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(c) Pester Lloyd / 09 - 2012     BOULEVARD   25.02.2012

 

Narrenschellen

Premier von Ungarn verlängerte bei DWC und IHK die Faschingssaison

Am vergangenen Donnerstag feierte der Deutsche Wirtschaftsclub in Ungarn, DWC, seinen 20. Geburtstag. Dazu lud man Ministerpräsident Viktor Orbán als Gastredner ein. Als Geste an die karnevalesken Besonderheiten der deutschen Ureinwohner und zur Gaudi der DWC-Mitglieder hielt Orbán dort eine verspätete Büttenrede, deren sinnfreie Humorigkeit mit jeder Karnevalssitzung am Rhein mithalten konnte. Am Main gab es dann noch einen Auftritt bei der IHK, begleitet von einem kleinen Faschingsumzug. GLOSSE

Zuwenig und zuviel - ist aller Narren Ziel.

Unser Karnevalsprinz, Ehrengast des nunmehr 20jährigen DWC, zog in den Saal ein und vom Leder, er wusste, was hier ankommt. Womöglich hatte er Tags zuvor die politischen Aschermittwochsreden im deutschen Fernsehen verfolgt und meinte, mit der Imitation deutscher Stammtischredekunst ein Geburtstagsgeschenk an die Gastgeber zu überbringen: “Warum sollte die EU uns Geld wegnehmen, wenn sie es anderen körbeweise hinterherwirft?” fragte er in die Runde. Es blieb still. Deutsche Spaßbremsen eben. Unsere Antwort wäre ja gewesen, "Weil sie kann...!", aber uns fragte glücklicherweise niemand.

Ministerpräsident Orbán vor der IHK in Frankfurt.

Kaninchen, Schlange und Löwen

Den Kohäsionsfonds für Ungarn ab 2013 einzufrieren, weil den Sozis in Brüssel das Budapester Fernsehprogramm nicht gefällt, sei doch “komplett irrational“. Und überhaupt, ist das ungarische Volk nicht schon genug gestraft durch die „unverantwortlichen Entscheidungen der Vorgänger“, muss die EU nun nocheinmal nachtreten, wo doch ER "das Land vom Abgrund weggeführt" habe? Die Reaktionen im Publikum waren noch zurückhaltend, aber zunehmend aufmerksam.

Orbán attestierte der EU “doppelte Standards” gegenüber Ungarn, wo wir doch in Ungarn schon über einen Standard froh wären und belehrte die Anfänger in Brüssel, dass "Europa nicht aus der Wirtschaftskrise herauskommen kann" solange es sich nicht von seinen „altmodischen, unmodernen Perspektiven“ trennt. Ungarn, sozusagen das Silicon Valley der Demokratie!

Dann lief der Regierungschef langsam zu Hochform auf: seine Regierung werde ihre Wirtschaftspolitik beibehalten, aber auch gesprächsbereit sein, - wenn nötig, versteht sich. Dazu würde er „selbst in die Höhle des Löwen gehen […]". Ok, damit konnte der DWC nicht gemeint sein, denn dessen Mitglieder saßen eher wie Kaninchen vor der Schlange.

 

Den Salonlöwen im Saal strich der große Anstreicher dann Honig um die Mäuler: Die Freundschaft zwischen Ungarn und Deutschland sei von "gleichen moralischen Überzeugungen und Werten" und nicht in erster Linie von Interessen geprägt. Die Ungarn schätzten die Deutschen sehr für ihre "Arbeitsperformance und Zuverlässigkeit". Aber: es gibt dann doch kleine Unterschiede beim „individuellen Temperament“, denn: “Die Ungarn sind Freiheitskämpfer und immer, wenn andere versucht haben, die Freiheit der Ungarn einzuschränken sind diese früher oder später, eher früher, gescheitert.” Nehmt das, ihr Sklavenseelen, hätte er noch hinterherrufen können, aber die Worte wären ohnehin in der tosenden Stille des Saales untergegangen. Die EU darf sich jedenfalls schonmal frisch machen, wenn das ungarische Volk seinen Freiheitswillen erst richtig erigiert.

Stoiber als Orbán-Versteher

Etwas aufgeregt und auch ein klein wenig beleidigt, schob Orbán nach: Wir “sind nicht aufgeregt oder beleidigt” wegen kritischer Bemerkungen bezüglich der Freiheit und Demokratie in Ungarn, sondern "führen das auf ein Fehlen von Grundlagenwissen über das Land zurück". Diejenigen, die denken, es wäre in Ungarn möglich, ein politisches System durchzusetzen, das nicht auf Freiheit und der Anerkennung von Individualismus beruht, “verstehen die Ungarn grundsätzlich falsch”, deklamierte er. Richtig. Denn es geht nicht um die Abschaffung von Freiheit und Demokratie, sondern um die Abschaffung kritischer Bemerkungen dazu. Mit ein wenig ethnographischem Fachwissen ließe sich das bald erreichen. Hungarologie als Pflichtfach an allen EU-Schulen!

Und also, "werden wir unseren Enthusiasmus nicht verlieren, selbst wenn ein Teil der europäischen Bürokraten nicht versteht was hier passiert.“ Es ist zu fürchten, die wissen ganz genau was passiert, auch wenn sie es nicht verstehen, aber auch wir glauben ja, dass Edmund Stoiber, der in Budapest anwesend war, der einzige in der Runde war, der Orbán tatsächlich verstehen konnte, ist er doch im eigenen Land ein genauso Unverstandener, ja Unverstehbarer, wie seine überlieferten, aber unzitierbaren Verteidigungssätze für den Premier belegten, die er zuvor in einer Rede darlegte.

Als Schlusspointe hatte Orbán noch einen im Ärmel: Er erwartet, dass Ungarn in diesem Jahr "eines der aufregendsten Länder für Investoren" wird. Tata, tata, tataaaa. Die Anwesenden nickten eifrig und zustimmend, an Aufregung mangelt es tatsächlich kaum einem von ihnen.

Dem großen Steuermann den Allerwertesten pudern

Der DWC entstand 1992 in einer Zeit, als ein Engagement in Ungarn einem Abenteuer glich, das Land noch seine Exotik bewahrte, unberührt von westlich geschultem Personal oder EU-Normen. Sich in der Szene der deutschsprachigen Investoren zu vernetzen, hatte da einen Sinn, man half sich gegenseitig, man klopfte sich auf die Schultern und man spielte ein bisschen Heimat. Die Zeiten änderten sich, der DWC nicht. Noch immer und immer wieder feierte man die gleichen Rituale vom verantwortungsvollen Investor, die Grillpartys, die Charity und die Vorträge von "Experten".

Das Personal, von ein paar Hängengebliebenen abgesehen, wechselte, die ungarischen Namen auf den Mitgliederlisten nahmen zu, doch, wie es bei Traditionen oft der Fall ist, irgendwann stellt niemand mehr die Sinnfrage. Dabei scheint die Weisheit des DWC-Vorstandes größer zu sein als erahnt, denn es ist ja absehbar, dass “Investieren in Ungarn” wieder das Abenteuer wird, das es einst war, Orbán selbst hatte es gerade verkündet von der geradezu hunnischen Exotik seiner Politik ganz zu schweigen. Hart wird daran gearbeitet, dem Personal die westlichen Normen auszutreiben, kurz: Ungarn ist bald wieder, wo es vor 20 Jahren stand. Auch das ist eine Erkenntnis.

Da kann es sicher nicht schaden, dem großen Steuermann rechtzeitig den Allerwertesten zu pudern, wäre ja nicht der erste, vor dem man für die Rendite gebuckelt hätte. Rechtsstaat hin, demokratische Kultur her, Hauptsache die Steuersätze bleiben unten und man kann noch was mitnehmen bis zum ganz großen Fasten...

Premier Orbán mit Ministerpräsident Bouffier vor der hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden

Big Brother als Kronzeuge der Medienfreiheit

Seinen Auftritt beim DWC scheint Orbán als Aufwärmübung für den eigentlichen Höhepunkt der Karnevalssaison, seine Büttenrede vor der IHK in Frankfurt am Main am Freitag genutzt zu haben. Hier zog er ganz ähnlich vom Leder ("Ich hätte nie gedacht, dass die europäischen Bürokraten so ungeschickt sind..."), zuvor sekundiert von seinem EVP-Parteifreund, Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier, der den Spruch des Tages zum Besten gab: Orbán habe ihm versichert, es sei alles demokratisch in Ungarn und mit den Medien und so. Bouffier konnte das auch ganz verständlich erklären: 90 % der ungarischen Medien würden von Privateigentümern, darunter vielen Deutschen, geführt und die hätten schließlich keine Bedenken gegenüber dem Mediengesetz geäußert.

Wir können dem wissensbefreiten Witzbold gern auch sagen warum: RTL und SAT1Pro7 haben ihre Werbeminuten und Product-Placement-Forderungen fein in den Hinterzimmern ausgehandelt, denn nur um diese Dinge geht es ihnen. Dass uns Bouffier Privatsender oder Schmierblättchen, die mit blanken Busen in Containern ihr Geschäft verrichten, als Maßstab und Kronzeugen für die Freiheit der Medien auffährt, zeigt, für wie narrisch die Politiker das gemeine Volk schon halten.

Orbán-Groupies und Pauschaldemokraten

Apropos narrisch: die Karnevalssitzung bei der IHK in Frankfurt wurde von einigen Dutzend Gegendemonstranten einer Antifa-Initiative kommentiert, die in ihrer unvergleichlich moderierenden Art vor erstarkendem Totalitarismus und vor allem dem Rassismus gegen Roma aufmerksam machten. Richtige Redebeiträge wechselten mit tumben Parolen und Schreiduellen mit Orbán-Groupies, wer nun der größere Faschist oder der dümmere Kommunist ist, wer am wenigsten Ahnung von Demokratie oder Ungarn hat. Wir würden sagen: unentschieden. Der Versuch, den Rednern die Manuskripte zu entreißen und Ansätze von Eierwürfen, setzten dem verspäteten Faschingsspaß die Krone auf, insgesamt kam die Open-Air-Sause vom Klamaukfaktor aber nicht ganz an den Kotau der deutschen Wirtschafts- und Finanznarren heran.

ms. / pk.

 

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