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(c) Pester Lloyd / 10 - 2012     POLITIK   06.03.2012

 

Abriss der Geschichte

Protest gegen Denkmal-Abriss am Parlament in Ungarn

Die ungarische Regierung hat beschlossen, den Platz vor dem und um das Parlament in den "Zustand von vor 1944" zurückzuversetzen, was auch den Abriss einer dort befindlichen Statue des Gründers der Ersten Ungarischen Republik, Graf Mihály Károlyi, bedeutet, ganz im Sinne der “Ausmerzung des Kommunismus”.

Dagegen protestiert die sozialistische Partei MSZP entschieden, doch auch andere Oppositionsgruppen und Intellektuelle warnen vor einem selektiven und manipulativen Umgang mit Geschichte. Károlyi gründete nach dem Ersten Weltkrieg, nach einer friedlichen Machtübernahme, eine demokratische Republik, die im März 1919 von der am Bolschewismus orientierten Räterepublik Bela Kuns weggeputscht wurde. Károlyi kann als links im Sinne seine Engagements für die Schwächeren der Gesellschaft, seriöserweise aber nicht als kommunistisch bezeichnet werden.

“Ich bin Schuld an Trianon”, dazu eine jüdische Kippa. Eine Szene, ganz im Stile der Nationalsozialisten. Daneben grinst ein Parlamentsabgeordneter und Rechtsanalt der Partei Jobbik.

Der Abriss hat jedoch keineswegs restauratorische Gründe, Geschichtsrevisionismus und zentralistische Geschichtsdeutung wie in Zeiten des Stalinismus sind unter dieser Regierung Alltag geworden, auch die Pauschalisierung alles nicht Nationalkonservativen als "kommunistisch" ist heute an der Tagesordnung. Eine ganze Reihe Beispiele für den manipulativen Umgang mit Geschichte haben wir im vorletzten Absatz dieses Beitrages aufgeführt und verlinkt. Orbán selbst hatte erklärt, dass der Kommunismus das schlimmste Verbrechen des 20. Jh. sei, dessen Ausmerzung sein Ziel ist, ebenso wie der “Sieg über die Linke”. Die beiden Weltkriege deklarierte er in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen zu einem “Bürgerkrieg unter Christen”, nur eine von vielen Wunderlichkeiten amtlicher ungarische Geschichtsinterpretation.

Die oppositionelle MSZP hat am Montag auf einer Pressekonferenz offiziell gegen die Umbauarbeiten auf dem Areal am Kossuth tér protestiert, offenbar wolle Orbán auf dem Platz ein "Zentrum seiner eigenen monströsen Diktatur" errichten. Die Begründung eines Rückbaus auf den Zustand von 1944 lässt sich durchaus auch auf die Gesellschaftspolitik dieser Regierung übertragen, meinte Parteivorstand Csaba Horváth, ohne zu erwähnen, wie tätig man beim Abriss der dritten Republik selbst war.

Der Abriss der Statue sei nicht nur ein "Angriff auf die Republikaner", sondern auch eine Verbeugung vor der extremen Rechten (Abgeordnete der Jobbik hatten das Denkmal mehrmals öffentlich geschändet, siehe hier. Man werde aber Wege finden, nicht nur die Statue Karólyis wieder aufzubauen, sondern auch die Republik, so die MSZP.

Der Herr, der hier posiert, ist übrigens der Bürgermeister der Gemeinde Gyöngyöspata. Sein hier demonstriertes Menschenbild lebt er auch im Hauptberuf aus. Siehe hier.

Neben der Statue von Graf Károlyi befindet sich am Kossuth Platz auch das Denkmal (Ewige Flamme) für die Opfer von 1956, das bei der vorliegenden Begründung auch abgerissen werden müsste, man hat aber die Grenze für die "Rekonstruktionsarbeiten" wohlweislich genau davor gezogen. In Sichtweite des Parlamentes steht auch eine Statue von Nationalheld Imre Nagy, von den Stalinisten nach 1956 hingerichtet, aber doch eben auch Sozialist, den wohl nur noch der Umstand rettet, dass Premier Orbán mit einer Rede an dessen Sarg, bei der Umbettung 1989, seine politische Karriere begann.

red.

 

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