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(c) Pester Lloyd / 13 - 2012     GESELLSCHAFT   31.03.2012

 

Große und kleine Betrüger

Präsidialposse: Das Problem von Ungarn ist Orbán, nicht Schmitt - KOMMENTAR

Schmitts Betrug wird zur Marginalie angesichts der Schranken- und Skrupellosigkeit der heutigen Machthaber in Ungarn. Recht und Unrecht sind keine juristischen, gar ethischen Kategorien mehr, sondern eine reine Machtfrage. Orbán missbraucht die ihm verliehene Macht schamlos und verhöhnt dazu noch sein Volk. Wer ihm applaudiert, wird zum Mittäter beim Mord an der Republik. Zeit, Konsequenzen zu ziehen.

Zur Präsidialposse der abgelaufenen Woche gibt es faktisch nicht mehr viel zu ergänzen, die Beteiligten haben sich öffentlich vollständig bis auf die Knochen entblößt, glauben dabei aber ihr Gesicht gewahrt zu haben. (hier die Details).

Das höchste Staatsamt in Ungarn wird von einem des Betruges überführten Mann ausgeübt, der noch die Chuzpe hat, öffentlich von einem "reinen Gewissen" zu sprechen, ein leichtes: was man nicht hat, kann man nicht beflecken. Wäre die Angelegenheit nicht so ernst, lieferte sie Stoff für jede Menge Kabarett. Vor allem die Ankündigung, dass ER "noch einmal eine Doktorarbeit" als "Mannesbeweis" schaffen will, sagt schon alles über das Selbstbild dieses Menschen. Thema und Autor sind übrigens noch nicht bekannt.

Orbán, der Pál Schmitt ins Amt gebracht hat, damit dieser unqualifizierte Wendehals für den ultimativen Karriersprung alles tut, was ihm gesagt wird, erklärt, dass der Staatspräsident aufgrund seiner Verfassungsstellung "unantastbar" ist. Diesen Respekt vor Verfassungsorganen vermied Orbán jedoch als er das Verfassungsgericht kastrierte, die Justiz unter seine Kontrolle brachte und viele weitere Schritte unternahm, die Gewaltenteilung und damit die Kontrollierbarkeit der Macht zu unterminieren. Die letzte Woche hat vorgeführt, dass die Regierungspartei jeden Respekt vor dem Volk verloren hat und sich nicht einmal mehr die Mühe macht, den Untertanen wenigstens plausibel klingende Erklärungen zu liefern.

Der Präsident ist, weil es "unser Präsident" ist, unantastbar, die verfassungsmäßige Ordnung dagegen muss als Zwangsprostituierte den Zuhältern der Macht dienlich sein. Die gefälschte Doktorarbeit wird so zu einer regelrechten Marginalie, im Vergleich zum großen Betrug an der Demokratie und am ungarischen Volk, der im Schatten des Skandals um den Ex-Degenfechter durchgeführt wird. Dass Orbán außerdem noch ausrichten ließ, "andere Fidesz-Kollegen" hätten Schmitt ihm empfohlen, zeugt auch noch von ausgesprochener Feig- und Hinterhältigkeit und davon, dass er die Menschen im Lande für wirklich sehr dumm halten muss.

Die meisten Kommentatoren kommen zu dem Schluss, Schmitts Herrchen Orbán habe sich selbst beschädigt, in dem er jede Verantwortung für Schmitts Verhalten, sogar seine Ernennung von sich weisen ließ. Dies ist aber nicht richtig, denn Orbán denkt immer einen Schritt weiter als seine Gegner. Schmitt, ebenso wie Wirtschaftsminister Matolcsy und ein paar andere, erfüllt, solange er im Amt ist, die Funktion eines potentiellen Bauernopfers. Die Wut des Volkes über "die da Oben" darf am neuen Reichsblitzableiter abgearbeitet werden, während im Hintergrund all die entrechtenden Gesetze im Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht, in der Justiz, der öffentlichen Verwaltung etc. etc. implementiert werden und ihr finsteres Wirken entfalten können. Hier eine Auswahl davon.

Kocht die Wut des Volkes so hoch, dass Orbán um seine Macht fürchten muss, kann er je nach Stimmungslage einen seiner Pappkameraden zum Abschuss freigeben und sich selbst als konsequenter Saubermann darstellen, nicht wenige seiner Anhänger werden ihm das abkaufen. Sollte Orbán Schmitt also schon in den nächsten Tagen absägen, zeigt das nicht seine politische Ernsthaftigkeit, sondern seine Panik vor dem Machtverlust, seinem größten denkbaren Trauma. Aber sogar eine Hetzkampagne mit anschließender Säuberungsaktion unter den Professoren der Semmelweiß-Universität ist denkbar, wenn Orbán zu dem Schluss kommt, dass es wichtiger ist, ein Exempel seiner Hartnäckigkeit zu statuieren als ein Beispiel für Integrität zu geben.

 

Wirklich beängstigend ist, dass im heutigen Ungarn beides, eigentlich alles möglich ist. Es gibt keine Grenzen, Recht und Unrecht sind keine juristischen oder ethischen Kategorien mehr, sondern eine reine Machtfrage. Die ihn dabei unterstützen, auch seine EVP-Parteifreunde in Westeuropa, verlassen somit ohne viel Federlesen den freiheitlich-demokratischen Weg, negieren unsere Grundwerte, in dem sie die Entrechtung der Ungarn billigen, so werden sie Mittäter beim Mord an der Republik. Man soll sich diese als Demokraten etikettierten Unterstützer genau ansehen und hinsichtlich ihrer wirklichen Ambitionen in den eigenen Ländern überprüfen. Dort gibt es mitunter wählbare Alternativen.

Die Ungarn haben Orbán mit einer Zweidrittelmehrheit ausgestattet, um die Fehler und den Machtmissbrauch der Vergangenheit zu beseitigen, endlich Stabilität herzustellen und ihnen eine Perspektive für die Zukunft zu eröffnen. Nichts davon hat er bisher auch nur annähernd geschafft, manches nicht aus eigenem Versäumnis, manches hingegen hat er jedoch aus Kalkül vermieden. Niemand hat ihn ermächtigt, - noch ist irgendjemand durch eine demokratische Mehrheit dazu zu ermächtigen, sich das Land anzueignen und sich über den Staat zu stellen, Bürger zu Untertanen zu machen und sie dann noch öffentlich zu verhöhnen.

Orbán hat sein Mandat missbraucht, er ist das Problem und dessen Kern, nicht Pudel Schmitt. Die mangelnden Alternativen verschaffen dem einen noch Zeit, obwohl die beider längst abgelaufen ist.

Marco Schicker

Proteste gegen Schmitt:
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