur sowie Tivadar Márk als Kostümbildner), die über die nächsten Jahrzehnte die Arbeit an den Budapester Häusern prägten, erfolgreiche Gastspiele absolvierten (1929 Wien, Rom, Nürnberg, 1936 Bayreuth, 1938 Florenz) und deren ästhetische Grundsätze teilweise bis heute in jetzt eher streitbar konservierter Form fortbestehen, konnte die Oper damals zu ihren Mitgliedern zählen.

1938 gab ein Assistent Toscaninis, der 25jährige Georg Solti, zur Zeit des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich sein Debüt an der Budapester Oper, ausgerechnet mit des Österreichers Mozart Figaro´s Hochzeit oder Der tolle Tag! Bald darauf musste er emigrieren, genauso wie Bartók, und mit ihm viele Säulen des ungarischen Musiklebens. Letzterer sollte seine Heimat nie wieder sehen. Heute verehrt sie ihn überirdisch, zusammen mit Zoltán Kodály als einen der grössten Geister des ungarischen Musiklebens, der nicht nur international anerkannte Musik komponierte, sondern sie auch im Sinne einer echten ungarischen Nationalmusik erneuerte. Auch in der Zeit des Horthy-Faschismus und später des 2. Weltkrieges erlebte die Oper (Direktor László Márkus 1935-44) in Ungarn noch Höhepunkte, wie es sich überhaupt in Zeiten der äußeren Not oft zuträgt, dass die künstlerische Produktion in den gebliebenen Nischen besonders intensiv agiert. Doch soll man nicht verschweigen, dass auch hier in Ungarn dafür gesorgt wurde, dass Künstlern aus rassischen und politischen Gründen der Zugang zur Bühne verwehrt blieb.

Ganz normales Theater zwischen Kunst und Politik

Zu Kriegsende hatte man Glück, die Beschädigungen bei der Befreiung waren im Unterschied zum Rest der Stadt am Opernhaus gering geblieben, so dass man schon bald wieder den regelmässigen Spielbetrieb eröffnen konnte. Und so starb am 21. März 1945 Mimi am Abend herzergreifend an TBC auf der Bühne, während ein paar Kilometer entfernt das reale Völkerschlachten seinen wahnwitzigen Höhepunkt erreichte. Dann dümpelte man wieder einmal, doch wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Wunder her. So wie einst Mahler, engagierte man aus dem Stand diesmal Otto Klemperer nach Budapest. Ein grossartiger Dirigent im Exil, aber eben ein „linker Jude”, der noch nach dem Krieg von Furtwängler, Karajan und den ganzen entnazifizierten Taktstockgeneralen geschnitten worden ist. Klemperer blieb bis 1949 und die drei Jahre waren gut für ihn und gut für Budapest.

Der Exodus im Zusammenhang mit den psotstalinistischen Säuberungen nach dem Aufstand 1956 machte auch vor dem Opernbetrieb nicht halt, und wieder verlor das Haus an der Andrássy eine Vielzahl seiner besten Mitarbeiter an das Ausland. Die Zeit des sozialistischen Experimentierens in Ungarn verbrachte die Oper dagegen ziemlich erfolgreich zwischen biederem Unterhaltungsauftrag und musiktheatralischem Anspruch. Auch zeitgenössische Werke von Berg, Schostakowitsch und Britten sowie ungarischer Neutöner fanden damals ihren Platz, genauso wie international hochgeschätzte Ausgrabungen und Rekonstruktion vieler Haydn-Opern. Die ungarische Oper war bis zu Wende ein repräsentativer Opernbetrieb – wiedereinmal – zwischen Kunst und Politik und wieder mit vielen Höhen und Tiefen. Ein ganz normales Staatstheater.

Die Installation einer neue Intendanz Mitte 2005 hat bis heute (April 2006) außer großspurigen Ankündigungen noch keine sichtbaren gar zukunftsweisenden Ergebnisse gezeitigt. Seit mehr als einer Spielzeit kann von einem funktionierenden Opernbetrieb mangels erwähnenswerter Neuproduktionen keine Rede sein.

Marco Schicker

Vom Autor dieses Beitrages stammt auch das Buch:
Logengeflüster
Kritiken - Essays - Glossen
aus dem ungarischen Opern- und Konzertleben
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