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Wer sich’s leisten kann

Ohne Numerus clausus an die Semmelweiss Universität Budapest - Ein profitables Geschäft für beide Seiten.

Wer Medizin studieren möchte, in Deutschland aber vergeblich auf einen positiven Zulassungsbescheid der ZVS (Zentrale für die Vergebung von Studienplätzen) wartet, kann mit einem Umzug nach Budapest seinem Karriereziel ein gutes Stück näher kommen.

Vorausgesetzt, er verfügt über das nötige „Kleingeld“ und naturwissenschaftliche Kompetenz... Mit einem Lächeln verlässt Richard den Eingangsbereich des Instituts für Anatomie. Ein wenig Erleichterung spricht aus seinem Gesicht. Gerade wurde – das Semester an der Semmelweis Universität hat kaum angefangen – zum ersten Mal Wissen abgefragt und er war offenbar gut vorbereitet.

Lange ausruhen darf sich Richard allerdings nicht. „Die erste Prüfung findet schon übernächste Woche statt“, seufzt der 21-jährige Berliner. Biophysik steht dann auf dem Programm, und dafür will fleißig gelernt werden. Richard ist einer von in diesem September 250 deutschen Studenten, die für den deutschsprachigen Medizinstudiengang an der Semmelweis Orvostudományi Egyetem (SOTE) zugelassen wurden.

Wie viele von ihnen beginnt auch er mit dem Medizinstudium in Ungarn, weil er in seinem Heimatland auf einen Studienplatz lange hätte warten müssen. Hier in Budapest entfallen für ihn lästige NC-Hürden. Der Preis dafür ist allerdings hoch – ausländische Studenten müssen nicht nur über gute Kenntnisse in Naturwissenschaften verfügen, sondern pro Semester auch rund 5.600 Euro für das Studium an der 338 Jahre alten Universität aufbringen, an welcher einst Ignaz Semmelweis, der Entdecker des Kindbettfieber-Erregers, gelehrt hat.

Profitables Geschäft für beide Seiten

Diesen Deal im weiteren Sinne gibt es an der SOTE schon seit 1983. Damals war der deutschsprachige Medizinstudiengang eingeführt worden. Bemerkenswert erscheint das vor allem deshalb, weil man im seinerzeit noch sozialistischen Ungarn mit dem „Verkauf“ von Studienplätzen an Studenten aus Westdeutschland gewissermaßen einer kapitalistischen Logik folgte. Heute hingegen gehört der Handel mit heißbegehrten Studienplätzen nicht nur in Ungarn, sondern auch in anderen Ländern der Europäischen Union bereits zur Normalität. Und er stellt immer noch für beide Seiten ein profitables Geschäft dar: Die Universität streicht das angesichts knapper Kassen dringend benötigte Geld ein, das sie durch die vergleichsweise niedrigeren Studiengebühren einheimischer Akademiker allein nicht annähernd erhalten würde. Im Gegenzug können sich Deutsche mit dem Umzug nach Budapest ihren Traum vom Medizinstudium doch noch erfüllen und der Berufswunsch Arzt muss nicht zwangsläufig an einem ohnehin nur begrenzt aussagekräftigen Abiturdurchschnitt scheitern. „In Deutschland hätte ich unter Umständen noch Jahre auf einen Platz warten können. Da hätte ich vermutlich in anderen Fachgebieten mein Glück versucht“, gibt Richard unumwunden zu. Er hatte das Abitur im vergangenen Jahr mit 2,1 bestanden.

Kleingruppen und „Körpererziehung“

Im Studium kommt Richard bislang ordentlich zurecht, obgleich ihm gute Noten keineswegs hinterhergeschmissen werden, wie man angesichts der beträchtlichen Studiengebühren vielleicht vermuten mag. Im Gegenteil: Das Medizinstudium an der Semmelweis Universität gilt als vergleichsweise straff organisiert und verlangt den jungen Akademikern viel Fleiß ab. „Es ist hier schon ein bisschen wie in der Schule“, beschreibt Richard die stark naturwissenschaftlich orientierte Ausbildung. „Wir lernen in Gruppen von knapp 20 Leuten und haben einen festen Stundenplan.

Dabei herrscht in allen Veranstaltungen Anwesenheitspflicht.“ Dies gilt nicht nur für Fächer wie Chemie, Histologie oder Anatomie, sondern auch für ein wenig aus dem Rahmen fallende Kurse wie beispielsweise „Körpererziehung“, einer Art Krafttraining mit anschließendem Ballspiel. Auch ein Ungarischkurs steht auf dem Stundenplan, aber Richard ist wie die meisten seiner Mitstreiter schon froh, wenn er sich die fremd klingenden Namen seiner ungarischen Professoren merken kann. Ohnehin wagen sich zumindest in den ersten Wochen die wenigsten deutschen Studenten von jener Sprachinsel, die eigens für sie geschaffen wurde. „Im Studium und im Alltag kommt man hier eigentlich auch ohne Ungarischkenntnisse gut klar“, erklärt Richard. Der Kontakt zu einheimischen Kommilitonen sei „eher die Ausnahme“ und die deutschen Studenten würden „ja sowieso alle im gleichen Boot“ sitzen. „Da fällt das Kennenlernen irgendwie leichter und man bleibt dann einfach eher unter sich.“ Budapest als eine Art akademische Exklave Deutschlands: Studierte Richard in München, Marburg oder Berlin, sein Leben würde sich wohl nicht wesentlich von dem jetzigen in Ungarn unterscheiden. Nur, dass er hier eine Aufenthaltsgenehmigung benötigt.

Ausbildung effektiv und praxisnah

Etwa 80 Prozent der sogenannten Exilakademiker wird Budapest nach zwei Jahren wieder verlassen und nach Deutschland zurückkehren. Im klinischen Teil des Studiums ist schließlich das Beherrschen der ungarischen Sprache, derer in der Regel auch bis dahin die wenigsten wirklich mächtig sind, von grundlegender Bedeutung im Umgang mit Patienten. Und die Chancen, mit abgeschlossenem Physikum einen Platz an einer deutschen Hochschule zu ergattern, um das Studium dort fortzusetzen, stehen dann auch alles andere als schlecht. Die Qualität der Ausbildung sei hoch, bestätigt Dr. Ottmar Kloiber vom Außendienst der Bundesärztekammer. „Die Medizinerausbildung in Ungarn genießt generell hohes Ansehen – und die Semmelweis Universität zählt sogar zu den besten medizinischen Hochschulen Europas.“

Der Unterricht gelte als „effektiv und besonders praxisnah“. Das Manko der SOTE bleibt gleichwohl freilich auch ihr Ruf, eine Universität für nur mäßig begabte Kinder reicher Eltern zu sein. Professor Dr. Erzsébet Ligeti, die Direktorin des deutschsprachigen Medizinstudiengangs, weist dies zurück. Eine Auswahl der Studienbewerber finde durchaus statt, jedoch sei „nicht die Abiturnote entscheidend“, es zählten vielmehr „auch naturwissenschaftliche und fachbezogene Leistungen“, welche in einem speziellen Vorbereitungsjahr erworben werden können. Die typischen Studenten an der Semmelweis seien daher „die motivierten und gescheiten Spätreifer.“

Das Problem mit dem vermeintlichen Imagemakel könnte sich ohnedies schon bald von selbst erledigt haben. Die Bewerberzahl aus dem deutschsprachigen Ausland ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen und beträgt mittlerweile ein Fünffaches der zur Verfügung stehenden Studienplätze. Vielleicht wird ja also auch an der SOTE der Numerus Clausus bald Realität. Richard kann dies dann egal sein. Er hat seinen Studienplatz – und sowieso nur noch die nächste Prüfung im Kopf.

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