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(c) Pester Lloyd / 11 - 2012     FEUILLETON   14.03.2012

 

Totalumbau

Der Kossuth Platz als Zeuge von Betrug und Selbstbetrug in Ungarn

Die Regierung hat nun auch offiziell ihre Ambitionen zur Umgestaltung des Platzes rings um das Parlament geäußert. Der Kossuth Platz solle "seine alte Pracht" wiederbekommen und den "traditionellen Zustand von vor 1944" respektieren. Kritiker meinen, die Regierung wolle das ganze Land in den Zustand von vor 1944 zurückversetzen, wofür mehr spricht als nur die Umgestaltung dieses symbolischen Platzes.

Bis Frühjhar 2014 soll der "Nation ein Platz gegeben werden, ....der mit einer Hommage an die Vergangenheit als Monument verdienter Staatsmänner und Helden der demokratischen Traditionen Ungarns dienen soll." Wer diese sind, bestimmen "wir". Denn einbegriffen wird die Beseitigung unerwünschter geschichtlicher Spuren sein, wie das Denkmal des Mitgründers und ersten Präsidenten der Ersten Republik, Graf Mihály Károlyi. Dieser ist der ungarischen Rechten ein Dorn im Auge, weil es nicht sein kann, dass ein "Linker" Vernunft und demokratische Prinzipien beherzigen wollte (und damit scheiterte). Seit einigen Monaten ist es Mode bei rechten Abgeordneten, sich mit Schändungen des Denkmals zu produzieren.  Doch man entfernt nicht sie, sondern das Objekt der Schändung.

Graf Mihály Károyli proklamiert im November 1918 die Ungarische Repbulik - auf dem Kossuth tér. Mehr zu den Ereignissen von 1918 in Tage im November. Foto unten: der Jobbik-Bürgermeister von Gyöngyöspata kürzlich am Denkmal. In seiner Gemeinde gibt es keine Sozialisten, dafür jede Menge Zigeuner...

So gesehen müsste jedoch auch Imre Nagy, der Reformsozialist, weichen, hätte man das Thema 1956 über die Jahre nicht erfolgreich zum allein antikommunistischen Aufstand uminterpretiert und Nagy als Ikone des allgemeinen ungarischen Freiheitskampfes zwangsadoptiert. Oder was macht József Attila, der Dichter der Armen, noch auf dem Platz, wo doch nur noch "Steuerzahler das Land am Leben erhalten" und Obdachlose ins Gefängnis wandern können...?

Politische "Hauptbühne" des Landes

Die Regierung outet sich in ihrer schriftlichen Erklärung zur Platzumgestaltung umstandslos, in dem sie den Kossuth Platz zur "politischen Hauptbühne" erklärt. Es ist also alles nur Theater. Daher wird der "Traditionen bewahrende Platz" auch "multifunktional und modern" sein, das Volk lockt man mit dem Hinweis, dass in der guten alten Zeit viele kleine, nette Cafés am Rande zum verweilen einluden, warum sollte man das nicht wieder erschaffen wollen, wird rhethorisch gefragt. Das Areal solle künftig "jene willkommen heißen, die sich erholen oder das Parlament besuchen wollen, aber auch jene Protestler, die ihre politischen Rechte ausüben möchten." Fragt sich nur wie, wenn bald überall "Grünfläche, Betreten verboten!"-Schilder stehen werden. Vergessen wir nicht, dass der “Zustand von vor 1944” auch frei von Andersdenkenden, ein paar Monate später auch “judenfrei” bedeutete.

Kleinbürgerliche Idylle am Kossuth tér in den Vierziger Jahren. Der Traum auch dieser Regierung?

Städtebaulich sinnvolle Umgestaltungen

Rein städtebaulich hat der Platz tatsächlich dringend eine Renovierung nötig. So verschwindet der Abgeordnetenparkplatz unter die Erde, Fidesz-Fraktionschef Lázár braucht seine Sportwagen also zukünftig nicht mehr umständlich verstecken. Das Parlament wird ein Besucherzentrum bekommen, ebenfalls unterirdisch, was einen gewissen Hinweis auf die Qualität des hiesigen Parlamentarismus gäbe, wäre der Witz nicht allzu billig. Hinfort müssten Touristen nicht mehr "bis zu vier Stunden" im Freien warten, nun warten sie eben im Keller.

Die heutige Tristesse und ein Planungsmodell für eine Neugestaltung,
aber noch nicht endgültig so beschlossen.

Der Platz soll insgesamt "grüner werden, raumgreifender, ästhetischer und harmonischer". Der gesamte Platz soll zukünftig für den Autoverkehr gesperrt werden, nur Straßenbahnen und Radler werden zugelassen, endlich soll auch die Donaupromenade für Spaziergänger geöffnet werden, der Uferbereich wird wiedereröffnet, so dass man ab Frühjahr 2014 das dann angeblich vollständig restaurierte Parlament (was Experten für schlicht unmöglich halten) komplett umrunden können wird.

Ein zweiter Heldenplatz für die Fidesz-Regierung

Dass der Platz eine Renovierung nötig hatte, ist also unbestritten, auch dass sich Machthaber Monumente ihres Wirkens und ihrer vermeintlichen Bedeutung schaffen, ist nichts Neues, Politik kommt ohne Symbole nicht aus. Doch auch wenn sich die Orbán-Regierung in ihrer Begründung für den Totalumbau des Platzes vor dem Parlament mit historischen und städtebaulichen Argumenten abmüht, ist die politische Intention nicht zu verbergen. Es geht um Deutungshoheit, eine Art zweiter Heldenplatz. Dass man all den Aufwand nur betreibt, um sich der Károlyi-Statue zu entledigen, wäre zu weit hergeholt. Sie als ideologische Unpässlichkeit umstandslos zu entfernen, passt aber ins hässliche Bild:

Heißt es künftig für bestimmte Demonstranten: Grünfläche - Betreten verboten?

Schließlich ist die "Restauration" des Kossuth Platzes nur ein Beispiel manipulativen Umgangs mit Geschichte im heutigen Ungarn, dutzendweise wurden Plätze und Straßen um- und neu benannt, Statuen aufgestellt und abgeschraubt. Die "Befreier vom Kommunismus", Papst Johannes Paul II. und Ronald Reagan, kommen zu Würden, dafür musste sogar ein Platz der Demokratie weichen, der Moskauer Platz ohnehin. Trianon-Denkmäler und Turul-Statuen schießen in der Provinz wie Pilze aus den Böden, sogar Gyula Gömbös, "Ungarns erster Nazi" wird wieder geehrt, dass man damit den Neofaschisten mit ihren Runen-Schildchen Vorlagen liefert, wird zumindest hingenommen.

Geschichtsrevisionismus als Regierungsprogramm

 

Bis in die Museen reicht der lange Arm der "Geschichtsversessenen". Das Trauerspiel um die Mannschaft der Holocaust-Gedenkstätte, die auf Weisung eines Staatssekretärs hin ausgetauscht wurde, weil dem die dort eingeordnete Nähe des verklärten Autokraten Horthy zum faschistischen Deutschland und eine womögliche Mittäterschaft Ungarns an Krieg und Holocaust nicht gefiel, ist die Spitze des allgegenwärtigen Revisionismus, und Teil des Opfermythos` (hier mehr zum Stichwort Tiranon), eines ganz besonders schrägen Lebensliedes der Ungarn. 1944 ritt Horthy übrigens im Siegeszug über den Kossuth Platz, als er - im Pakt mit Hitler - die Eroberung der “ungarischen” Gebiete in Rumänien, der Tschechoslowakei und Serbien für vollendet sah. Mehr zum Thema: DoppelpassWahlrecht für AuslandsungarnFörderung von Separatisten

Historische Fakten und Zusammenhänge spielen nicht einmal im schulischen Geschichtsunterricht, der aus einer Auswahl wahllos aneinandergerreihten Heldensagen besteht, eine Rolle, warum sollten sie es dann in den Museen? Gerade wird von Bildungsstaatssekretärin Rózsa Hoffmann, dieser Furie der Gegenaufklärung, ein neuer "Leitfaden" für den Geschichtsunterricht geschaffen, sie könnte den seriösen Geschichtslehrern des Landes aber auch gleich einen Strick überreichen. Interessant wird sein, ob darin der Zweite Weltkrieg auch als "Bürgerkrieg unter Christen" postuliert wird, wie dies Premier Orbán tatsächlich in einem Interview für die Frankfurter Allgemeine tat. Was er sagt, ist in Ungarn heute Gesetz.

Wer schützt die Demokratie vor den “Demokraten”?

Peinlichkeiten und kultureller Häuserkampf

Dass der Oberbürgermeister der Hauptstadt einen Elvis-Presley-Platz schuf, weil der mit einem Radiosager, an den sich niemand außer dem OB mehr erinnern konnte, plötzlich zum "Helden von 1956" wurde, ist dabei nur das skurrilste Beispiel des politisch kalkulierten Kulturkampfes. Auch die peinlichen Auftragsschinken zur "jüngeren Geschichte" des Landes liefern nur auf den ersten Blick den Grund für ein mildes Lächeln, denn mit diesen geht der Mittelentzug für die freie Kunst- und Kulturszene einher, wo sprichwörtlich im Häuserkampf um die Hoheit in allen nur denkbaren Kultureinrichtungen gestritten wird.

Mehr dazu in diesem aktuellen Beitrag mit vielen Links
zu den Kämpfen in und um die Kulturszene des Landes.

Die "nationale Agenda" dieser Regierung kennt zwei Maßgaben: überhöhter, pauschaler Antikommunismus zur Diffamierung des politischen Gegners (in diesem Sinne ist auch das aktuell geschaffene "Sozialistengesetz" zu sehen) und die Verbreitung eines nationalen Wir-Gefühls für das "gesamte Karpatenbecken", für das man sich eine "allkarpatische Staatsbürgerschaft" wünscht.

Spiegel von Vernachlässigung und Größenwahn

Der Feind der Ungarn sind nicht etwa maßlose Politiker oder ein durchgängig ungerechtes Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell, sondern äußere und innere Feinde, die seit dem 10. Jahrhundert nichts anderes im Sinn haben als das Magyarentum zu vernichten. Das klingt platt und ist es auch, ist aber gängiges Vokabular der heutigen Superungarn mit der einfältigen Kopie eines Präsidenten und seinem Kaiser ohne Kleider an der Spitze, sekundiert von Klerikalclown und Vizepremier Semjén und dem verbalen Reichsfleischermeister und Parlamentspräsidenten Kövér in der zweiten Reihe Spitze, der einem Nachbarland schonmal in einem Nebensatz den Krieg erklärt.

Mit den Lügen und Methoden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wird heute in Ungarn wieder Politik gemacht, auch wenn diese in mehrere Katastrophen führten. Betrachtet man, was geschieht, ist die Beibehaltung des Namens Kossuth für diesen Platz eine Art von Leichenschändung.

So wie die Vernachlässigung des Kossuth-Platzes durch die "sozialliberalen" Vorgänger deren Politik gegenüber dem eigenen Land spiegelte, die Absperrungen 2006 und 2008 ihre Einstellung zur Demokratie offenbarten, wird dessen "Restauration" zum Kronzeugen von Betrug und Selbstbetrug der alten wie neuen Regierungen und ihrer Anhängerschaft. Das einzig tröstliche ist, dass der Platz älter wurde als jede Ideologie, die sich auf ihm austobte.

ms.

Wer wissen will, was sich nicht nur vor,
sondern im Parlament abspielt, dem sei
diese Reportage empfohlen.

 

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