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(c) Pester Lloyd / 09 - 2012     OSTEUROPA   01.03.2012

 

Kampf der Primaten

Die Slowakei vor den Wahlen

Seit der Parlamentswahl 2010 ging es der Slowakei hoch her: Abhör- und Korruptionsskandale, neue Parteien, eine gescheiterte Vertrauensfrage und die Gorilla-Akte – dies alles führte dazu, dass die kommenden Wahlen voraussichtlich eine neue Regierung an die Macht bringen und der Umbruch im politischen System weitergeht. Die Menschen sehnen sich zuerst nach Stabilität und Ruhe und haben die heutige politische Klasse satt. Die Rückehr Ficos könnte aber auch die Rückkehr einer Eiszeit an der Donau bedeuten.

Proteste, kein Faschingsumzug in Bratislava.

Im Juli 2010 kam eine Vierer-Koalition unter Führung der amtierenden Premierministerin Iveta  Rádicová von der konservativen SDKÚ–DS an die Macht, obwohl diese nur die zweitstärkste Kraft hinter dem Nationalpopulisten Robert Fico und seiner sich selbst als sozialdemokratisch bezeichnenden Smer geworden war. Das Regierungsbündnis zerbrach jedoch im Oktober des letzten Jahres als Rádicová mit der Vertrauensfrage bezüglich des europäischen Rettungsschirmes im slowakischen Parlament scheiterte.

Die nationalliberaleen Koalitionspartner SaS (Freiheit und Solidarität) sprachen sich gegen die Griechenlandhilfe aus und somit konnte die Koalition, die noch die multiethnische Most-Híd und die Christdemokraten einschloss, die Regierungsarbeit nicht mehr stemmen. Die Abstimmung war jedoch nur der Schlusspunkt einer Koalition, die von Anfang an auf zu vielen wackeligen Beinen stand, die Konsensfindung benötigte selbst für kleinere Fragen meist sehr lange, andauernde Kompromisse zerstörten jede Regierungslinie und die oppositionelle Smer gewann zunehmend wieder an Zustimmung in der Bevölkerung.

Neuwahlen wurden für den 10. März 2012 veranschlagt. Offiziell begann nun im Januar dieses Jahres der Wahlkampf, der – ähnlich wie in Ungarn – von ideologischen Zuspitzungen und Grabenkämpfe sowie reichlich Populismus geprägt ist. Fico ließ verlauten, dass er für Konfrontationen bereit sei. „Wir wollen eine starke Regierung, sie [die Partei Rádicová] suchen das Chaos.“

Folglich schloss die SDKÚ auch eine Koalition mit Ficos Smer aus, und möchte lieber mit den Christdemokraten und Most-Híd koalieren – sollten diese Parteien es überhaupt wieder ins Parlament schaffen. In den jüngsten Umfragen ist die ehemals stärkste Mitte-Rechts Partei der Slowakei auf knapp über 5 % abgerutscht. Einer der Hauptgründe für diesen Abstieg ist die Tatsache, dass der ehemalige Vorsitzende und Premierminister und jetzige Minister Mikuláš Dzurinda tief in die sogenannte Gorilla-Affäre verstrickt ist.

Hat sich in Kompromissfindungen mit vier Koalitionspartnern zerrieben...

Eine Korruptionsaffäre nahezu aller Parteien

Die Affäre führte diesen Winter zu mehrfachen Massenprotesten in der Slowakei. Es ging um einen Korruptionsskandal, in den nahezu alle Parteien irgendwie verstrickt waren und der nur zufällig ans Tageslicht gekommen ist. Von 2005 bis 2006 hatten Mitarbeiter des slowakischen Geheimdienstes Treffen mehrerer Politiker (unter anderem auch Robert Ficos) mit Mitgliedern des Unternehmens Penta aufgezeichnet. Bei den Treffen ging es um die Privatisierung von Staatseigentum wie den staatlichen Elektrizitätswerken. Der Clou war, dass das Geschehen nur teilweise legal war und Vetternwirtschaft und Korruption bewies.

 

Nach dem Regierungswechsel 2006 wurden die Observierungen beendet und die Akten darüber kamen unter Verschluss ins Innenministerium. Rádicová, die mit der Affäre nichts zu tun hatte, übergab die Akten den zuständigen Behörden. Der eigentliche Auslöser der Proteste war jedoch, die Tatsache, dass die Dokumente an die Öffentlichkeit gekommen sind – sie sind geleakt worden.

Die Affäre trägt immer wieder neue Blüten. Der slowakische Innenminister Daniel Lipšic gab im Januar dieses Jahres bekannt, dass der Chef der slowakischen Anti-Korruptionsbehörde 2008 anordnen ließ, die Gorilla-Akten schreddern zu lassen. Einige Personen der slowakischen Politik und Wirtschaft mussten nach Bekanntwerden ihrer Mitwirkung in der Gorilla-Affäre ihren Hut nehmen müssen. Das Dokument kann hier auf Slowakisch abgerufen werden http://skgorila.tumblr.com/.

Gorilla oder nicht Gorilla?

In einer TV-Show schlug der Wirtschaftsminister Juraj Miškov vor die politische Klasse in “Gorillas und nicht-Gorillas aufzuteilen. Lipšic stimmte dem zu und meinte man solle nicht mehr „zwischen links und rechts, sondern zwischen denen, die etwas zu verstecken haben und denen, die saubere Hände haben unterscheiden“. Zusätzlich zur Gorilla-Akte tauchte auch eine weitere Akte, genannt Sasanka (Windröschen) auf. Bei diesem Fall ging es um Absprachen bezüglich der Wahl zum Generalstaatsanwalt in Dezember 2010, die den Chef der noch aktuellen Regierungspartei Richard Sulik als Lügner hinstellen. Dazu ist auch ein Video aufgetaucht, Sulik gab mittlerweile bekannt, dass er „unter Umständen auf sein Mandat verzichten werde.“

Die Gorilla-Affäre führte zu Demonstrationen mit mehr als 10.000 Teilnehmern. Die nächste Großdemo soll am 3. März stattfinden sowie am 9., dem Tag vor den Wahlen, außerdem hat sich gestern, Mittwoch, eine Menschenkette um das Parlament versammelt.

Die Skandale haben mit dazu beigetragen, dass weitere neue Parteien in der Slowakei entstanden sind. Da wären die 99% – Bürgerstimme, inspiriert von der occupy-Bewegung und die OL´aNO (Gewöhnliche Leute und unabhängige Personen) eine Abspaltung der SaS, die mit der slowakischen Piratenpartei zusammenhängt. Beiden Parteien wird der Einzug ins Parlament zugetraut.

Ex- und Baldwieder-Premier Robert Fico, konnte das Chaos in der Regierung zur eigenen Popularitätssteigerung nutzen...

Nationalistische Tendenzen Instrumentalisierung der Ungarn-Minderheit

Abgesehen von der Gorilla-Affäre sind die hohe Arbeitslosigkeit und eine Reform des Steuersystems wichtige Themen im Wahlkampf. Most-Híd, eine recht junge Partei der ethnischen Ungarn, hat es sich zum Ziel gesetzt den Dialog zwischen der ungarischen Minderheit und der slowakischen Mehrheitsgesellschaft zu fördern.

Seit Jahrzehnten nutzen Nationalisten in Ungarn und der Slowakei die jeweiligen Minderheiten zu populistischen Diskursen aus. So sprach der slowakische Rechtsradikale Jan Slota von der ungarischen Minderheit als der „fünften Kolonne des ungarischen Staates“ und verglich die Slowakungarn schon einmal mit einem Krebsgeschwür. Unter dem ehemaligen Premierminister Robert Fico war Slota´s SNS an der Regierung beteiligt. Die Beziehungen zwischen Ungarn und der Slowakei waren damals auf einem Tiefpunkt.

Der ungarische Premier Orbán gießt noch Öl ins Feuer, in dem er, genauso wie in Rumänien, die radikalere der Ungarnparteien, die SMK, unterstützt und vom Verständigungsprojekt der Most-Híd offenbar nicht viel hält, mit deren Vertretern nicht einmal redete als sie noch in der Regierung saßen. Die doppelte Staatsbürgerschaft, das kommende Wahlrecht für Auslandsungarn sind Punkte, mit denen die Orbán-Regierung ihren Blutsbrüdern in der Slowakei einen ziemlichen Bärendienst erweist.

Ende Januar war Ronert Ficos Smer im Umfragehoch, wohingegen Slota´s SNS mit der 5%-Hürde kämpfen muss. Als zweitstärkste Kraft wurde die christdemokratische KDH gesehen. Sie wollte mit weißen Westen für eine weiße, also saubere Slowakei eintreten. Diese Kampagne geriet jedoch in einige Kritik, hantierte die Partei doch dabei auch mit einem Statement des Nazi-Kollaborateurs Andrej Hlinka von 1920. „Ich werde Tag und Nacht dafür arbeiten, dass sich die rote Slowakei in eine weiße Slowakei, eine slowakische Slowakei, eine christliche Slowakei wandelt.” Eine slowakische Slowakei kommt bei Hunderttausenden Ungarn und Roma vielleicht nicht unbedingt als Botschaft christlicher Nächstenliebe an.

Populist Fico vor der Rückkehr an die Macht

Als stärkste Partei kann Ficos Smer derzeit mit ca. 35-40 % der Stimmen rechnen, eine absolute Mehrheit der Mandate wird für möglich gehalten. Womöglich kehrt dann aber auch die Eiszeit zwischen Ungarn und der Slowakei an die Donau zurück. Der Boden ist immer noch gefroren, denn das Tauwetter unter Rádicová war viel zu kurz. Zu verbohrt und zu lautsark arbeitet die ungarische Regierung an ihrem "Großkarpatenprojekt" als das es nicht von den slowakischen Populisten und Nationalisten als Wahlkampfhilfe aufgenommen werden müsste.

Die Menschen trauen der Smer jedoch in erster Linie mehr Stabilität und Kontinuität zu, Eigenschaften, die nach dem Chaos der letzten Monate als wahlentscheiden gelten dürfen. Immerhin scheint die nationalistische SNS dauerhaft geschwächt, womöglich gar nicht mehr im Parlament vertreten.

Philipp Karl

 

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