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(c) Pester Lloyd / 19 - 2012     WIRTSCHAFT 09.05.2012

 

Ökonomische Irrfahrten

Ungarn und die Renaissance der "Planwirtschaft"

Im Energiebereich und Verkehrswesen ist der ungarische Staat Marktführer, im Finanzsektor will er das Kreditgeschäft für Unternehmen bestimmen. Nun wollen sich staatseigene Unternehmen auch ein großes Stück vom Mobilfunkmarkt holen. Ministerpräsident Orbán mischt in der neuen "nationalen Planwirtschaft" kräftig mit, natürlich ausschließlich im Interesse der Nation und seiner Bürger. Kritiker fürchten noch mehr unfairen Wettbewerb, Verluste für die Steuerzahler und wieder viel Ärger mit Brüssel.

Zurück in die Zukunft...

Die Strategie der neuen "Nationalwirtschaft" Orbánscher Prägung verläuft so mehrgleisig wie großspurig, ohne dass man wirklich Stationen oder Zielbahnhöfe erkennen könnte. Abstellgleise und tote Strecken gibt es dagegen zur Genüge und manchmal fehlen die Schienen sogar ganz.

Im Zentrum steht die richtige These, dass "das bisherige System" der Wirtschaft in Europa (Orbán) sich als nicht krisenfest, ungerecht und nicht zukunftsfähig erwiesen hat. Kurz, der finanzmarkt- und spekulationsfixierte Neoliberalismus hat Europa an den Rande des Ruins geführt. Doch die praktischen Schlussfolgerungen, die Orbán daraus zieht, vertiefen das Chaos, statt es zu lösen. Ein Überblick:

I Frustrierter Hoffnungsträger Mittelstand

Kernstück und Rückgrat der "nationalen Wirtschaftspolitik", von Wachstum und neuen Arbeitsplätzen, soll ein steuerlich motivierter, sektoriell geförderter und vor der Übermacht "der Multis" beschützter Mittelstand sein. Diese Rechnung ging bisher nicht auf, die Flat tax von 16% auf alle Einkommen bei gleichzeitiger Streichung der Freibeträge und Erhöhung der Sozialabgaben und die für Gewinne bis ca. 1,6 Mio. EUR deutlich verringerten Körperschaftssteuern (10%) haben weder Arbeitsplätze geschaffen, noch für Investitionen gesorgt. Sie rissen lediglich riesige Löcher in die Staatskasse, ließen noch breitere Gesellschaftsschichten verarmen, verärgerten die Wählerbasis und belohnten Besserverdiener, die ihr Geld auf die hohe Kante oder gleich ins Ausland trugen.
Gleichzeitig lügt die ungarische Regierung über das wahre Ausmaß der neuerlichen Verarmung.

Neoliberalismus ohne “Leistungsträger”: Orbán wollte, dass „alle Steuern zahlen", dafür dann aber deutlich weniger als zuvor. Doch die Flat tax sorgte dafür, dass die, die sowieso Nichts haben, zahlen, während die Reichen davonkommen. Hätte man wissen können, ein Taschenrechner und etwas Hausverstand genügen dafür.

Hingegen ist der fleißige Mittelständler ebenso frustriert wie der ausländische Investor entnervt ist, über die immer weiter ausufernde Steuerbürokratie (Lohnkompensationen), immer neue Abgaben, katastrophale Förderrichtlinien und ein insgesamt deprimierendes Kapital- und Investitionsklima. Vor allem aber ist er verängstigt, weil er bei der chaotischen Legislative und der erbärmlichen Exekutive nicht mal für ein Quartal im Voraus planen kann.

II Muster ohne Wert: der neue Széchenyi Plan und das Auftragswesen

Das zweite Gleis betrifft Änderungen im staatlichen Vergabe- und Auftragswesen. Sinn und Ziel des
"Neuen Széchenyi Plans" war und ist es, Aufträge, vor allem die aus den EU-Milliarden gespeisten Großprojekte nicht mehr überwiegend an ausländische, sondern häufiger an originär ungarische Unternehmungen zu vergeben. Wo Technologie oder Know-how fehlen, soll über Konsortialverträge wenigstens eine Art Abschöpfbeteiligung geschaffen werden. Derzeit lässt sich bei den Großprojekten nicht viel sagen, da es unter Orbán noch keine nennenswerten gegeben hat.

Was die Auftragsvergabe im kleineren und mittleren Maßstab betrifft, häuften sich die Berichte von Vergaben in der Peripherie persönlicher und politischer Nahverhältnisse in letzter Zeit zusehends. Wie das dem Land helfen soll, bleibt Orbáns Geheimnis. Ein Antikorruptionsgesetz fehlt nach zwei Jahren immer noch, soll aber bald kommen und das „tollste aller Zeiten werden", freilich unter Kontrolle der alles beherrschenden Partei.

Wie ein Blick auf die
Arbeitsmarkt- und Firmendaten sowie in die Steuerkasse zeigt, genügen schmucke Pläne allein nicht, eine ganze Wirtschaft anzukurbeln, vor allem, wenn man vorher die dafür nötigen Mittel quasi verschenkt hat. Grundlagen kann man nur auf dem Boden der Realität schaffen, doch die makroökonomischen Annahmen und Zielvorgaben waren von Wünschen, nicht von der Wirklichkeit geschrieben, typisches Kennzeichen einer Planwirtschaft.

III Landwirtschaft nach Gutsherrenart

Auch die Landwirtschaft wird in protektionistischer Manier über "lokale Strukturen" mit der Verpachtung von Staatsländereien aus einem "Nationalen Bodenfonds" gelenkt. Ein besonders krasses Beispiel von Lehnsherrenart aus der direkten Umgebung des Premiers bilden die "Junker von Felcsút", über die wir
in diesem Beitrag berichteten und der die ganze Problematik fehlender Transparenz und motivierter Vergaben auf die Spitze treibt. Mit der Parole "Ungarnland in Ungarnhand" lässt sich diese Art diskreten und kreativen Vergabewesens offenbar politisch noch recht gut vermarkten, bis irgendwann auch der dümmste Bauer gemerkt hat, was gespielt wird. Mehr zur Agrarpolitik.

IV Privatisierungs- und PPP-Stopp

Als positiv kann zunächst der Stopp für größere Privatisierungen und die Prüfung und teilweise Auflösung von PPP-Projekten gelten. Letztere kosten den Staat Unsummen, während sich diverse Seilschaften aller Couleur gesund stießen. So entstanden Autobahnabschnitte, für die der Staat nach Ablauf der Betreiberfrist mehr als das Dreifache der Herstellungskosten zahlen muss. Auch bei den per Dekret gestoppten Privatisierungen wäre es vernünftig, zunächst auf ein günstigeres wirtschaftspolitisches Umfeld zu warten. Doch geschieht dies? Viel eher wird das bescheidene Tafelsilber den diversen neuen strategischen Partnern als Bonus bzw. "Sicherheit" für den Kauf von Staatspapieren angedient werden.

V Verwahrloste Staatsbetriebe, Melkkühe und strategische Branchen

Auf dem nächsten Gleis tuckern die Staatsbetriebe. Die Defizitären werden, so ihr Betrieb gesellschaftlich geboten ist, umstrukturiert. Dies geschieht allerdings in einem teuren Schneckentempo, wie MÁV und BKV zeigen.
Auch die Malév hätte schon vor zwei Jahren nicht mehr fliegen dürfen, doch Orbán lag - wie seinen Vorgängern - viel, viel zu viel, an dem Prestige einer "nationalen" also sozusagen eigenen Fluglinie. Die Gründung eines Malév-Nachfolgers steht ja als Drohung noch immer im Raum.

Staatsbahn MÁV und Budapester Verkehrsbetriebe BKV hangeln sich von einem finanziellen Hinrichtungsdatum zum nächsten, hier fehlt noch immer der Befreiungsschlag, beide Manager schmissen zwischenzeitlich hin, "Regierungskommissare" leiten die siechenden Unternehmen jetzt in eine immer noch ungewisse Zukunft.
Eigentlich sollten beide Unternehmen mit den Abermilliarden aus den zwangsenteigneten privaten Rentenbeiträgen entschuldet werden, doch zwischenzeitlich versickerten diese Gelder in anderen, absehbaren, aber lange standhaft geleugneten Budgetlöchern, was die Planungen auf diesem Feld über den Haufen warf. In Summe ist das Fidesz hier keinen Schritt weiter gekommen als die Vorgängerregierungen.

Energiewirtschaft

Erfolgreiche Staatsunternehmen bzw. Beteiligungen werden abgeschöpft und gezielt wird in "strategische Sektoren" investiert, durch Übernahmen, Anteilserwerbe oder zumindest über die Behinderung der ausländischen Konkurrenz (siehe Einkaufscenter-Verbot und die eigenartigen Ausnahmeregelungen). Zentral ist der Energiebereich: Das Staatsunternehmen MVM betreibt das
AKW Paks (42% des Strombedarfs), dem Neuinvestitionen von 2-3 Mrd. EUR bevorstehen sowie etliche konventionelle Kraftwerke. Hier streicht der Staat jedes Jahr Dividenden ein, neuerdings auch bei der MOL, bei der man den Anteil kürzlich von ein paar Prozentpunkten auf fast 25% erhöht hatte. Die MOL buddelt u.a. in Syrien (derzeit Totalausfall), Russland, Irak und Kasachstan, alles heikle Gebiete, von denen einige jedoch als neue "Standbeine" Ungarns im Osten gepriesen werden. Die OMV in Österreich agiert übrigens ganz genauso. Mehr in: VEB Gas und Strom.

Dies und das

Für einiges Aufsehen sorgte auch der Einstieg in das zwischenzeitlich etwas orientierungslose
Traditionswerk Rába, das vor allem Spezialfahrzeuge und Achsen für die LKW-Produktion, aber auch Militärtechnik herstellt. Möglicherweise wird Rába, sehr zum Verdruss der lokalen Platzhirsche, bald zum Staatslieferanten für den öffentlichen Nahverkehr ausgebaut. Gerüchte sagen, Orbán habe den Ehrgeiz ein "eigenes Auto" zu bauen, zuzutrauen ist es ihm. Ein paar Nostalgiebeteiligungen, wie z.B. jene am Porzellanhersteller Herend gehören eher in die Kultur- denn die Wirtschaftsabteilung.

Eine Melkkuh ist hingegen die Lottogesellschaft Szerencsejáték, deren Gewinne man auch schon einmal in ein "Presse- und Kulturzentrum" im rumänischen Siebenbürgen investiert, um dort einem nationalen Separatisten beim Kampf um "die Autonomie" unter die Arme zu greifen. Dieser Gemischtwarenladen an Staasbeteiligungen in allen möglichen Branchen wird in den nächsten Jahren eher noch aus- statt abgebaut, überall werden dann "Parteimanager" und Beamte ihre Finger mit im Spiel haben. Auch das russische System aus politisch willfährigen und ökonomisch rücksichtslosen Oligarchen greift in Ungarn, eine subtil-kriminelle Mischung aus Belohnung und Drohung, in jedem Fall vorbei an den Interessen des Volkes. Es ist die nationalkonservative Antwort auf die roten (und dunkelschwarzen) Seilschaften, die sich große Teile des Privatisierungskapitals unter den Nagel rissen.

Der Staat als Bank: Finanzsektor

Im Finanzsektor wurde kürzlich erst groß angekündigt, dass man sich die "Kreditklemme" der schmollenden Banken der ungarischen Wirtschaft, speziell dem Mittelstand gegenüber nicht mehr bieten lassen will und über eine Mittelstandsbank, eine Handelsbank und eine Agrarbank dieses Segment wesentlich "beleben" will. (Mehr
hier im Abschnitt: Luft und Heimatliebe) Hier ist allerdings zu fürchten, dass die Kreditsicherheit, die durch die Gier der Geschäftsbanken schon enorm gelitten hatte (die Nationalbank schätzt 2013 22% faule Kredite), durch "nationale Vergaberichtlinien" weiter ausgehöhlt wird. Der Freunderlwirtschaft wird Tür und Tor geöffnet, der Steuerzahler haftet bei Ausfällen dann unmittelbar, denn jeder Ausfall entgeht 1:1 dem Haushalt.

Auch hier erkennt der Staat richtig, dass die Abhängigkeit der Wirtschaft allein vom Finanzmarkt problematisch ist, ebenso problematisch ist aber die Schlussfolgerung, dass der Staat dann zur Bank werden müsste. Beides ist fatal. Zumal der Staat die Banken erst maßlos abgeschöpft und mit immer neuen ad hoc Gesetzen verschreckt hat und nun beklagt, dass sich diese ängstlich einigeln und die Geschäfte auf Überlebensmodus zurückfahren.

 

Aktuelles Beispiel: der Staat als Mobilfunker...

Ein ganz aktuelles Beispiel staatlichen Größenwahns stellt der Einstieg von Staatsunternehmen in den Mobilfunksektor dar.
Hier dazu der Beitrag, der die ganze Schizophrenie der wirtschaftlichen "Strategie" der Regierung Orbán offenlegt:

Während man also Handels-, Energie-, Telekom- und Finanzsektor sowie das Glücksspiel mit Sondersteuern beackert, sind es interessanter- und logischerweise genau diese Branchen, in denen der Staat selbst verstärkt mit an den Start geht, was seine Ausgangslage zunächst deutlich verbessert. Werden die Konkurrenten zu gefährlich, wird an der Steuerschraube gedreht, die eigenen Beteiligungen stattet man dann wieder großzügig mit Krediten der staatseigenen Entwicklungsbank zu Sonderkonditionen aus. Ese haftet der Steuerzahler.

Protektionismus heißt das, unfairer Wettbewerb ist es, nur manchmal dringen diese Geschichten auch bis nach Brüssel und werden dann meist mit einem Urteil gegen Ungarn geahndet. Nichts, was die Regierungen dieses Landes davon abbringen könnte, ihre Politik zu überdenken, am Ende können das nur steigende Staatsschulden und die Wähler. Ihre Politik überdenken aber auch potentielle Investoren und die "neuen strategischen Partner", sie werden es sich gut überlegen, in ein Land zu investieren, das von sprunghaften Nationalphantasten, statt kühlen Rechnern regiert wird.

cs.sz. / red.
 

 

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