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(c) Pester Lloyd / 23 - 2012     BALKAN 08.06.2012

 

Machtspiele auf dem Flickenteppich

Staatspolitisches Siechtum: wieder eine Regierungskrise in Bosnien

Die Regierungskoalition der "bosnisch-kroatischen" Teilregierung von Bosnien-Herzegowina ist letzte Woche auseinandergebrochen. Fürs Scheitern werden Budgetfragen aber auch grundsätzlichere Probleme wie Privatisierungen von offizieller Seite als Gründe herangezogen. Jedenfalls trifft das Chaos das ohnehin schon gespaltene Land in einer schwierigen Lage. Letztlich kann nur ein "europäischer Befreiungsschlag" das siechende Interregnum beenden.

 

Erst hat es 16 Monate gedauert, bis sich nach den Parlamentswahlen im Oktober 2010 überhaupt eine regierungswillige Koalition zusammenfand, dann hielt diese nicht einmal vier Monate. Das Auseinanderbrechen der Regierung in Bosnien-Herzegowina vor einigen Tagen hat zwar einige konkrete Anlässe, doch die eigentliche Ursache liegt im Zustand der größten staatlichen Bauruine Europas.

Gräberfeld am Rand von Sarajevo. Der letzte Krieg, der allein rund 90.000 Bosnier das Leben kostete, ist gerade seit 17 Jahren beendet. Doch eine Lösung für einen dauerhaften Frieden in der Region gibt es noch immer nicht. Da zündelt der neue Präsident von Serbien schon wieder.

Die Regierungsfindung in der Föderation Bosnien-Herzegowina war nach den Wahlen vom 3. Oktober 2010 äußerst problematisch gewesen, achtete doch jede Partei und Kleinstpartei darauf, ja nicht zu kurz zu kommen. Erst am 10. Februar 2012, nach quälenden 16 Monaten fand sich eine Sechser-Koalition aus der SDP (Sozialdemokratische Partei), der SDA (Partei der Demokratischen Aktion), sowie vier weiterer Parteien, zusammen, der die Fragilität schon von Anfang an auf die Stirn geschrieben war.

Eine Frage des Geldes

Am 31. Mai war das lange umstrittene und umkämpfte Budget in Höhe von 700 Mio. EUR für die Föderation Bosnien und Herzegowina (kurz und sinngemäßg: das bosniakisch und kroatische Bosnien, die Rrepublika Srbska hat ihr eigenes Parlament und Regierung) verabschiedet worden. Die SDA hatte sich bis zuletzt dafür eingesetzt, das Budget, das auch eine Kürzung um 4,5 Prozent der Löhne im öffentlichen Bereich vorsieht, um 23 Mio. Euro aufzustocken, um ein „normales Funktionieren" der Institutionen zu ermöglichen.
 
Im Anschluss an die Parlamentssitzung am 31. Mai hatte Zlatko Lagumdžija, der Parteichef der SDP, Sulejman Tihic, den Führer des Koalitionspartners SDA gebeten, zwei seiner Minister aus der Regierung zurückziehen wegen ihrer Unwilligkeit den Haushaltsbeschluss für das Budget für 2012 mitzutragen. Nach Tihics Weigerung, dies zu tun, bat Lagumdžija Vjekoslav Bevanda, den Premierminister der Gesamtregierung, um die Entlassung der SDA aus der Koalitionsregierung und möchte auch die Koalitionen mit der SDA auf Lokalebene beenden.
 
Ein neuer Partner
 
Die SDP und „Die Allianz für eine bessere Zukunft von Bosnien“, SBBBiH, unterzeichneten ein Protokoll über die Zusammenarbeit für die bevorstehende Neuaufstellung der Regierungen auf Landes-, Bezirks-und Kantonsebene. Lagumdžija sagte nach dem Treffen am Freitag, dass die beiden SDA Minister durch einen Minister aus seiner eigenen Partei und einen weiteren von der  SBBBiH ersetzt werden. Der SBB-Führer, Fahrudin Radoncic, Inhaber der am meisten gelesene Zeitung in Bosnien, Dnevni Avaz, wird voraussichtlich der neue Verteidigungsminister.
 
Unterschiedliche Interpretationen des Bruches
 
„Der Grund für unsere Ablehnung der Koalition mit der SDA ist nicht nur das Budget. Es war nur der Auslöser. Vor Kurzem hat die SDA eine Radikalisierung vorangetrieben, die Bosnien nicht braucht ", meinte Lagumdžija. Šemsudin Mehmedovic, ein wichtiges Mitglied des Führungsgremiums der SDA, deutete an, eine der möglichen Ursachen für das Aufkündigen der Zusammenarbeit könnte der geplante Verkauf staatlicher Unternehmen wie BH Telecom und der Tabakfabrik in Sarajevo sein. "Das Wichtigste ist jedoch, dass die Entscheidung des SDP zu einer Destabilisierung Bosniens führt. Dies ist ein Angriff auf Bosnien-Herzegowina, der unabsehbare Folgen für den EU-Beitritt des Landes haben wird", bemerkte Mehmedovic am Sonntag in einer Pressemitteilung.
 
Ein Neuanfang mit Hindernissen

Das Verfahren zur Entlassung der Minister von ihren Ämtern muss jedoch von Bosniens Landtag genehmigt werden. Lagumdžija hat davor gewarnt, dass die Möglichkeit bestünde, die SDA könnte das Vorhaben in der Abgeordnetenkammer blockieren. Außerdem wurde bekannt, dass der neue Verteidigungsminister Radoncic der wichtigste Geschäftspartner des gesuchten Kriminellen Naser Kelmendi, der auch auf einer Liste der CIA als Drogenhändler auftaucht, sei. Kelmendi soll der Anführer einer der wichtigsten mafiösen Strukturen in Ex-Jugoslawien sein.
 
Alles in allem scheint das Land nicht voranzukommen, bereits letztes Jahr gab es politische Probleme
um eine Sezession der serbischen Teilrepublik außerdem hat sich die wirtschaftliche Lage seit Beginn der Weltwirtschaftskrise in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert. Dieses Jahr ist der Außenhandel aufgrund der Turbulenzen in der Euro-Zone und wegen des starken Schneefalls diesen Winter noch weiter gesunken.

Ohne Risiko ist keine Lösung

Ob die zwei Entitäten, das dreigegliederte Präsidalsystem, die Sonderveraltungszone, die Kuratel von KFOR und UNO, die Sezessionsbewegung der RS. Die aktuelle Regierungskrise im Lande verdeutlicht weiter, dass das Interregnum seit dem Dayton-Abkommen kein lebensfähiges Land konstruieren konnte. Damals hatte man, um die Waffen zum Schweigen zu bringen, eine Art ethnischen status quo hergestellt und das Land zu einem UN-Protektorat gemacht. Doch die ethnisch-geographischen Konstellationen sind mittlerweile einbetoniert. Ohne die internationale Gemeinschaft ist Bosnien-Herzegowina aufgrund seiner inneren Zerrissenheit nicht lebensfähig, mit ihr jedoch auch nicht entwicklungsfähig. Nur eine konsequente EU-isierung der gesamten Region, also im besten Falle die gleichzeitige EU-Aufnahme von Serbien über Montenegro bis Bosnien-Herzegowina, kann daher einen friedlichen Ausweg bieten.

 

Indem das Land Teil einer größeren Gemeinschaft mit allgemeinen Grundstandards und -rechten für alle Bürger wird, entgeht man neuerlichen "Verhandlungen" und bietet den Menschen eine übergeordnete Schutzinstanz. Dieser neue und dauerhafte Rahmen, instiutionell begleitet sowie regional heruntergebrochen (z.B. durch EU-Richter in lokalen Gerichten, so lange nötig) und durch außerordentliche Wirtschaftshilfe zweitweise unterfüttert, ist der einzige Ausweg aus der verfahrenen Situation, auch wenn er EU-Skeptikern wie -Freunden angesichts der derzeitigen Probleme der Gemeinschaft als geradezu waghalsig vorkommen muss.

Aussichtsreicher als ein neuer Krieg oder eine Fortführung des heutigen staatspolitischen Siechtums ist dieses Risiko allemal. Die EU hat gegenüber Bosnien-Herzegowina eine Bringschuld, nicht umgekehrt.

PK / red.

 

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