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(c) Pester Lloyd / 11 - 2012     POLITIK   15.03.2012

 

Verwirrung in der Vorhölle

Die parlamentarische Woche in Ungarn

Zugegeben, richtig viel war eigentlich nicht los, wären da nicht die Slowakei, die Vergangenheit und Vizepremier Zsolt Semjén, in dem wir unser Parlaments-Maskottchen der Woche fanden. Deklarationen und Berichte, Beschwerden und Anschuldigungen, das übliche Buffett republikanischer Tristesse wurde angerichtet, der Wehretat wird verdoppelt und Sozis sind sogar zu blöd zum Knöpfe drücken.

Einsamer Rufer in der Wüste. Vizepremier Zsolt Semjén, im Hintergrund seine größten Fans, ganz rechts der Mantel des Schweigens.

Wahlen in der Slowakei mit ungarischer Beteiligung

Doch zunächst stand ein innenpolitisches Thema ersten Ranges auf der Tagesordnung: die Wahlen in der Slowakei waren auszuwerten. Immerhin siegte im Nachbarland, dessen Süden nicht wenige unserer Abgeordneten als Norden des eigenen Landes betrachten, mit Robert Fico ein Politiker, mit dem man in seiner ersten Amtszeit nicht gerade gute Erfahrungen gemacht hatte, zumindest, wenn man gutnachbarschaftliche Beziehungen wirklich anstrebt. Denn Fico, nun ausgestattet mit einer absoluten Mehrheit der Mandate, ist Premier Orbán ein ebenbürtiger Gegner, genauso kleinlich, genauso nationalpopulistisch und ebenso rachsüchtig, wie die Retorukutschen auf das Staatsbürgerschaftsgesetz und auch seine Rhetorik gezeigt hatten. Dass er sich als Sozialdemokrat vermarktet, macht die Sache für Orbán in gewisser Weise leicht, denn so ist das Feindbild wenigstens komplett.

Die Oppositionsparteien im ungarischen Parlament kritisierten die offene Einmischung von Fidesz-Führern in die Slowakei-Wahlen und den Aufruf zur Unterstützung der Fidesz-treuen SMK. Wie berichtet, hatte das ungarische Staatsfernsehen die "Landsleute" in "Oberungarn" zur besten Sendezeit zur Wahl aufgerufen, mit dem Hinweis, dass das "Schicksal der Nation in ihren Händen", genauer in ihren Kugelschreibern liege. Hätte Fidesz auf die Spaltarbeit zwischen der radikal-nationalistischen SMK und der moderaten, weil auf Versöhung ausgerichteten Most-Híd, verzichtet, könnten beide Parteien zusammen heute die zweitstärkste Kraft im Parlament in Bratislava stellen, so schaffte es die Most-Híd, die zuvor an der Regierungskoalition beteiligt war, gerade knapp auf über 5%, die SMK blieb knapp darunter und damit draußen.

Vizepremier gegen “Christenverfolgung” auf der Insel

Der hauptamtliche Nationenschützer und Vizepremier Zsolt Semjén zeigte sich „empört über diese Anschuldigungen“ und sagte, dass es weiter "nur die SMK" sei, die als Partner "im Kampf gegen die Assimilisation der ethnischen Ungarn" in Frage kommen, denn "interethnische Parteien sind die Vorhölle der Assimilisation". Die SMK wolle er demnächst regelmäßig zu Parlamentssitzungen nach Budapest einladen. Zeit hätten sie ja. An der Stelle wäre es interessant zu wissen, ob sich Semjén vom vatikanischen Nuntius in Budapest, also quasi seinem Führungsoffizier, vorher die Erlaubnis zur Erweiterung der kirchlichen Dogmen um eine "slowakische Assimilsationsvorhölle" eingeholt hat, nicht dass ihn noch unerwartete Bannstrahlen treffen.

Wer als erster blinzelt, hat verloren. Irgendwie muss man sich ja die Zeit vertreiben,
wenn die Opposition spricht.

Für Semjén geht das Karpatenbecken, dank einer intellektuellen Plattenverschiebung seit neuestem übrigens bis über den Ärmelkanal. In einer geradezu enzyklischen Ansprache verteidigte er diese Woche zwei Briten, die für das Recht des Tragens des Kreuzes während der Arbeitszeit vor Gericht zogen und wandte sich gegen die "Christenverfolgung" mitten in der EU, besonders betonte er die Unterdrücken der katholischen durch die abweichlerische anglikanische Staatskirche. Dabei ist das Tragen des Kreuzes am Arbeitsplatz schließlich etwas ganz normales, Pfarrer tragen welche, ach was, das ganze ungarische Volk trägt sein Kreuz und Semjén sitzt oben drauf, wegen der besseren Übersicht.

Grüne und andere Nervensägen

Die grün-liberale Partei LMP entwickelt sich immer mehr zu einer Fraktion von Nervensägen. Nachdem die Regierungsfraktionen am 20. Februar eine LMP-Vorlage zur Öffentlichmachung der Stasiakten abschmetterte, mit der so schlüssigen wie historisch verantwortungsvollen Begründung, dass "Informationen, die in Unrechtssystemen gesammelt wurden, nicht dem Einzelnen, sondern der Gemeinschaft gehören", zeigt sich Fidesz anscheinend bereit einer erneuten Parlamentsdebatte über den Geheimdienst während des Kommunismus zuzustimmen. Die vorherige war ziemlich aufschlussreich, der Bericht über “einen Tag im Parlament ist es ohnehin.

Der LMP geht es dabei jedoch nicht so sehr um die Informationen, sondern eher die Informanten, was geschätzt rund 200 personifizierte Gegenargumente vor allem der beiden größten Fraktionen MSZP und Fidesz-KDNP auf den Plan ruft, die eine transparente Lösung bis zum jüngsten Gericht, um im Semjénschen Duktus zu bleiben, verhindern wird. Aber drüber reden kann man ja mal wieder.

Überhaupt die LMP, die wollen nicht nur Stasispitzel outen, sondern auch ein Gesetz, das sämtliche Kontakte von Parlamentariern mit Lobbyisten öffentlich macht. So kann doch kein Mensch mehr arbeiten. Der Ehrgeiz der grünen Weltverbesserer geht schon so weit, dass sie sogar fordern, die Parteifinanzen und die Wahlkampffinanzierungen aller Parteien offenzulegen. Natürlich, wer nichts hat, hat leicht reden. Nur Neid und Missgunst können derartig abartige Vorschläge an die parlamentarische Luft ventilieren.

Fidesz-Fraktionschef Lázár erklärt Nervensäge Schiffer von der LMP wie man im Parlament Haltung bewahrt, in dem man nämlich einen Besen nimmt und ihn direkt hinxxxxxxxxxx

Weil wir gerade bei Nervensägen sind. Der parlamentarische Ombudsmann für Grundrechte, Maté Szabó, der sowohl als Person wie als Institution ein Auslaufmodell darstellt, hat eine Beschwerde an das Verfassungsgericht geleitet, weil er Zweifel an der "Rechtsstaatlichkeit" einiger vom Fidesz im Dezember in letzter Minute durchgedrückte Gesetze hat. Dabei geht es um sogenannte "Übergangsgesetze", die zwar Teil der neuen Verfassung sind, aber bereits vor Inkraftreten selbiger in Kraft traten, um "den Übergang vom alten zum neuen Rechtssystem" zu erleichtern.

Der Ombudsmann legte dar, dass es für Beschwerdeträger unmöglich ist, gegen solche Gesetze vorzugehen, da sie sich von der Geltung her ständig selber Beine stellen, was zu einer juristischen Stolperei führt. Da Einzelpersonen das Verfassungsgericht nicht mehr anrufen dürfen, tat dies nun der Ombudsmann als parlamentarische Körperschaft. Eigentlich erledigt er damit den Job des Staatspräsidenten, dessen vornehmliche Aufgabe die Prüfung auf rechtsstaatliches Zustandekommen von Gesetzen sein sollte. Doch unser National-Xerox hat im Moment andere Sorgen und Fidesz wird bald dafür sorgen, dass das Ombudswesen bald zum Niveau unseres Präsidialamtes aufschließt.

Fermentierte Helden: der Balsai-Report - Sigmund Freud zu Gast bei der MSZP Fraktion

Allein Fidesz war in der Lage, das Hohe Haus wieder auf den Weg der praktischen Vernunft zu führen. Wichtigere Anliegen als Rechtsstaatlichkeit und Transparenz harren der Aufarbeitung. Zunächst wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss für die Malév-Pleite, genauer, die Privatisierung eingesetzt (Schuld: MSZP), sodann das Gedenken an die Opfer stalinistischen Terrors in Form einer öffentlichen Erklärung offiziell gemacht. Direkt im Anschluss stimmte das Parlament dann dem Balsai-Report zu, der den "Gyurcsányschen Terror" aufarbeitet. Hier der Original-Bericht

Die gewaltsamen und unrechtmäßigen und zum Teil systematisch angewiesenen Übergriffe von Polizisten gegen auch friedliche Demonstranten im September und Oktober 2006 stehen darin im Fokus. Etliche Polizisten stehen deswegen vor den Gerichten, einige Verurteilungen gab es bereits. Doch das genügt nicht, in einer Endlosschleife käuen Fidesz, mehr noch Jobbik, ganz besonders Reichsamazone Kriszitna Morvai (die übrigens am Bericht mitschrieb) die damaligen Ereignisse wider, wobei jedes Mal ein Stückchen mehr Wahrheit verdaut wird. Es soll nicht wundern, wenn 2006 in ein paar Jahren zum zweiten 1956 fermentiert wird.

Dabei stellt kein seriöser Betrachter der damaligen Ereignisse deren Schändlichkeit in Frage, schließlich hatte das Volk über diese "Demokraten" 2010 ja ein deutliches Urteil gefällt. Dass die von rechten und ultrarechten Kräften angeheizten Angriffe auf den öffentlichen Frieden, fast tägliche Straßengewalt und die Erstürmung und Brandstiftung des Fernsehgebäudes, inkl. lebensbdrohlicher Attacken auf Polizisten aber irgendwie Teil der ganzen Geschichte sind, wird im Bericht als Mitursache ausgeblendet.

 

Was ein wenig beängstigt, ist der Umstand, dass Balsai mittlerweile Verfassungsrichter ist. Uns würde dabei seine und die Position der Regierung zu den "Helden von Valencia" interessieren. Dort knüppelten Polizisten wahllos auf Schüler ein, weil die nicht in ihrer Schule frieren wollten. Eigentlich ein klassischer Fall für einen Aufschrei aus dem freiheitsliebenden Ungarn. Freilich taten die dortigen Beamten das im Auftrag der spanischen EVP-Freunde, mithin für die Demokratie, wahrscheinlich trugen sie während des Einsatzes sogar Kruzifixe um den Hals, weshalb man das alles nicht miteinander vergleichen kann. Richtig, Semjén?

Ihrer Schuld einsichtig stimmten vier MSZP-Abgeordente, einschließlich des früheren Parteichefs László Kovács, reumütig für den Balsai-Bericht. Nur so kann es gewesen sein, auch wenn diese Parlamentarier anschließend in einer Aussendung feststellten, sie hätten sich schlicht am Abstimmungspult verdrückt. Sigmund Freud, Gott und Zsolt Semjén wissen, dass es nicht so war.

Überall Feinde

Überall Feinde. Wenn wir in den letzten zwei Jahren etwas von Fidesz gelernt haben, dann das. Daher ist es  nur logisch, dass Ungarns Verteidigungs-Budget aber deutlich anzuheben ist. Zunächst soll der Verteidigungs-Haushalt auf dem jetzigen prozentualen Niveau bis 2015 beibehalten werden. Ab 2016 ist vorgesehen das Budget jedes Jahr um 0,1 % des BIP (ca. 100 Mio. EUR) zu erhöhen, bis ein Anteil von 1,39 % des BIP erreicht, d.h., wenn es bis dahin noch eins gibt. Dies würde eine Verdopplung des prozentualen Anteils am BIP bedeuten, da heutzutage das Verteidigungsbudget sich bei ca. 0,7 % befindet. Offizielle Begründung: die Nato-Vorgabe von 2 % wurde bislang nie von Ungarn erreicht.

Da ist man schon baff. Dass man sich Vorgaben fremder Mächte beugt, das war zuletzt nicht die aktuellste Mode an der Donau. Dabei hieß es doch kürzlich, "Brüssel ist das neue Moskau", Brüssel ist aber auch NATO-Sitz, ist es also auch das neue Washington? Freund Semjén hätte uns womöglich noch den Zusammenhang zwischen dem Wehretat und der Slowakei-Wahl erläutert, aber die Glocken läuteten schon zum Abendgebet...

red. / pk. / al. / cs.

 

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