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(c) Pester Lloyd / 22 - 2012     WIRTSCHAFT 29.05.2012

 

"Kein Geld für Wachstum..."

EU-Bashing und Pseudodemokratie ersetzen Wirtschaftspolitik in Ungarn

Der ungarische Premier Orbán raisonnierte im Rundfunk einmal mehr über das Schulden-Standing Ungarns, dass die EU seinem Land eigentlich Lob schulde und warnte vor den "Vereinigten Staaten von Europa". Auch kündigte er eine neue Runde des Showacts "nationale Konsultation" an, diesmal u.a. zum Thema "Schaffung von Arbeitsplätzen" und dauerhaften Sondersteuern. Konkrete Vorschläge, wie Ungarn aus seiner wirtschaftlichen Agonie auftauchen könnten, gab es wieder keine, dafür Neusprech und Zynismus für die Armen.

Premier Orbán in seiner Gebetsnische, resp. seinem Stammstudio bei Kossuth Rádío.

Die allwöchentlich am Freitag ausgestrahlte Sendung "180 Minuten" im staatlichen Kossuth Rádió hat bei aufgeweckten Zeitgenossen schon den Beinamen "Freitagsgebet" bekommen, so häufig monologisiert Premier Orbán dort in Anwesenheit eines Moderators über die ihm genehmen Themen aus Ungarn und der Welt und die Stellung, die sein Wächterrat, pardon, Regierung dazu beziehen. Kritische Fragen bleiben außen vor, heikle Themenkreise werden vom Stichwortgeber nur dann angegangen, wenn der Ministerpräsident eine auffallend passende Lösung anzubieten hat. Ein bisschen erinnern diese Gespräche an Zeiten, in denen bemüht lockere Parteifunktionäre in Betrieben und Schulklassen einritten, um einmal "ganz offen" zu diskutieren. Hübsch gekämmte Klassen- und Brigadebeste stotterten dann ihre eingeübten Fragen vom inneren Band. Immerhin, einen Einblick in die aktuelle Schwerpunktlage der Regierung liefern diese Sendungen, zwischen den Zeilen lässt sich oftmals herauslesen, welche Gesetzesgebilde in den kommenden Wochen über das Land rollen könnten...

Kein Geld für Wachstum

Am vergangenen Freitag beschäftigte sich der Premier zunächst mit der Schuldenlage und der Debatte über einen Kompromiss zwischen europäischem Spar- und - nicht mehr nur aus Frankreich - gefordertem Wachstumspakt. Orbán meinte, es wäre in der "derzeitigen Lage verheerend", würde Ungarn "versuchen, das Wirtschaftswachstum auf Kosten eines Anstiegs der Haushaltsschulden" anzutreiben. Derzeit habe Ungarn keinen Spielraum. Das sähe anders aus, "wäre unser Defizit auf dem Level von Bulgarien mit 16% des BIP, sogar mit dem polnischen Niveau von 55% des BIP", könnte Ungarn Gelder für die Wirtschaft locker machen.
Doch aufgrund des "Erbes der Vergangenheit" (gibt es auch ein Erbe der Gegenwart?) steht Ungarn mit einer Schuldenquote von über 80% da, die man vorerst "nur auf 78 oder 77% reduzieren" können wird.

Orbán macht dem Land, dessen ökonomische Basiswerte wie Industrieproduktion, Arbeitsplatzentwicklung, BIP, Forint, Konsum
wieder unter die bereits korrigierten Prognosen rutschen, wenig Hoffnung. Jede Aufweichung der derzeitigen Sparpolitik würde ihm erneuten Ärger per EU-Defizitverfahren bereiten, doch die Steuerschraube, vor allem für die einkommensschwache Mehrheit ist bereits so überzogen, dass sich soziales Elend und private Verschuldung immer weiter dramatisieren.

Wirtschaftsfördermaßnahmen (Széchenyi-Plan) entfalten keine Wirkung bzw. werden durch Zusatzsteuern, Kreditklemme, ausufernde Bürokratie und Planungsunsicherheit mehr als aufgehoben. Indem er die ungarische Situation zur Forderung für ganz Europa erhebt, stärkt er, ungewollt oder unbedacht, letztlich aber seine ärgsten Feinde, die "internationale Finanzwirtschaft", denn die sind bisher die einzigen, die vom Merkelschen Sparkurs, der ja nur auf die Zinszahlungsfähigkeit abzielt, profitierten. Ein Blick nach Griechenland zeigt, wer gerettet wurde, weil man dort sieht, wer es nicht wurde...

Warnung vor den USE...

Orbán sprach sich ganz klar gegen Überlegungen aus, die EU mit einer eigenen direkten Steuerkompetenz in den Mitgliedsländern (EU-Steuer) auszustatten. Das würde "die Brüsseler Bürokratie nur stärken, stattdessen sind die Einzelstaaten, ihre Budgets und Umsätze und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken." Wenn Brüssel "anfängt, eigene Steuern einzuheben" würden wir "irrtümlicherweise zu Vereinigten Staaten von Europa werden", ein Konstrukt, das die Menschen nicht gewählt hätten. Eine EU-Steuer käme einem Übertritt über den Rubikon gleich. Dies eine mildere Variante des Orbán-Sagers von Brüssel als dem "neuen Moskau".

Orbán will ein Lob und nur das Minimum

Trotz dieser Einschränkungen an Macht und Mitteln für die Zukunft, erwartet Orbán dennoch im Hier und Jetzt ein entschlossenes Handeln von der EU. "Der Fiskalpakt kann nicht durch einen Wachstumspakt ersetzt werden", sondern höchstens ergänzt. Ungarn sollte "anerkannt und gelobt" werden, da es eines der "drei bis fünf" Mitgliedsländer sein wird, die "im kommenden Jahr gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und ihre Schulden senken werden." Doch, bescheiden, wie sein Land und er nun einmal sind, fordert man "nur das Minimum", nämlich "eine gerechte Behandlung und die Aufhebung der früheren ungerechten Entscheidung, die Aussetzung der uns zustehenden Fonds betreffend." Wie erläutert, ist die Sache seit dem
Széll 2.0 Paket weitestgehend vom Tisch, nur die formale Aufhebung durch den Rat der Regierungschef steht für Juni noch aus, gilt aber als sicher.

Dauerhafte Sondersteuern, vozugsweise für "Multis", sind beschlossene Sache

 

Die Unternehmen der Finanz-, Handels-, Telekom und Energiebranche werden wohl damit leben müssen, dass die Aufhebung der "temporären Krisensondersteuern" endgültig vom Tisch kommt. Den Banken war das mit der aktuellen Einführung der Transaktionssteuer ohnehin schon klar, auch die Telefonsteuer sowie der erhöhte Körperschaftssteuersatz für Energieunternehmen (hier alles zu den neuen Steuern) sorgte für die "Überführung in ein neues System", bei dem die "Lasten gerechte geteilt werden" wie Steuererhöhungen im Orbánschen Neusprech heißen.

Nun will sich der Premier dieses Thema nachträglich mit einem Fragebogen der "nationalen Konsultation" legitimieren lassen. Die Fragen darin lauten jedoch nicht, ob 1,3 Mio. Ungarn mit ihren Reallohnverlusten seit Einführung der Flat tax einverstanden sind, ob sie Spaß daran finden, zur Mehrwertsteuer noch eine extra Telefonsteuer zu bezahlen, sondern "Ob Ungarn das System der Lastenteilung durch die dauerhafte Verankerung von (branchenspezifischen) Sondersteuern (Stichwort: ausländische Multis) verankern" soll. "Ich werde dafür stimmen, wenn ich den Fragebogen ausfülle." meinte der Premier, hoffend, dass die Mehrheit der Ungarn noch nicht erkannt hat, dass die Zusatzsteuern am Ende allein vom Volke bezahlt werden.

Vierte "nationale Konsultation"

16 Fragen kündigte Orbán an, bereits dreimal zuvor hatte es solche unverbindlichen "Konsultationen" gegeben, mit Fragen, die immer so unverbindlich-einleuchtend gestellt waren, dass sie jeder, der nicht bis zur nächsten Bushaltestelle denkt, problemlos mit Ja beantworten konnte. Die Auszählungen inszenierte man auf eine Weise, als ob die Ungarn wie ein Mann hinter ihrer Regierung stünden, eine unabhängige Kontrolle fand nicht statt, nur der Datenschutzbeauftragte sorgte sich wegen eigenartiger Barcodes auf den Couverts und Bögen, die - entgegen den Zusagen und Datenschutzregeln - eine eindeutige Zuordnung der Absender jeder Antwort ermöglichen.

Im Gegensatz dazu haben es Volksbegehren, die zu verbindlichen Referenden führen könnten, sehr schwer, überhaupt einmal die staatliche Wahlkommission zu passieren. Die mangelnde Mobilisierungkraft der zersplitterten demokratischen Opposition tut ihr übriges, um zu verhindern, dass die wirklich Betroffenen einen wirkliche Stimme bekommen können. Übrigens gibt es auch ein neues Amt für Datenschutz und also in Zukunft mehr Ruhe auch von dieser Seite.

Dem Vok das Wort im Munde umgedreht

Orbán meinte, dass die Ergebnisse der vorherigen Befragungen allesamt in die neue Verfassung eingeflossen wären, die damit eine "überragende gesellschaftliche Zustimmung" und Legitimation erhielt. Als Beispiele dafür nannte er die "Berücksichtigung der Kindererziehung im Steuersystem" (Kinderfreibetrag, dafür jedoch Abschaffung von Freibeträgen für niedrige Einkommen), die "Verhinderung des Abfließens von Steuergeldern in off-shore Unternehmen" über öffentliche Ausschreibungen, (eine Regelung, die nicht wenige als Umschreibung für die Umleitung von staatlichen Geldern in die Taschen parteinaher Unternehmen sehen, am Ende
dieses Beitrages einige Beispiele).

Das Volk habe, so Orbán wörtlich, der Regierung den Auftrag erteilt, "seine Politik auf der Grundlage der Arbeit zu errichten und nicht noch Wohltaten als Lösung der Arbeitslosigkeit zu gewähren." Arbeitslosigkeit als selbst gewähltes Schicksal? Dies ist in etwa eine verbale Umschreibung des berühmt gewordenen Matolcsy-Satzes, dass man "von 47.000 Forint (160.- EUR) im Monat im heutigen Ungarn sehr gut leben kann." (Das entspricht der Sozialhilfe + dem Bonus, den man für 40 Stunden / pro Woche in lokalen meist sinn- und immer perspektivlosen Beschäftigungsprogrammen maximal erreichen kann).

So wie die Äußerungen von Premier und Minister, sind auch die "nationalen Konsultationen" wie sie die Orbán-Regierung umsetzt, eine lupenreine, zynische Propagandashow. Ganz abgesehen davon, dass diese Art der "Volksbefragung" in der Verfassung gar nicht vorgesehen, also eine aus dem Staatshaushalt finanzierte Parteiveranstaltung ist, sind die Fragestellungen dort unkonkret, manipulativ, selektiv und losgelöst von der im Hintergrund damit geplanten Gesetzgebung. Man dreht dem Volk sprichwörtlich das Wort im Munde um, dass sich nur noch wundern kann, wie man dessen Kreuze letztendlich interpretierte und liefert auch damit ein Musterbeispiel jener Pseudodemokratie, die diese Regierung seit mehr als zwei Jahren anstelle von Politik betreibt.

Mehr zur Lage der Wirtschaft in Ungarn im
Ressort Wirtschaft sowie den Unterrubriken Wirtschaftspolitik & Steuern, Finanzmarkt, Unternehmen & Investitionen

 red.

 

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