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(c) Pester Lloyd / 13 - 2012     WIRTSCHAFT   29.03.2012

 

Unorthodoxer Zinsdeckel

Wie kann Ungarn der Schuldenfalle entkommen ohne die Bürger zu enteignen?

Fällt der IWF für Ungarn aus, muss wohl wieder der Bürger einspringen. Doch anstatt die verkorkste Wirtschaftspolitik zu korrigieren, macht sich Budapest wieder an Planspiele zur gefürchteten "Volksanleihe". Leider hat die Regierung jeden politischen Kredit verspielt, um in Brüssel wirklich unorthodoxe Maßnahmen anzuregen. Was Land und Kontinent brauchen, sind keine Rettungsfonds oder Schuldenschnitte, sondern ein Zinsdeckel. Doch der kommt wohl kaum ohne vorherige Revolution oder Totalbankrott...

Der Vizechef des staatlichen ungarischen Schuldenmanagementamtes, ÁKK, László András Borbély (passenderweise ein ehemaliger Vorstand der Budapester Börse), versucht sich und uns die Lage am Markt für ungarische Staatsanleihen mit erstaunlichen Argumenten schön zu reden. Bei einer Fachkonferenz in Pécs äußerte Borbély am Mittwoch, dass es "keine Probleme mit der Finanzierung der Staatsschulden" gibt, "im Ganzen" seien die Auktionen von Anleihen "ein Erfolg". Das könnte man u.a. daran sehen, dass die Auktionen im Schnitt des Jahres 2011 um das 3,1fache, 2012 bisher um das 2,2fache überzeichnet gewesen seien.

"Die meisten westeuropäischen Länder wären glücklich über so eine Abdeckungsrate". Nein, das wären sie nicht, zumindest nicht, wenn sie dabei auch die ungarischen Zinsen, meist zwischen 8-10% zu bedienen hätten, die - neben der von Spekulanten als noch ausbaufähig angesehenen Schuldenquote von 86% zum BIP - der einzige Grund sind, warum die Nachfrage nach den Papieren so hoch ist und Borbély Jubelpropaganda klingt ein bisschen nach dem alten Planwirtschaftswitz “Heute erwirtschaften die sozialistischen Länder ein Sechstel der Weltwirtschaftsleistung. Bald wird es ein Siebentel, ein Achtel, ja, ein Zehntel sein...”

Durchschnittliche Verzinsung auf 10jährige ungarische Staatsanleihen, Eintwicklung der letzten zehn Jahre.

Abgründe und Todesspiralen

Fakt ist, dass solche Zinsen, die Ungarn heute zahlt, nie durch Wachstumsraten unterlegt oder durch Inflation kompensiert werden und damit refinanziert werden können, die Neuaufnahme von Darlehen und die Ausgabe weiterer Anleihen zur Bedienung selbiger führt also genau jene teuflische Logik fort, gegen die jede mathematische Vernunft und auch Premier Orbán rebellieren, eine sonst eher seltene Koalition. Borbély wies dann auch daraufhin, dass "Vertrauen" ausländischer Finanzinvestoren und zumindest ein relativ "stabiler Forint" die wichtigsten Kriterien sind, damit Ungarn sich weiter am Markt bedienen kann. Die Schuldenspirale an sich ist schon ein tödliches Konstrukt, gepaart mit einer an Rechthaberei und Wunschträumen statt dem Machbaren orientierten Wirtschafts- und Steuerpolitik wird sie beschleunigt und muss zwangsläufig in den Abgrund führen.

Den Sturz in denselben konnte die Regierung bisher nur durch ihre schon berühmt-berüchtigten "unorthodoxen" Maßnahmen verhindern. Dabei hätte niemand ein Problem damit, wollte der Finanzminister durch Sondersteuern lediglich eine Durststrecke überwinden und Löcher stopfen, die andernfalls zu riesigen Kratern würden. Doch am Ausnahmecharakter dieser Notmaßnahmen hat nicht nur die EU-Kommission Zweifel, die sie in ihrem Defizitverfahren ausdrückt, das wiederum ein "Sicherheitsnetz" mit dem IWF verhindert. Vor allem das Vertrauen der Bürger und Unternehmer in eine berechenbare Staatslenkung ist, ohnehin war es schon unter den Vorgängerregierungen kaum noch messbar, nun endgültig dahin. Investitions- und Konsumzurückhaltung, Kapitalflucht, Schwarz- und Grauarbeit und das ganze Spektrum von Tricksereien sind die Antwort der Ohnmächtigen und verschärfen letztlich das Schuldenproblem weiter.

Kampagne soll Kleinanleger locken. Was, wenn die sich nicht locken lassen?

Anstatt sich aber Gedanken über dringend notwendige Korrekturen an der irrigen Flat-Tax-Politik und über eine zielgerichtete Wirtschaftsförderung zu machen, denkt das staatliche Finanzmangement nur daran, wie man, im wahrscheinlichen erneuten Notfall, die letzten realen Reserven anzapfen könnte. Es klingt zunächst harmlos, wenn die oberste Schuldenbehörde des Landes darüber spricht, man "will in Zukunft stärker auf private Anleger", also auch den "kleinen Mann" zugehen, eine Diversifikation der Schuldner des Landes werde angestrebt. Derzeit laufe dazu eine "Kampagne", die Kleinanleger "dazu ermutigen soll", in ungarische Staatspapiere zu investieren. Man werde die Ergebnisse davon bald studieren und weitere Planungen ansetzen.

Dieser letzte Satz muss stutzig machen. In diesem Zusammenhang hatte Premier Orbán bereits einmal laut gedacht und die "Nutzung brachliegender Spraguthaben" in der "einen oder anderen Weise" für die "Staatsfinanzen" ins Gespräch gebracht (Volksanleihe im Hinterstübchen? - Aug. 2011: Premier Orbán schielt auf die Sparguthaben der Ungarn), dies aber nach einer wahren Kapitalflucht "seines" Mittelstandes zu Jahresanfang zunächst nicht vertiefen wollen. Uns liegen Aussagen eines hochrangigen Mitarbeiters des Nationalwirtschaftsministeriums vor, dass bereits konkrete Machbarkeitsstudien vorliegen, wie man "auf die eine oder andere Weise" Volkes Sparstrumpf fleddern könnte.

Borbélys Ankündigung kann, geübte Zwischen-den-Zeilen-Lesern erkennen das, dahingehend verstanden werden, dass eine zu geringe Quote an Kleinanlegern bei Staatspapieren in einem ersten Schritt zu Überlegungen hinsichtlich verpflichtender Anlagequoten seitens Banken und Versicherungen führen kann, sollte sich die Lage der Staatsfinanzen, wie bei den realitätsfernen Haushaltsprognosen zu erwarten, Ende des Jahres weiter verschlechtern und kein IWF-Deal zu Stande kommen, - ein worst case, der das baldige Ende jeder Anleihe-Auktion bedeuten müsste, folgt "der Markt" doch der kranken Logik, dass es gut für einen Schuldner ist, einen weiteren Kredit zu bekommen, um neue auffzunehmen, mit denen man alte bezahlt...

Die bisherigen "unorthodoxen Maßnahmen" dieser Regierung gestatten, Spekulationen über mögliche obligatorische "Volksanleihen" zur Rettung der Staatsfinanzen oder "Nationale Kriegsanleihen für den Befreiungskampf der Ungarischen Nation", so der wahrscheinlichere Name, als nicht jenseits alles Möglichen zu betrachten, zumal die Regierung mehrmals ihrem Unmut darüber Luft machte, dass die Gewinner der flat tax, also die Besserverdiener, ihre Mehreinnahmen weder investieren noch konsumieren. Auch der freiwiliige Schuldentilgungssonderfonds wurde, vor allem angesichts des behaupteten Patriotismus`, zu einer blamablen Bruchlandung.

Mit der Zwangsenteignung der privaten Rentenbeiträge, immerhin 10% des BIP sowie dem aufgezwungenen Forex-Kreditablösemodell zeigte die Orbán-Regierung bereits, dass ihr Respekt vor Privateigentum enden wollend sein kann. Auch das aufgeregte Dementi zu dem Gerücht vom Jahresanfang, der Staat plane den Zugriff auf Sparguthaben wäre bei einer vertrauenswürdigen Regierung unnötig gewesen. Natürlich waren es die linkslinken Verschwörer wider die Nation und die "Ostküsten-Spekulanten", Feinde Ungarns also, die es gestreut hatten. Aber den Boden, auf dem solche Saat aufgeht, hat diese Regierung mit eigenen Mitteln gedüngt.

Die Behauptung der Regierung, Ungarn könnte - natürlich dank der Fidesz-Politik - bald auf eigenen Beinen stehen, hinkt gewaltig, nicht wegen der Schulden, sondern wegen der Zinsen darauf. Die Katastrophen aus dem Hause Matolcsy sind nur noch die Sahne auf dem kalten Kaffee. Hätte Orbán in Brüssel nicht jeglichen politischen Kredit verspielt, könnte er mit seiner Macherart dort tasächlich einmal einen "unorthodoxen" Weg einschlagen. Die Lösung der Finanzkrise braucht eine konzertierte Aktion von IWF, EZB, EU für ein nachhaltiges und reguliertes Zinssystem.

 

Nicht Schuldenschnitte sind nötig, sondern eine Zinsdeckelung. Weil das - aus kapitalistischer Räson und mangelnder Kompetenz der Räsonierer - nicht angegangen wird und nicht weniger als eine Revolution oder eine Totalpleite braucht, um umgesetzt werden zu können, ist auch die Griechenland-Rettung praktisch unmöglich. Anleger würden bei einer EU-weiten, länderspezifisch gestaffelten und flexiblen Zinsobergrenze auf Staatsanleihen auf ein Engagement in Europa nicht verzichten, denn schon längst ist man bereit, auf einen Großteil sonst realisierter Renditen zu verzichten, wenn das Geld nur sicher liegt.

Es ist einfach nicht mehr mit Vernunft zu erklären, warum die EZB heute das Geld im Billionenmaßstab zu 1% Zinsen "verschenkt", damit institutionelle Anleger das Hundertfache davon als Zinsgewinn einstreichen und dabei die Zeche zahlenden Staaten in derartige existentielle Nöte bringen, dass die sich darüber nachdenken trauen, ihre eigenen Bürger zu enteignen.

CsSz.

 

 

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