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(c) Pester Lloyd / 15 - 2012     POLITIK   12.04.2012

 

Aufschrei der Puritaner

Verbot von Nebentätigkeiten - Die parlamentarische Woche in Ungarn

Die größten Aufreger erlebt das ungarische Parlament eigenartigerweise immer dann, wenn es sich mit sich selbst beschäftigt. Und das tut es oft. In dieser Woche setzte die Fidesz-Mehrheit mit den Stimmen der Jobbik und gegen den größten Teil ihrer eigenen, sonst schoßhündchentreuen Koalitionspartner von der KDNP, ein Gesetz durch, das ab der 2014 beginnenden Legislaturperiode den dann noch 199 (statt jetzt 386) Abgeordneten sämtliche kommerzielle Nebentätigkeit verbietet.

Ausgenommen sind dann nur noch "Tätigkeiten akademischer, erzieherischer, künstlerischer oder intellektueller Art.", wobei letztere in diesem Verein ohnehin nur eine theoretische Option darstellen, wie viele Ungarn meinen. Die Mandatare sollen sich in Vollzeit und unbelastet von jedweder ablenkenden Tätigkeit ganz auf ihren legislativen Auftrag konzentrieren, begründet die Regierungspartei ihren Entwurf. Dazu werden die Diäten noch auf ein "angemessenes Maß" angehoben. Dennoch, so rechneten Zeitungen vor, entgehen dann etlichen Großverdiener monatlich "Millionen", wahrscheinlich Forint.


Ganz außer sich ob dieser Bevormundung war Vizepremier und KDNP-Chef Zsolt Semjén (auf dem Foto links), sonst eher bekannt als nationaler und klerikaler Stichwortgeber. Seine Kritik sei "keineswegs von materiellen Beweggründen" motiviert, schließlich vertrete seine Partei "puritanische Werte", stellte er klar und meinte, dass es doch aber nicht sein könne, dass Abgeordnete mit Berufsverboten belegt werden, wo sie doch in vielen Bereichen "wertvollen Nutzen für die Gesellschaft" erarbeiten könnten. Wir können hier nur empfehlen, dass Semjén möglicherweise seine Jagdleidenschaft als "künstlerische" Tätigkeit durchbringen könnte. Betreiber von Sicherheitsfirmen könnten sich auf "erzieherisch" kaprizieren und Anwälte eindeutig auf "intellektuell".

Am kommenden Montag kommt es zu einer nochmaligen, dann endgültigen Abstimmung. Jobbik hat seine wiederholte Zustimmung signalisiert, die Sozialisten sind gar nicht erst angetreten, die grün-liberale LMP stimmt gegen das Gesetz. Und selbst das Fidesz muss noch vier Abweichler aus der eigenen Fraktion "überzeugen", man kann aber davon ausgehen, dass es - wie immer - eine Entscheidung im "nationalen Interesse" geben wird.

Die professionellen Meinungen über das Gesetz sind geteilt. Einige sagen, es sei gut, wenn sich Mandatare ausschließlich auf ihren Gesetzgebungsjob konzentrieren, dazu müssten sie aber so gut entlohnt werden, dass anderweitige Verlockungen sie kalt lassen. Andere halten das Gesetz für ausgemachten Unsinn, verleite es doch geradezu in die Illegalität und lasse sich durch Überschreibungen an Partner leicht umgehen, wie ja auch bereits mehrere Beispiele von Regierungsmitgliedern eindrucksvoll belegen. Viel besser sei es, alles zu erlauben, dafür aber unbedingte Transparenz einzufordern und bei den geringsten Verstößen dagegen, Sanktionen zu verhängen. Fidesz wolle nur eine stupide Truppe von Parteisoldaten im Parlament heranziehen, die, fern von den Kämpfen und Fakten des realen Lebens als Stimmvieh ihren Ertrag abliefern.

Einhellige Ablehnung von Neonazi-Auftritt

Weiter beschäftigte der vor Ostern vom Jobbik-Abgeordneten Zsolt Baráth losgetretene Antisemitismus-Skandal das Parlament. In einer Rede vorm Parlament hat Premierminister Viktor Orbán endlich Stellung zu den antisemitischen Äußerungen des Jobbik-Abgeordneten genommen, manche meine, zu spät. „Die ungarische Regierung verurteilt alle Formen von Äußerungen, die die menschliche Würde verletzen“, sagte er. Baráth hatte vergangene Woche am Jahrestag der "Affäre von Tiszaeszlár" eine Rede mit offen antisemitischen Inhalten gehalten. Im Jahre 1882 gab es einen Ritualmord im nordungarischen Tiszaeszlár für den Juden verantwortlich gemacht worden waren und der eine Antisemitismuswelle auslöste. Vor Gericht wurde jedoch die Unhaltbarkeit der Anschuldigungen gegenüber den verdächtigten Juden bewiesen doch die Ritualmordthese lebte weiter. So präsentierte es auch Baráth im Parlament.
Hier sämtliche Details dazu.

Front gegen Antisemitismus steht, wie sieht es aber bei den Roma aus?

Die MSZP hatte daraufhin letzte Woche vorgeschlagen, ein permanentes Ethik-Komitee zu schaffen, das rassistische, antisemitische, xenophobe und islamophobische Äußerungen ahnden soll. Dieser Vorschlag wurde - überraschend - mit 300 Ja-Stimmen angenommen. Dagegen stimmten alle Mitglieder der Rechtsradikalen von Jobbik sowie sieben Fidesz-Abgeordnete. Der israelische Botschafter in Budapest, Ilan Mor, hatte letzte Woche betont, dass „alle demokratischen Kräfte und die Gesellschaft als Ganzes solche Bemerkungen nicht erlauben. Die linken und rechten demokratischen Parteien haben getan, was sie tun sollten – nicht mehr und nicht weniger.“ MSZP, LMP und DK riefen Baráth zum Rücktritt auf.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mittlerweile aufgrund einer Anzeige des Rabbiners Slomó Köves Untersuchungen gegen Baráth eingeleitet, am Mittwoch traf sich auch Orbán mit ihm und "garantierte", dass "alle Minderheiten sicher leben" könnten. Der Rabbi zeigte sich besorgt, den Worten des Premiers sollten auch Taten folgen, es müsse klare Grenzen geben. "Seit 70 Jahren sind nicht mehr solche Hetzreden in diesem Parlament gehalten worden."

Die Reaktion der Regierungsseite war diesmal einhellig, schnell und eindeutig, nicht so schnell und eindeutig ist jedoch die Haltung
zum gängigen, auch amtlichen, Rassismus in vielen ungarischen Kommunen gegenüber den Roma. Allerdings haben die auch keine wirkliche Lobby und Angriffe sorgen nicht für derart große internationale Resonanz.

Wie es sonst so im Parlament zugeht, erfahren Sie in diesem Sittenbild.

Jobbik will "schwule Werbung" verbieten

Was der von Orbán versprochene "Minderheitenschutz" wert ist, kann dieser gleich bei der nächsten Jobbik-Attacke beweisen. Diesmal wünscht man ein Verbot von "Schwulenpropaganda", wie es in Russland gerade wieder Mode wurde. Ganz generell sollen "sexuelle Vorlieben" nicht "promotet" werden dürfen, fordert der Abgeordnete Ádám Mirkoczki, um die "öffentliche Moral und die mentale Gesundheit der jungen Generation" nicht zu gefährden. Die Moralapostel schmeißen bei ihren Forderungen alles von Homosexualiät bis Transsexualität in einen Topf mit Pädophilie und anderen "Abartigkeiten". Wer also Werbung für eine Gay Pride (die von der Polizei für dieses Jahr verboten wurde und derzeit gerichtsanhängig ist) macht, solle hinfort mit "bis zu acht Jahren" Gefängnis bestraft werden können. Bei der Gelegenheit erinnern wir an die diversen Porno-, Prostitutionsskandale dieser "sauberen" Partei.

Präsidiabel: Außenminister Martonyi stellt sich dumm

Neben der Selbstbeschäftigung blieb nicht viel Zeit für Politik. Man musste zur Kenntnis nehmen, dass sich die Europäische Kommission eingehender mit dem neuen Kirchengesetz befassen will, "bis hin zu einem neuen Vertragsverletzungsverfahren", wie es hieß. Hinsichtlich der EU-IWF-Sache, wartet das offizielle Ungarn weiter wie der Hahn auf das Ei: “Die ungarische Regierung weiß von keinen Voraussetzungen des IWF oder der EU für Gespräche über Finanzhilfen“, sagte Außenminister János Martonyi am Dienstag. Wir wissen davon,
bitte, Herr Minister. „Solche Vorbedingunge wären ohnehin nicht akzeptabel“, fügte Martonyi bei einem Fernsehinterview hinzu. Ungarns Ziel sei es, ein prophylaktisches Abkommen mit dem IWF zu schließen, um zu zeigen, dass das Geld nicht gebraucht werde. Nach Martonyi „können politische Fragen nicht an Finanzhilfen gekoppelt werden“. Seiner Auffassung nach sind die Probleme mit der EU bezüglich der Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank und dem Pensionsalter für Richter „quasi gelöst beziehungsweise kein Thema, das Wirtschaftspolitik tangiert.“ Bemerkungen, mit denen er sich doch noch für den Job des Präsidenten empfehlen könnte. Mehr zur Suche nach dem neuen Präsidenten.

red. / pk.

 

 

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