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(c) Pester Lloyd / 13 - 2012     GESELLSCHAFT   26.03.2012

 

Mentalpuszta an der Isar

Orbán und seine Hyper-Ungarn in Deutschland

Ungarn will wieder Musterschüler werden. Das zumindest kündigte Ministerpräsident Viktor Orbán in einem Fernsehinterview für den Bayerischen Rundfunk an. Bei all seinen öffentlichen Auftritten in Bayern wurde Orbán von jubelnden Exilungarn und deren Nachfahren geradezu hysterisch begrüßt. Eine besonders nervtötende Fraktion macht sich, im Verein mit simpel gestrickten deutschen Konservativen gerade daran, den demokratischen Europäern ein X für ein Ú zu verkaufen.

Wie man sieht, wildert Orbán allmählich in der selben Altersgruppe wie sein Vorgänger Gyurcány, die Gehaltsgruppe unterscheidet sich freilich...

Letzte Woche am Donnerstag war der ungarische Premier einen Tag zu Gast in Bayern, traf sich mit Industrievertretern (Audi, Siemens), Finanzminister Söder und dem Ministerpräsidenten des Bundeslandes, pardon Freistaates, Horst Seehofer. Das ganze war Teil seiner "Charmeoffensive", mit der er über die Investoren das politische Deutschland zu überzeugen sucht, seine gewichtige Stimme gegen die Sperrung von EU-Mitteln im Rahmen des Defizitverfahrens einzusetzen, über die im Juni in Brüssel erneut abgestimmt wird, auch wenn er nicht die von der EU-Kommission geforderten strukturellen Haushaltsmaßnahmen ergreift. Es ist schon absehbar, dass sich Merkel aus ideologischer Räson auf einen faulen Deal mit etwas Kosmetik einlassen könnte. Hier mehr dazu.

Bei all seinen öffentlichen Auftritten wurde Orbán von jubelnden Exilungarn geradezu hysterisch begrüßt, es waren die üblichen Transparente von "Keine Lügen über Ungarn", "Viktor wir sind mit Dir" etc. zu sehen, Blumensträuße wurden überreicht, kurze, herzzerreißende Treueansprachen waren zu vernehmen, vereinzelt flossen Tränen (der Freude), geradezu tumultartige Begeisterung schwappte durch die Landeshauptstadt. Wenn die Groupies sich noch für gleiche Kleidung entscheiden, sind sie von Nordkoreanern kaum mehr zu unterscheiden.

In dem am Sonntag ausgestrahlten Fernsehinterview lieferte Orbán seine für den Westen und das eigene Publikum feingetunte propagandistische Mischung. Zum einen erklärte er, ein glühender Europäer zu sein, denn Europa stehe für ihn gleichbedeutend mit Frieden. Andererseits kam aber, pflichtschuldig seiner Anhängerschaft, wieder die Story von der internationalen Verschwörung der Linken, über die die heimischen Sozialisten versuchten, die Macht in Ungarn zurückzuerobern.

Tumultartige Freude, Transparente von ewiger Treue...

Im übrigen ging es Ungarn im Jahr seiner Machtübernahme 2010 schlechter als Griechenland (was makroökonmisch schlicht falsch ist), doch Ungarn werde - unter seiner Führung - wieder seinen Status als "Musterland" der Region zurückfordern. Alles was er tue, einschließlich der neuen Verfassung und der 360 neuen Gesetze, diene diesem Ziel und im übrigen könnten die Ungarn sehr wohl auf eigenen Füßen stehen. Andererseits wäre "kein Frieden auf dem Kontinent, gäbe es keine EU".

Die zahlreichen Exilungarn (bzw. Deutsche mit ungarischen Wurzeln), die ihm während seiner Reisen zujubeln und gerne auch als brüllende Claque auf diversen Veranstaltungen auftreten, stecken auch in einigen der deutsch-ungarischen Freundschaftsgesellschaften und leisten dort massive propagandistische Lobbyarbeit, um die Story von der Verschwörung linker und anderer "nicht ungarisch fühlender" Kreise gegen Ungarn im Sinne des Fidesz weiterzuerzählen. So wird gerade versucht, eine SPD-Initiative im Bundestag, die lediglich "Sorgen" um neue Gesetze zum Ausdruck bringt, massiv zu diffamieren.

Als Sekundanten können diese Exilungarn fest auf die CDU/CSU-Kameradschaft in Deutschland und der EU zählen, die, hinsichtlich des Einsatzes für demokratische und rechtsstaatliche Grundprinzipien gerade ein entlarvendes Bild abgibt, in dem sie jede noch so dämliche Phrase aus Budapest nachplappert, weil es bei den konservativen Blockparteien einfach ein Unding ist, einen der ihren wegen solcher "Kleinigkeiten" zu kritisieren. Dabei wird immer offenbarer, dass die konservativen Kreise geradezu sehnsuchtsvoll-schwärmend auf die absolute Macht von Viktor Orbán schauen, was den deutschen Wählern einen dringlichen Hinweis geben sollte, was diese mit selbiger wohl auch in Deutschland veranstalten würden, wenn man sie lässt.

In Bayern, aber auch in Baden-Württemberg, fällt der ahistorische Insulanismus Orbáns auf fruchtbarsten Boden, sind hier Revanchsimus und Vertriebenennostalgie praktisch immer noch mentale Staatsdoktrin. Und so kann es eben kommen, dass irgendwelche dahergelaufenen Vertriebenenfunktionäre, für die Oder und Neiße einfach zwei Binnenflüsse sind, Europäern Belehrungen in Demokratie erteilen, weil man sie in Ungarn gefährdet sehen könnte.

Der orbántreue Teil der Exilungarn agiert dabei nur vordergründig politisch, ihre Triebkraft ist eher tiefenpsychologischer Natur. Wie viele Menschen, die ihre Heimat verlassen haben oder verlassen mussten, neigen sie zur Überhöhung und Romantisierung der "alten Zeiten". Häufig kamen die in Deutschland lebenden Ungarn in der Folge des 1956er Aufstandes gegen das stalinistische System. Sie sind deshalb oft (nicht immer, viele sind auch in Europa angekommen und hüten sich vor der Nähe dieser "Superungarn") besonders treue und lautstarke Orbán-Anhänger, weil sein historisierendes Ungarn-Bild ihnen in gewisser Weise ihren Heimatverlust, bzw. den Verlust dessen, was sie sich von der Heimat einbilden wollen, ersetzt und er ein klares Feindbild zeichnet.

Wer nicht für uns ist, ist Kommunist, was wieder dem simplen Weltbild vieler CDUler sehr entgegenkommt, die ja noch im Kalten Krieg geschult wurden und seit dem auf der Stelle paddeln. Noch übler sind jedoch die Nachfahren dieser Emigranten dran, die ihr Ungarnbild samt ihrem Namen aus zweiter Hand mitbekommen haben und den Mangel an Kenntnis mit einem Überschwang an Meinung und Mitteilungsbedürfnis kompensieren. Sie merken oft schon gar nicht mehr das allgemeine Kopfschütteln, das sie umgibt, weil sie es in ihrer gefühlsduseligen Schieflage für zustimmendes Nicken halten.

Nur sie haben das Recht auf ein Urteil, nur sie sind "Ungarns Stimme", die "Wahrheiten" verbreiten kann, selbst, wenn man sie gar nicht hören will. Da wird alles Unangenehme ausgeblendet, noch aus jedem demokratiepolitischen Hundehaufen, der in Budapest in den Rasen gesetzt wird, eine Rosine der Großartikgeit gepickt und jeder Kritiker als bösartig und/oder ahnungslos etikettiert, der den Misthaufen als das bezeichnet was er ist, weil er sogar von Budapest bis München stinkt.

Diese westlichen Auslandsungarn (auch in Österreich gibt es übrigens ein seltsames Panoptikum davon, das, wie dort üblich, auf der rechten Flanke offen ist und sich ansonsten gern in schweren Pelzen zeigt), alte wie junge, tun sich natürlich leicht mit ihrem "Nationalstolz". Sie leben und leiden ja nicht unter der ungarischen Politik, weder der der Sozis noch der Orbáns, sind materiell deutlich besser gestellt als die meisten ihrer "Landsleute" (und lassen diese das auf Heimatbesuchen auch gerne spüren), kurz, diese Exilungarn leugnen die Realität aus reiner Sentimentalität, die sie sich nicht von der wirklichen Situation der Masse des ungarischen Volkes nehmen lassen werden.

 

Sie leben in einem Hyperungarn, das gar nicht existiert, höchstens als geistige Puszta an der Isar. Für sie sind nicht Demokratieabbau und Gefährdung des Rechtsstaates, Verelendung und Radikalisierung, bürgerliche Entrechtung und systematischer Freiheitsabbau, antieuropäische Hetze, großungarischer Revanchismus das Problem, also nicht der wirkliche Zustand ihres Landes, sondern das Bild, das man davon macht, weil es mit ihrem, einem alten Schinken aus vergangener Zeit, nicht übereinstimmen will, was man als verstörend wahrnimmt und wogegen man sich wehrt.

Das "Wir sind wir" wird als Wahrheit und ausreichend Information an die Welt exportiert, was dann irgendwie doch auch wieder sehr bayerisch, ja sogar ziermlich deutsch wäre, dominierte in diesem ganzen Theater nicht unsere typisch ungarische Gefühlsduseligkeit über jene praktische Vernunft, die zumindest dann einschreitet, wenn man sich selbst mehr schadet als hilft.

Cs.Sz., Exilungar, M.S.

 

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