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(c) Pester Lloyd / 23 - 2012     SERBIEN 08.06.2012

 

Präsident im Porzellanladen

Wohin steuert Serbien unter Tomislav Nikolić?

Die ersten Auftritte des Tomislav Nikolić als Präsident von Serbien waren beängstigend: er leugnet das Massaker von Srebrenica, fordert Vukovar für Serbien zurück, Montenegro und das Kosovo sowieso. Damit erschwert er eine Regierungsbildung ebenso wie die fragilen Beziehungen zu den Nachbarn und die EU-Perspektive seines eigenen Landes. Doch vielleicht brauchen die Serben diesen realen Wink aus der selbstzertörerischen Vergangenheit, um endgültig mit ihr abschließen zu können...

Reden noch miteinander, haben sich aber nicht viel zu sagen. Präsident Nikolic und Ex-Präsident Tadic.

Am 6. Mai fanden in Serbien Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen statt. Damals hatten weder der ehemalige Amtsinhaber Boris Tadić noch Herausforderer Tomislav Nikolić eine absolute Mehrheit erringen können – auch bei den Parlamentswahlen kam kein Ergebnis, dass eine eindeutige Regierungskoalition definiert hätte, zustande. In den Stichwahlen am 20. Mai konnte sich dann Tomislav Nikolić überraschenderweise gegenüber Tadić durchsetzen.

Nikolić ist ein alter Hase im politischen Geschehen Serbiens. Ehemals war er Vizepräsident der nationalistischen SRS und unter dem Kriegsverbrecher Slobodan Miloševićs Kabinettsmitglied und Vizepremier und gründete mit der Serbischen Fortschrittspartei eine eigene Formation, deren Vorsitzender er wurde und noch heute ist. Des Weiteren hat er im Bürgerkrieg als Tschetnik-Führer auf Seiten der Serben gegen die Kroaten gekämpft.

Unrealisierbare und gefährliche Träume

Kroatiens Präsident Ivo Josipović hat bereits angekündigt, nicht an der Amtseinführung Nikolićs teilzunehmen, solange dieser nicht seine Äußerungen über Großserbien zurücknimmt. Letzten Donnerstag sagte Josipović in Brüssel: „Ich werde am 11. Juni nur nach Belgrad gehen, wenn Nikolić eindeutig das gemeinsame Projekt der Europäisierung der Region akzeptiert und die Aussagen zurücknimmt.“

In einem Interview am 19.05. sagte Nikolić nämlich gegenüber der FAZ, dass „Vukovar eine serbische Stadt war. Dorthin haben Kroaten nicht zurückzukehren.“ Vukovar ist eine Stadt im serbisch-kroatischen Grenzgebiet, war schwer umkämpft im Bürgerkrieg und liegt auf kroatischem Territorium. Der kroatische Außenminister Vesna Pusić nannte die Aussagen „schockierend und absolut inakzeptabel für Kroatien". Außerdem gab Nikolićs an, dass „er den Verlust der serbischen Territorien nie verschmerzen werde“ und er Großserbien als seinen „unrealisierbaren Traum“ sieht. Kroatiens Minister Predrag Matić, kommentierte ironisch „Ich stimme mit Nikolic überein, dass es einige Träume gibt, die nie Realität werden. Ich habe auch von Claudia Schiffer geträumt.“

Leugnung des Völkermordes von Srebrenica

Nach seinem Amtsantritt sagte Nikolić in einem Interview mit dem montenegrinischen Fernsehen den provokanten Satz „Es gab keinen Völkermord in Srebrenica". In Srebrenica sei „von einigen Serben ein schweres Verbrechen begangen worden. Die Schuldigen müssten ausgemacht und bestraft werden“. Dies bezeichnete Bakir Izetbegović, der bosniakische Vertreter im dreiköpfigen Staatspräsidium Bosnien-Herzegowinas, als Lüge und Beleidigung der Opfer und des ganzen Volkes.

Das Leugnen des Völkermordes, das vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien als solches eingestuft worden ist, trägt nicht zu mehr Vertrauen bei, sondern es schürt Spannungen in der Region. Bezüglich Montenegros gab Nikolić an „Ich erkenne Montenegro als Staat an, aber ich glaube nicht an den Unterschied zwischen den Serben und Montenegriner, weil es keinen gibt.“

Ungarn schaut mit Entsetzen nach Süden

Im Lichte der oben genannten Aussagen, erscheinen die Worte, die er am Anfang seines Amtseides sprechen musste, ebenfalls in keinem guten Licht: „Ich schwöre, alle meine Kräfte für die Erhaltung der Souveränität und territorialen Integrität der Republik Serbien, einschließlich deren integraler Bestandteile Kosovo und Metohija, […] einzubringen. " (Metochien = Westkosovo). Der nördliche Nachbar Ungarn schaut derzeit  entsetzt nach Süden. Zunächst ist ihm in Rumänien die Regierungsbeteiligung der - durch die Orbán-Politik bewusst gespaltenen - Ungarnpartei RMDSZ abhanden gekommen und
weht ihnen von Premier Ponta ein kühlerer Wind entgegen, da er nicht auf die Stimmen der "Ungarn" angewiesen ist, nun auch noch Nikolić in Serbien. Dabei sind nicht einmal die Vertreter der Vojvodina-Ungarn selbst das Problem, sondern die Budapester Nationalelefanten im Porzellanladen Karpatenbecken, die dünnhäutig, nachtragend und zuweilen polternd ein vorsichtiges Abwarten kaum als taktisches Mittel kennen, wie es derzeit wohl oder übel angebracht wäre, um die erzielten Erfolg für die Minderheit zumindest zu sichern.

EU-Mitgliedschaft ohne NATO?

In seiner Antrittsrede, gab er an, er sähe „Serbien als ein Haus mit zwei Türen, eine Richtung Osten und eine Richtung Westen“ und dass er auch als EU-Mitglied niemals auf den Kosovo verzichten werde. Zum EU-Beitritt gab er an „Die EU ist ein Weg, der die Zukunft repräsentiert und wir haben eine verfassungsrechtliche Verpflichtung Kosovo und Metohija innerhalb Serbiens zu bewahren. Wir werden einen sicheren Weg für unser Serbien in diesem engen Raum suchen.“ Zur NATO sagte er: „Ich betone, Serbien ist ein militärisch neutrales Land. Ich habe keine Informationen, dass die NATO-Mitgliedschaft eine Voraussetzung für die EU-Mitgliedschaft ist.“ Diese Äußerungen sind auch mit Rücksicht auf die Achse Belgrad-Moskau zu bewerten, das Serbien als religions- und kulturhistorisch nahestehendes Land durchaus als ihr sekundäres Interessensgebiet bewertet, vor allem auch im ökonomischen Sinne.

Eine schwierige Regierungsfindung

Es ist ein Menetekel für die EU-Bemühungen Serbiens, die mit der relativen Visafreiheit zur EU bereits einen praktisch messbaren Höhepunkt für die Bürger erreichten, dass ausgerechnet jene "Sozialisten", die einst von Milošević geleitet worden heute die Königsmacher der kommenden Regierung sind. Sie werden sowohl von Nikolićs Fortschrittspartei als auch von Tadićs Demokraten heiß umworben. Das Hauptproblem ist, wer den Premierminister stellen soll. In der Parlamentswahl hatte die Fortschrittspartei 73 von 250 Parlamentssitzen erhalten, während die Demokraten 67 bekamen. Drittstärkste Partei waren die Sozialisten mit 44 Sitzen. Die Fortschrittspartei sieht sich nach Nikolićs Wahlsieg gestärkt und in der Regierungsverantwortung. Die Demokraten schlagen eine Regierung bestehend aus 15 Ministerien mit Hilfe der Liberalen und der Sozialisten vor. Die Demokraten sehen Tadić als neuen Premierminister – ein Versuch ein Gegengewicht zu Nikolić aufrecht zu erhalten.

Finanzielle Probleme

Serbiens wirtschaftliche Lage ist wenig rosig. Seit Wochen verliert der serbische Dinar an Wert gegenüber dem Euro und nun warnte der Finanzrat vor einer drohenden Schuldenkrise. Der Rat analysierte, dass auf Serbien massivste Probleme zukommen würden, sollte die Staatsverschuldung bis Ende des Jahres 55% des Bruttoinlandsprodukts überschreiten. Das ist zwar immer noch viel weniger als die meisten Euroländer haben, aber Serbien verfügt über relativ geringe Exporte in die Eurozone, dazu wenig Zugang zu Euro, was auch den Zugang zur Refinanzierung erschwert. Der Rat fordert Reformen des Renten- und Steuersystems sowie vielfältige Sparmaßnahmen im Bereich der Löhne im öffentlichen Sektor.

 

Die Aufgabe des Präsidenten, die Nation zu einen, hat Nikolić also bereits supranational weiterinterpretiert, dem Land eine friedliche Entwicklung zu sichern, wäre aber sein erster Auftrag. Anstatt alten Träumen nachzuhängen und so eine bestimmte Wählerklientel zu hegen, sollten die Realitäten angepackt werden, nur so wird auch Nikolić politisch überleben, denn von Träumen wird auch in Serbien niemand satt. Ob Nikolić aber zur Behutsamkeit bei bilateralen Beziehungen, gar regionaler Kooperation befähigt ist, um so einen wirtschaftlichen Aufschwung zu bewirken, ist zu bezweifeln.

Vielleicht brauchen die Serben nochmal diesen Wink aus der selbstzerstörerischen Vergangenheit, um mit ihr endgültig abschließen zu können, weil nun klarer wird denn je, das mit ihr keine Zukunft zu machen sein wird.

Philipp Karl / red.

 

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