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(c) Pester Lloyd / 13 - 2012     POLITIK   30.03.2012

 

Land(rück)nahme

Ungarn erklärt Bodenspekulanten "den Krieg"

Keine Regierungsverlautbarung ohne Kriegsrhetorik. Nach dem "Krieg gegen die Schulden" und dem "Kampf gegen die Attacken der internationalen Linken" erklärte die Regierung am Donnerstag wieder einmal offiziell "den Krieg gegen Spekulanten", gemeint sind Bodenspekulanten. Die Art und Weise des Vorgehens lässt jedoch mehr auf einen Beutezug schließen, in dem die "Heimatscholle" als politische Waffe eingesetzt wird, sowohl im Propaganda-Kampf gegen die EU als auch im kommunalen Kleinkrieg, bei dem es darum geht, wer wo wieviel mitnaschen darf.

Im Rahmen der neuen Nationalen Entwicklungsstrategie, über deren fruchtbare Ansätze und bodenlose Auswüchse wir hier bereits ausführlich berichteten, steht die Losung "Bauernland in Ungarnhand" im Zentrum. Gestern dozierte der Sprecher des Landwirtschaftsminister Sándor Fazekas vor allem über die Taschenverträge, also jene Konstrukte, über die ausländische Geschäftsleute mit Hilfe einheimischer Strohmänner das Verbot des Verkaufs landwirtschaftlicher Nutzflächen an Ausländer umgehen. Dieses hatte Ungarn nach zähem Ringen gegenüber der EU bis zunächst 2014 verlängern können, doch es zeichnet sich ab, dass die Regierung auch danach einen Sonderweg einschlagen wird, neue Spannungen und womöglich Rechtsstreitigkeiten mit der EU in Kauf nehmend.

Orangfarbene Fahne auf einem historisierenden Gemälde der Landnahme, wenn das kein Hinweis ist...

Das Landwirtschaftsministerium hat ein Komitee eingesetzt, das "verdächtige Landverkaufsverträge herausfiltern" soll. Dabei sollen alle eingebundenen Ministerien und Behörden, also u.a. die Kommunen, die Liegenschaftsämter, Kammern, Finanzamt etc. zusammenarbeiten und eine "gemeinsame Aktion" starten um "alle irgendwie Verdächtigen Landkaufverträge aufzuspüren", dafür "notwendige rechtliche und technische Instrumente" würden demnächst "ausgearbeitet". Rund zwei Jahre tat sich jedoch nichts, obwohl man bereits im September 2010 mit den gleichen Worten die Dringlichkeit des Problems benannte.

Der Minister findet es "inakzeptabel", dass "in einem Rechtsstaat irgendjemand Agrarland mit spekulativem Ansinnen" erwerben könne. "Ungarischer Boden muss in den Händen der ungarischen Bauern bleiben!". Auch der Präsident des Ungarischen Bauernverbandes MAGOSZ, István Jakab, nahm an der Pressekonferenz teil und meldete, dass er in Gesprächen mit dem Minister wie auch mit dem Ministerpräsidenten zu der Einsicht gekommen sei, dass sich der "Stand der Landwirtschaft" durch die Maßnahmen der letzten zwei Jahre "signifikant verbessert" hätte, sich "die Dinge, in die richtige Richtung bewegen".

Konkretes lieferte der höchste Bauernfunktionär nicht, dafür sprang ihm wiederum der Regierungssprecher ein, der sagte, dass die Vertretung der nationalen Interessen auf EU-Ebene besser funktioniere, die Agrarsubventionen schneller bei den Bauern ankämen und die Unterstützung von Jungbauernfamilien verbessert wurde. Die Regierung hat eigens einen
neuen staatlichen "Bodenfonds" geschaffen, in dem alle vom Staat im Eigentum oder Pacht befindlichen Landwirtschaftsflächen gemeinsam verwaltet werden und nach "einem neuen System" bevorzugt an junge Bauernfamilien zu einem günstigen Pachtzins vergeben werden sollen. Die Opposition kritisiert jedoch das intransparente Vergabesystem, das zu Vetternwirtschaft einlade. Knapp 2 Mio. Hektar (inkl. Wälder) Landwirtschaftsflächen sind in Staatsbesitz und erlösen im Jahr umgerechent rund 30 Mio. EUR Pachtzins.

Dass der MAGOSZ-Chef etwas wortkarg blieb, wird auch damit zusammenhängen, dass er in den Reihen der Seinen viele "Mittäter" am Spekulationsgeschäft wissen wird. Denn ohne die Mitwirkung der einheimischen Spekulanten wären Ausländer gar nicht in der Lage, auf diesem Markt mitzuspielen. Freilich gibt es auch auf deren Seite eine Reihe von zwielichtigen Playern, die den Erwerb tatsächlich ohne landwirtschaftlichen Hintergrund, nur mit der Hoffnung auf zukünftige Bodenpreisanstiege oder mögliche Umwidmungen betreiben.

 

In der Mehrheit handelt es sich jedoch um Bauern oder Agrarunternehmen aus Österreich, Deutschland, Holland etc., die sich, wie die Industrie auch, ein zweites Standbein in dem fruchtbaren Land erarbeiten wollen und damit die unbezahlbaren Bodenpreise kompensieren, die jede Expansion im Heimatland unmöglich machen. Dabei bringen sie nicht selten viel Know how, Technologie und Geld ein. Der Erwerb von Boden durch ein ungarisches Unternehmen ist möglich, auch wenn im Hintergrund ausländische Investoren stehen, ebenso die Beantragung von Erwerbsgenehmigungen durch Einzelpersonen, allerdings mit hohen Nachweishürden und einer immer restritiveren Handhabung seit dem Amtsantritt der neuen Regierung.

Ungefähr ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzflächen in Ungarn sind, nach vorsichtigen Schätzungen, direkt oder indirekt in der Hand von Ausländern, wobei darunter auch Rumänien- und Slowakoungarn fallen, die nach der reinen Lehre dieser Regierung eigentlich als Einheimische zu betrachten sein müssten. Tatsächlich hatte die Teuerung der Flächen in den letzten Jahren der sozialliberalen Regierungen wieder sehr an Fahrt aufgenommen, auch in der Hoffnung auf ein Fallen des Moratoriums. Hier mehr zum
Farmland-Index der ungarischen Entwicklungsbank.

Die jetzige "Kriegserklärung" wird, darauf weisen schon eine Reihe von Beispielen hin, jedoch eher ein Beutezug der neuen Machthaber und ihrer Unterstützer werden, in dem die "heilige ungarische Erde" als politische Waffe im kommunalen Kleinkrieg eingesetzt werden kann und sie ist auch ein weiteres Statement gegen die Europäische Gemeinschaft, der die zu schützende Heimatscholle entgegengesetzt wird, auch wenn das konkrete Nachteile bei Erträgen, Effizienz und Nachhaltigkeit mangels know how nach sich ziehen muss und sowieso dem Geist und dem Wort (!) des freien Binnenmarktes widerspricht.

In etlichen Fidesz-regierten Kommunen werden zum Teil seit Jahren erfolgreich tätigen ausländischen Unternehmen immer mehr Steine in den Weg, bzw. aufs Feld gelegt (dieser Zeitung liegen eine Reihe authentischer Berichte dazu vor) und die Spekulation unter rein einheimischen Marktteilnehmern ist in keiner Weise geringer als die durch Ausländer, im Gegenteil, die landwirtschaftlichen Seilschaften in Ungarn haben zum Teil einen Ruf, der nicht weit von jenem einschlägig bekannter italienischer Familien entfernt ist. Ihr Treiben, neben Spekulation u.a. Preisdiktate und -absprachen, Lieferantenerpressung, Lohndumping im großen Stile und "geschlossene Lieferketten", wird durch die neue Offensive der Regierung nun institutionell zum nationalen Freiheitskampf geadelt, `Bauernland in Freundeshand` wäre da die passendere Losung, nicht wenige der früheren wie der heutigen Machthaber naschen schließlich am großen Kuchen mit, nur werden die Stücke jetzt neu verteilt und alles mit unendlichem Patriotismus vernebelt.

red.

 

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