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(c) Pester Lloyd / 17 - 2012     POLITIK 25.04.2012

 

Orbáns "großer" Coup

Will Ungarn die EU mit Nabucco erpressen?

Damit Alexej Miller, Chef des russischen Energiegiganten Gasprom, extra ins kleine Ungarn reist, muss es schon einen triftigen Grund geben. Vor wenigen Tagen tauchte er bei Premier Orbán in Budapest auf und muß ihm dabei ein Angebot gemacht haben, das dieser nicht ablehnen konnte - oder wollte. Die beiden haben sich offenbar eine kleine Anti-EU-Intrige ausgedacht. Wie die ausgehen wird, weiß jeder Ungar aus dem Geschichtsunterricht...

Was an Qualen und Leid unser harret,
unsrer Heimat bewahr'n wir die Treue!
Unser letztes Gebet gilt dir, teure Heimat,
leb wohl teure Heimat, leb wohl.

Aus dem Gefangenenchor aus “Nabucco”

Wohlplatzierte Bombe in Brüssel

Nach dem Treffen zwischen Miller und Orbán in dessen Amtssitz im Parlament hieß es nur, dass Ungarn zu seinem Engagement zu South Stream steht und das Projekt plangerecht voranschreitet. Dabei hatten viele schon neue Probleme zwischen den beiden Ländern geortet als kürzlich ein MOL-Gasprom Gemeinschaftsprojekt zum Bau eines Erdgaslagers scheiterte. Doch offenbar legte man die Sache auf Eis, weil man größeres, viel größeres vorhatte.

“Netter Schachzug Viktor...” - “Ich....? Ich doch nicht...”
Premier Orbán gestern bei EU-Kommissionspräsident Barroso in Brüssel. Foto: MEH

Die Dramaturgie passte: Zu Wochenbeginn reiste Orbán nach Brüssel, überreichte dort der EU ein 500-Seiten starkes "Konvergenzprogramm", um die drohende Sperrung des EU-Kohäsionsfonds für 2013 doch noch aufzuhalten, hielt einen belehrenden Vortrag mit dem Thema "Ungarns Erneuerung und die Reformierung Europas", erklärte, dass man die strittigen Fragen der Vertragsverletzungsverfahren wohl nur vor Gericht klären können wird, es aber "überhaupt keine Hürden mehr" für die Aufnahme von IWF-Verhandlungen gibt und dann ließ er am Ende die Bombe platzen: "Ich bin kein Experte für die Details, aber soweit ich gesehen habe, wird das ungarische Unternehmen MOL das Projekt verlassen". Man muss kein Sherlock Holmes sein, um zwischen all den Themen einen roten Faden zu finden.

Viele Lieferanten sind besser als gar keiner

Orbán ist natürlich kein Experte für Details, er ist mehr so für das Große und das Ganze, aber das von ihm geführte Land ist immerhin zu 24,61% Miteigentümer der MOL (21,2% hatte man erst kürzlich von der russischen(!) Surgut übernommen) und ob dieses Unternehmen aus dem wichtigsten Projekt seiner Geschichte eben mal aussteigt oder nicht, ist mit "Detail" wohl etwas vorsichtig umschrieben.

North Stream, South Stream, Nabucco, geplante Verlaufsrouten, zum Vergrößern Bild anklicken

Ungarn hatte sich, noch unter der Vorgängerregierung hinsichtlich der Pipelines für beide Projekte, also South Stream wie Nabucco, offen gezeigt und trat beiden Konsortien bei, denn die Diversifikation der Lieferwege und damit eine Verminderung des Ausfallrisikos, von dem man im Winter 2008/09 hart getroffen wurde ging vor EU-Loyalität und der in Ungarn traditionell gepflegten Angst vor gesteigertem russischen Einfluss.

Diese Strategie wurde auch von der Orbán-Regierung übernommen, zuletzt bekannte sich Präsident Schmitt Mitte November in der Türkei zur Nabucco-Pipeline, als "Alternative" zu Gaslieferungen aus Russland. Schmitt ist inzwischen Geschichte.

Sowohl Nabucco als auch South Stream umgehen die Ukraine. Dass Nabucco mit seinen geplanten Zulieferländern vom Iran bis Aserbaidschan eine ziemlich schräge Nummer werden würde, stand von Anfang an fest.

Russland will die Exklusivrechte für Gaslieferungen nach Westen

Vor allem Russland beackerte die befreundeten Oligarchien rund um das Kaspische Meer, um sich die Exklusiv-Rechte zur Belieferung Mittel- und Westeuropas mit Gas weiter zu erhalten. Auch wenn das Nabucco-Konsortium immer wieder davon sprach, dass "alles auf dem Weg" ist und das Projekt voranschreitet, war auch allen klar, dass man kaum Garantien für die Zulieferung bekommt.

Der Iran, von dem ursprünglich eine Zuleitung kommen sollte, fiel inzwischen sicherheitspolitisch komplett aus, der Irak, auch der Norden wackelt dauerhaft, Aserbaidshan steht bündnisstrategisch Russland viel näher als der EU und Georgien ist - Dank seines Regierungschefs - auch alles mögliche, nur kein verlässlicher Geschäftspartner. Am Ende könnte eine Rohrleitung ohne Gasfüllung stehen oder abwechselnd der eine oder andere regionale Gernegroß den Hahn zudrehen.

Erstmals seit den Türkenkriegen wieder von “geostrategischer Bedeutung”

Nun ist nichtmal die Leitung selbst sicher. Es muss dem ungarischen Regierungschef beim Blick auf die Karte runtergegangen sein wie Öl, als er feststellte, dass Ungarn in der Gas-Frage auf einmal von "geostrategischer Bedeutung" ist. Zuletzt hatte man eine solche kurz nach der Landnahme, als die Magyarenstämme bei ihren Raubzügen bis in den Spreewald vorstießen und Gurken und Mädchen klauten sowie während der Türkenkriege. Auf ungefähr diesem Niveau, dem der geklauten Gurken, spielt sich auch der jetzige Feldzug ab...

Besieht man sich die Südosteuropa-Karte, wird schnell deutlich, dass eine Gasleitung aus Rumänien, darf sie nicht durch Ungarn verlaufen, nur über den komplizierten Umweg von Serbien-Kroatien-Slowenien bis nach Westeuropa gelangen kann. Damit wird die Sache viel teurer und langwieriger, man liefert sich über Serbien auch indirekt wieder Russland aus, die energiepolitisch das Land gut im Griff haben. Da wäre der Weg über die Türkei ins Mittelmeer sogar praktischer, allerdings noch viel teurer.

Orbán lässt am Dienstag in Brüssel die Bombe platzen: “Ich bin zwar kein Experte für Details, aber...”

Nabucco-Partner wissen von nichts - offizieller Ausstieg noch nicht vollzogen

Bei der Nabucco-Projektgesellschaft in Wien fiel man am Dienstag entsprechend aus allen Wolken. Man habe "bisher keine Anhaltspunkte, dass "die MOL-Tochter FGSz aus dem Projekt aussteigt", nicht zuletzt habe Ungarn das Transitabkommen "unterzeichnet und ratifiziert" hieß es von der Nabucco Gas Pipeline International GmbH. Die MOL-Zentrale in Budapest verwies in einer Aussendung, nach dem Orbán-Sager auf "mehrere Unsicherheiten" im Zusammenhang mit dem Nabucco-Projekt, die "nicht außer Acht gelassen werden dürfen". So wurde erst im Vorjahr der Baubeginn der Pipeline um ein Jahr auf 2013 verschoben, das erste Gas aus der kaspischen Region sollte demnach erst 2017 nach Europa fließen, also zwei Jahre später als bis dahin geplant. Alles keine neuen Informationen und auch keine Gründe für einen Ausstieg.

Das Gestammel aus der Konzernzentrale erhärtert eher den Verdacht politischer Einflussnahme, im übrigen: eine offizielle Ausstiegserklärung liegt immer noch nicht vor. Jedoch erklärte die MOL, keine weiteren Mittel mehr für das Tochterunternehmen zur Verfügung zu stellen, was nichts anderes als das Aus bedeutet, womöglich auch für Nabucco insgesamt?

Wie es ausgeht, wenn Ungarn Großmacht spielt...

 

Es ist, nach allem was wir über Premier Orbán gelernt haben, kein Stück verwegen, ihm zu unterstellen, dass er die Nabucco-Karte spielt, um die EU hinsichtlich IWF und Defizitverfahren unter Druck zu setzen. Erpressung ist so ein hässliches Wort, aber es gibt dafür kaum ein anderes, das zutrifft. Orbán hält sich wirklich für einen “Player” und er glaubt, in Russland einen dieser "neuen strategischen Partner" gefunden zu haben, den man zwar nicht liebt, dessen gemeinsamer Gegner aber zusammenschmiedet. Womöglich hat Russland noch einige Investitionszusagen getätigt, sogar ein Einspringen bei der Staatsfinanzierung ist nicht auszuschließen, Ungarn hatte sich dahingehend ja bereits China und Saudi-Arabien zu Füßen geworfen. Mit Ersteren gab es sogar Geheimverträge, die zuletzt Gerichte beschäftigten.

Während seiner Oppositionszeit hat Orbán stets die “Anbiederung der Sozialisten” an Russland mit Verweis auf historische Abhängigkeiten kritisiert, doch, ein halbes Jahr im Amt, hatte sich die Welt schon gedreht. Bei seinem letzten Treffen mit Putin wollte Orbán diesem sogar eine 2 Milliarden EUR-Investition in Ostungarn mit Breitspurbahn bis Budapest "schenken", nur damit Russland Ungarn als Handels-"Hub" nach Westeuropa nutzt - und um der Slowakei eins auszuwischen, die an ähnlichem Projekt schon länger schmiedet. Putin dankte damals sehr zurückhaltend, zu Recht, denn mangels Geld ward von dem Projekt bald nichts mehr gehört.

Orbán bei Putin, ein Treffen auf Augenhöhe, im Sitzen.

Wohlgemerkt: Orbán, Regierungschef eines EU-Landes sieht die EU als Gegner, was er bei jeder sich bietenden innenpolitischen Gelegenheit herumposaunt, Höhepunkt war sein Sager vom “neuen Moskau”, den man im alten Moskau wohl mit einem wissenden Lächeln kommentiert haben wird. Dabei sollte jeder Ungar wissen, wie es ausgeht, wenn unser kleines Land, das ein pathologisches Talent dafür hat, sich immer auf die historisch "falsche" Seite zu stellen, sich zwischen die Fronten zweier wirklicher Großmächte begibt.

Sollte die MOL nämlich wirklich aussteigen, heißt das ja noch kein Ausstieg Ungarns. So könnten, das hat man womöglich in diebischer Vorfreude ob der Wirkung des "großen Coups" übersehen - Firmen wie RWE oder E.ON, sogar die OMV die Pipeline in Ungarn bauen, schließlich liegt ein ratifizierter und somit völkerrechtlich bindender Vertrag vor, haben wir einen EU-Binnenmarkt, die Firmen sind längst im Markt präsent und die notwendigen Baugenehmigungen könnten Budapest durchaus abgerungen werden, zum Beispiel im Tausch für IWF-Kredite oder die Entsperrung des Kohäsionsfonds... Nächste Runde: Ende Mai, Ort: EU-Rat der Regierungschefs. Ausgang: ungewiss.

cs.sz. / red.

 

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