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(c) Pester Lloyd / 19 - 2012     WIRTSCHAFT 09.05.2012

 

Ohne Netz, aber mit doppeltem Boden

Der Staat als vierter Mobilfunkanbieter in Ungarn

Ein aktuelles Schlaglicht der neuen Orbánschen "Nationalwirtschaft" stellt der Einstieg eines staatlichen Konsortiums in den Mobilfunksektor dar, wo man als "vierter Player" den Markt aufmischen will. Die Ankündigungen klingen geradeso als sollte sich der neue "Staatsmobilfunk" als volkseigener Preisbrecher in den Markt werfen, ohne dass er dabei selbst auf Wirtschaftlichkeit zu achten hätte. Davon hätten die Ungarn freilich viel: niedrigere Telefongebühren, dafür höhere Steuern.

Durch den Einstieg des Konsortiums aus Ungarischer Post, Entwicklungsbank (MFB), MVM (alle in Staatsbesitz) glaubt Premier Orbán "den Wettbewerb zu stärken und damit die Preise zu senken". Lustigerweise wurde gerade eine neue Telefon-Verbraucher-Steuer erfunden, die genau aus diesem Problem heraus entstanden ist: Der Staat hatte sich an anderer Stelle verkalkuliert, der "Kunde" muss zahlen. Gleiches droht auch bei dem neuen Abenteuer.

Was also soll so ein Staatsfunk ausrichten? Die Regierung gibt zu, dass der Mobilfunkmarkt bereits "zu über 100% penetriert ist" (auf Deutsch: es gibt mehr Handys als Einwohner), aber man "ist überzeugt, sich selbst Platz verschaffen zu können, sogar in einem gesättigten Markt", dafür gäbe es schließlich "internationale Beispiele". Man kapriziert sich vor allem auf den mobilen Internetmarkt, das einzige Wachstumssegment derzeit und will "Datendienste, 3G und 4G"-Dienste anbieten.

Gleichzeitig betont man wieder die nationale Komponente. "Das neue Unternehmen wird fast ausschließlich mit lokalen Experten, u.a. von der Technischen Universität Budapest, besetzt sein." Am Ende des Jahres beginnt man schon mit der "Datenübertragung" über das eigene Netz und die innerstädtischen Bezirke Budapests, und solange man keine nationale Abdeckung hat, "wird man das Netzwerk seiner Rivalen anmieten", die sich dafür sicher einen besonderen "Rabatt" einfallen lassen werden.

Ein Marktanteil von 11% bei der Kundenzahl soll bis 2017 her, der Umsatzanteil am Gesamtmarkt "könnte sogar noch höher liegen". Offen kündigt man an: "Wir wollen Kunden von T-Mobile, Telenor und Vodafone mit neuen Dienstleistungen und niedrigeren Tarifen abwerben". "Wir verbergen nicht, dass wir den festgefahrenen Markt ein wenig aufrütteln wollen". Dieses Rütteln spürte man schon bei der Vergabe der Frequenzen über die staatliche Medienaufsicht. Das Verfahren landete umgehend vor (dem staatlichen) Gericht und wurde zugunsten des staatlichen Bewerbers entschieden (erstzinstanzlich).

Wie man wirklich an Kunden gelangen wird, verrät das Mission-Statement nicht, dafür ein internes, ministerielles Papier, das uns vorliegt: sämtliche Staatsbetriebe, alle Behörden von Regierungs- bis Stadt- und Lokalebene und (!) sämtliche öffentliche Bedienstete sollen verdonnert werden, das neue "Nationalfunknetz" zu nutzen, Letztere sollen übrigens auch "bewegt" werden, es für den privaten Bedarf zu nutzen. Es wird derzeit geprüft, wie man die vielen Tausend Mitarbeiter von "budgetären Organisationen" dazu "zwingen" kann, ins Staatsnetz zu gehen, ohne dass man mit den Wettbewerbsregelungen der EU kollidiert. Ein Vorgang, den die privaten, klageerprobten Mitbewerber sicher sehr genau beobachten werden.

Orbán zeigte sich auf der letzten Kabinettssitzung "schlicht begeistert" von den Plänen und hofft, dass der Preiseffekt durch den "angekurbelten Wettbewerb" "derart ausfalle", dass die Kunden "die neue Telekomsteuer gar nicht spüren werden". Ab 1. Juli zahlt jeder Kunde zwei Forint pro Minute bzw. SMS Telekomsteuer. Die Regierung behauptet: das belastet die Unternehmen, nicht die Bürger, eine Bemerkung, die eine ziemlich dümmliche Arroganz der Mächtigen ihrem Volk gegenüber belegt, denn ist die neue Steuer nichts weiter als eine weiter erhöhte Mehrwertsteuer in einem Segment.

 

Die Mobilfunkbetreiber kämpfen um einige Änderungen, sie wollen dann schon lieber eine Steuer pro Kunde, statt pro Minute, weil sonst ihre ganzen All-inclusive-Tarife für die Katz` wären, auch schaffe man es nicht vor Ende August das Rechnungssystem umzustellen, klagt die Branche. Der Staat denkt zudem noch über einen "Sozialtarif" nach, so sollen die ersten 10 Minuten pro Monat steuerfrei bleiben und die Höchstbelastung 700 Forint (2,30 EUR) pro Anschluss nicht übersteigen.

Analysten staunen über die Dreistigkeit der Staats-Manager. Nicht nur werden die Mitbewerber vor dem Einstieg des nationalen Anbieters geschwächt, der Staat bekommt über die Steuer auch noch eine "sehr nützliche Nutzerlandkarte" jedes einzelnen Telefonkunden in Ungarn. Diese kann er übrigens nicht nur zum Aufbau eines vierten Anbieters verwenden...

Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis der Brüsseler Wettbewerbskommissar in Aktion tritt. Der ungarische T-Mobile-Chef Mattheisen prophezeite einem 4. Player indes "eine harte Zeit" bis er wirklich Gewinne erwirtschaften kann, eingedenk der Multimilliarden-Investitionen in ein eigenes Netz. Volkswirtschaftler sehen die Lage noch kritischer und sagen bereits ein dauerhaft offenes Milliardengrab voraus, auf dessen Grabstein "nationales Interesse" eingemeißelt sein könnte. Noch eins.

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cs.sz.
 

 

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