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(c) Pester Lloyd / 20 - 2012     GESELLSCHAFT 14.05.2012

 

Vatikanisch-russische Verhältnisse

Amtlich unterstützte Homophobie in Ungarn

Mit dem Regierungswechsel 2010 hat sich für Lesben, Schwulen, Bisexuelle und Transgender, kurz LSBTs, in Ungarn einiges zum schlechten verändert. Schon in der neuen Verfassung wird die Unterbindung der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung nicht explizit erwähnt. Im Alltag ist sie ständig präsent, auch institutionell. Dabei ist der Umgang mit Minderheiten, auch mit dieser, ein Indikator für den Zustand der Freiheit im Lande insgesamt.

Liebe unter Polizeischutz - noch.

Die Regierungspartei Fidesz rechtfertigt die fehlende Erwähnung der Nicht-Heterosxuellen beim Schutz vor Diskriminierung damit, dass eine Nichtdiskriminierung bereits in der Charta der Menschenrechte der Europäischen Union festgeschrieben sei, was eine Verankerung auf nationaler Ebene überflüssig mache. Mit diesem Argument hätte man jedoch auch auf alle anderen Aufzählungen wie jene nach "nationaler, religiöser" usw. Herkunft verzichten können, tat dies aber nicht. Auch das Argument, dass die sexuelle Orientierung einfach Privatsache sei, zieht nicht, denn das sind politische und religiöse Ansichten letztlich auch, deren freie Entfaltung aber explizit durch die Verfassung geschützt wird, worauf sich Betroffene bei möglichen Einschränkungen gerichtlich beziehen können. Schwule und Lesben können das nicht mehr.

Wie war die Lage 2009? - Unser Bericht von damals.

Weitreichendere praktische Konsequenzen könnte die Festschreibung der Ehe als ausschließlicher Verbindung zwischen Mann und Frau in Artikel L der neuen Verfassung (hier der Verfassungstext auf Deutsch und eine Analyse dazu) haben. Durch diese Formulierung wird von der heterosexuellen Norm abweichenden Paaren, die in Ungarn bisher die Möglichkeit haben, eine eingetragene Partnerschaft einzugehen, eine Außenseiterrolle zugeordnet, die sich primär in dem Kardinalgesetz „Zum Schutz der Familie“ manifestiert. Im Gesetzestext ist explizit erwähnt, dass eine Familie auf einer Ehe basiert, wodurch nichteheliche Gemeinschaften oder eingetragene Partnerschaften schlichtweg herausfallen, keine Familie bilden können. Die genauen Folgen der Familiendefinition lassen sich noch nicht abschätzen, da das Gesetz erst im Sommer in Kraft treten wird. Fest steht aber schon, das gleichgeschlechtliche Paare nach wie vor, auch auf der Grundlage einer eingetragenen Partnerschaft von Adoptionsrechten ausgeschlossen bleiben, auch materielle Nachteile (Familienfreibetrag) sind somit festgeschrieben.

Rechtskonservative Propaganda durch EU-Mittel finanziert

Abgesehen von den Veränderungen der gesetzlichen Grundlagen, hat sich das Klima und die Kommunikation zwischen der amtierenden Regierung und Organisationen im LSBT-Bereich grundlegend verändert. Die Kardinalgesetze und die Verfassung wurden, wie fast alle neuen Gesetze, in einem Turboverfahren durchgepeitscht, wobei man keinen Willen zu Konsultation erkennen ließ. Symptomatisch scheint auch die Ausladung von Háttér, eine der wichtigsten LSBT NGOs, ohne eine aussagekräftige Begründung vom AIDS-Tag in Budapest vor zwei Jahren. Nebenbei wurde sogleich die „Nationale Aids-Strategie“ mit einem lächerlichen Symboletat von 18 Mio. HUF (62.500 EUR) ausgestattet und damit zur Bedeutungslosigkeit verdammt.

Papst-Lehren im Schullehrplan

Erzeugen von Schuldgefühlen zur “Erziehung”, eine typisch katholische Taktik. Plakat an Budapester Bushaltestellen vor rund einem Jahr.

In der Zwischenzeit werden lieber unrechtmäßig EU-Mittel für Poster einer manipulativen Anti-Abtreibungs- und Pro-Adoptionskampagne ausgeben. Auf denen wurden Föten im Stadium der 28. Woche abgebildet - eine Abtreibung ist in Ungarn aber nur bis zur 12. Woche möglich – und mit der Unterschrift „Lass mich leben! Gib mich lieber zur Adoption frei!“ versehen. Die Mittel waren eigentlich für Projekte im Bereich des Gendermainstreamings gedacht. Doch auch das Thema Frauenrechte hat sich einem neuen von der Regierung entworfenen Bild zu unterwerfen.

Eine solche Vorgehensweise scheint zumindest aus dem Blickwinkel der rechtskonservativen Fidesz und ihrem Juniorpartner KDNP konsequent, zieht man deren christlich-konservative, eher fundamentalistische Ansichten und Handlungen in Betracht, das mit einer verstaubten Sexualmoral á la Papst einhergeht. Argumentiert wird mit "Werten", gemeint ist: Entrechtung. Derzeit wird an einem landesweit gültigen Lehrplan gearbeitet, in dessen Entstehungsprozess bereits ein erster Entwurf an die Öffentlichkeit gelangte, der nichts Gutes vermuten lässt. Darin wird beispielsweise Sex vor der Ehe als unmoralisch bezeichnet und unehelich gezeugte Kinder stigmatisiert. Auch die massenhafte Übergabe von bis dato staatlichen bzw. kommunalen Schulen in die Trägerschaft der Kirchen, (aus Geldmangel der Kommunen) verhindert freiheitliche Aufklärung auf lange Sicht, die nächste Generation homophober “Hungaromachos” wird sozusagen vorprogrammiert.

Halbherzige Bekenntnisse der parlamentarischen Opposition

Das im Parlament vertretene Parteienspektrum würde die Anliegen der LSBT nur ungenügend repräsentieren, gibt der Sprecher von Háttér zu bedenken. Von MSZP oder LMP werden lediglich einige Themen marginal angeschnitten. Beide Parteien hatten sich beispielsweise gegen die Festschreibung des Ehebegriffes in der Verfassung ausgesprochen, jedoch nicht aus diskriminierungstechnischen Gründen, sondern mit der lapidaren Ausrede, dass dies einfach überflüssig sei. Trotzdem zeigten sich beide Parteien offen für eine Zusammenarbeit und würden die Organisation auch konsultieren, wenn geplante Gesetze deren Interessenbereich tangieren.

Die außerparlamentarische Oppositionsgruppe Milla zeige hingegen großes Interesse an einer Zusammenarbeit und würde auch programmatisch auf Problemstellungen eingehen, zudem seinen regelmäßig auch LSBT-Redner auf der Liste bei wichtigen Demonstrationen. Die Zusammenarbeit mit
4K! und Szolidaritás tendiere hingegen gegen Null, die beiden zeigen wenig bis gar kein aktives Interesse an einer Zusammenarbeit mit der LGBT- Organisationen, offenbar auch aus dem Kalkül heraus, vorurteilsbehaftete “Normalbürger” nicht zu verschrecken.

Russische Verhältnisse: in Homophobie vereint

Politisch versucht die offen neofaschistische Partei Jobbik immer wieder Öl ins Feuer zu gießen. Anfang April brachte die Partei einen Antrag ins Parlament ein, der nach St. Petersburger Manier vorsah „Homosexualität in der Öffentlichkeit“ unter Strafe zu stellen, um nach Aussagen des Jobbik-Abgeordneten Mirkóczki Ádám „die öffentliche Moral und die psychische Verfassung junger Generationen“ zu schützen. Das homophobe Grundansichten nicht nur ein Phänomen der rechtsradikalen Parteien sind, sondern auch mit dem Fidesz´schen Fundament harmonisieren, wird regelmäßig in eindrucksvoller Art und Weise unter Beweis gestellt.

In einem arbeitsteiligen Stil, versuchten die beiden rechten Parteien im Budapester Stadtrat, das in diesem Jahr stattfinden schwul-lesbische Sportereignis „Eurogames“ zu verhindern, indem der amtierende Bürgermeister Tarlós die von der liberalen Vorgängerregierung zuvor zugesagte Unterstützung der Stadt zurückzieht und sich damit europaweit blamierte und die Jobbik gleichzeitig davor warnt, „dass mehrere Tausend Homosexuelle die Stadt überschwemmen werden“.

Versteckspiele

Die Ausmaße des alltäglichen Spießrutenlaufes, denen sich LSBTs gegenübersehen, lässt sich an einigen Beispielen erahnen, die es auf die Agenda des Ombudsmannes für Menschenrechte geschafft haben. Da wird zum Beispiel ein lesbisches Paar nicht mehr beim Arzt behandelt, weil es im Sprechzimmer Händchen gehalten hat, ein schwules Paar wird kurzer Hand aus einem Budapester Thermalbad geschmissen, weil sich andere Badegäste „gestört“ fühlen.

Der Sprecher von Háttér sieht aber das größte Problem immer noch darin, dass Menschen die nicht in das „heterosexuelle Normalbild“ passen, sich schlichtweg verstecken und ihre Identität verbergen müssen aus Angst ihnen könnten dadurch Nachteile entstehen oder im schlimmsten Falle physischer Gewalt angetan werden. Dieses Klima der Angst und Einschüchterung zeigt sich besonders stark, außerhalb der Hauptstadt Budapest, dort wo auch das Netz an LSBT-Organisationen und somit Beratungsangebote oder schlichtweg Veranstaltungen speziell für LSBTs, nur rudimentär ausgeprägt sind. Die Furcht vor einer gesellschaftlichen Stigmatisierung lässt sich durch eine Studie der Háttér eindrucksvoll veranschaulichen. Auf Internet-Dating Seiten für Schwule, Lesben oder Bisexuelle haben etwa 80-90 Prozent der Nutzer aus Budapest ein Bild im Profil, in Debrecen nur etwa 10 Prozent.

 

Die Hauptaktion der Betroffenen hat sich längst zu einem beidseitigen Ritual verhärtet. Jedes Jahr findet die Gay Pride Woche mit der gleichnamigen bunten Parade statt. Diese ist massiven verbalen und körperlichen Angriffen durch primitve Politiker und Rowdys ausgeliefert, die Teilnehmer werden zu regelrecht Gejagten auf den Straßen Budapests. Selbst Amtsträger und Vertreter der Regierungsparteien bezeichnen die Parada als "Provokation" und "Gefährdung der ungarischen Jugend" und weisen auf den hohen Ausländeranteil unter den Teilnehmern hin, so als wäre Homosexualität ein aus dem dekadenten Westen eingeschlepptes Virus. Höhepunkt der Selbstentblößung waren die “Behandlungstipps” von heutigen Regierungspolitikern.

Auch an der Tagesordnung stehen die Versuche, den Pride March unter fadenscheinigen Begründungen zu verbieten, ein Aspekt, den Diskurs über dieses Thema zu unterbinden und als gesellschaftliches Problem zu negieren. Dem Status der Freiheit in Ungarn stellen diese Zustände - weit über die Szene der Betroffenen hinaus - ein katastrophales Zeugnis aus und erinnern uns auch in diesem Gesellschaftssegment an Zustände, die außerhalb des europäischen Wertesystems liegen.

Antje Lehmann

 

 

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