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(c) Pester Lloyd / 28 - 2012     GESELLSCHAFT 11.07.2012

 

Friedlich ist anders

Gay Pride und Eurogames in Ungarn nur unter massivem Polizeischutz möglich

Die Budapest Gay Pride 2012 wie auch die Eurogames gingen ohne größere Zwischenfälle über die Bühne. Doch der Frieden hatte einen hohen Preis. Tausende Polizisten und Spezialkräfte mussten verhindern, dass sich die gesellschaftlich akzeptierte und sogar von Teilen der Regierung propagierte Homophobie über die "Volkseele" Bahn bricht.

Fernbeziehung: Wer nicht mitmarschierte, konnte - wegen der Sicherheitsmaßnahmen - seine Sympathie für die Anliegen der Gay Pride nur von Ferne Kund tun, riskierte dann aber “Kontakt” zu Gegendemonstranten. Fotos: Tim Allgaier (c) Pester Lloyd

 

Von 1. bis 8. Juli fand in diesem Jahr wieder die sogenannte Budapest Pride Woche statt, ein Kulturfestival der schwul-lesbisch-bisexuell-transsexuellen (LGBT) Gemeinschaft. In den Jahren zuvor kam es immer wieder zu tätlichen Angriffen auf die Teilnehmer von Seiten Rechtsradikaler. Vor allem die große Parade mit 3000 Teilnehmern am Samstag war ein großes Ärgernis für Nazis und andere intolerante Gruppen. Dieses Jahr konnte die Parade unter rigiden Sicherheitsvorkehrungen ohne größere Zwischenfälle stattfinden. Doch unter der Abschottung leidet auch die Botschaft, zumal die Teilnehmerzahlen über die Jahre, eben auch wegen der Gefährdungslage sinken.

Dieses Jahr war ein besonders großes Jahr für die LGBT-Community in Budapest. Neben der alljährlichen Pride Woche fanden zuvor auch noch die „Euro Games“ hier statt, eine Art schwul-lesbische Olympiade. Zwei Wochen knallig bunte Feierstimmung würde man also erwarten, natürlich mit dem ernsten Hintergrund des Protests für gleiche Rechte. Doch getrübt wurde der Frohsinn im Voraus wie so oft durch die Missgunst der Behörden. Wie in den vergangenen Jahren gab es erfolglose Versuche, die Parade unter fadenscheinigen Begründungen zu verbieten, erst ein Gerichtsurteil überstimmte die "Verkehrsbedenken" der Polizei. Der Budapester Bürgermeister István Tarlós machte mehrfach klar, dass er keinerlei Unterstützung, geschweige denn Sympathie, für die Veranstaltung aufbringen könne, woran auch Druck aus dem Ausland nichts ändern konnte. In einem Brief offenbarte er sogar offen seine Homophobie, mit Amtsstempel.

Es brauchte Polizei mit Knüppeln, Gas und Wasserwerfern, Hunden und berittene Kameraden mit Schwertern (!) um die Neonazis im Zaum zu halten.

Auch "konservative Kreise" äußern regelmäßig ihre Bedenken wegen angeblich möglicher "Gefährdung der ungarischen Jugend" und legen den "Betroffenen" eine Behandlung nahe. Diese Ansichten gehen tief in die Gesellschaft, hier ein Beispiel aus der heutigen Regierungspartei. Massivere Drohungen kamen hingegen von Rechtsaußen. Ein Internetforum mit Verbindungen zur Jobbik-Partei veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Die Jagdsaison ist eröffnet“. Darin wurden Namen und Adressen einiger Organisatoren der Euro Games sowie der Pride veröffentlicht. Auch von offizieller Seite der Jobbik war zu vernehmen, die Veranstaltung sei eine Provokation gegenüber allen „normalen Ungarn“ und einige Mitglieder „warnten“ auf Plakaten, dass Eltern ihre Kinder schützen sollten, da „10.000 Homosexuelle in die Stadt kommen“.

Sowohl das Sportevent als auch die Kulturwoche fanden daher unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Vor allem bei der großen Parade am Samstag spürte man den Sicherheitseifer der Polizei. Die komplette Route war weiträumig abgesperrt, die einzige Möglichkeit, seine Unterstützung für die LGBT-Community kundzutun, war, mitzumarschieren. Blieb man außerhalb des Zauns, konnte man das Geschehen lediglich aus 50-100 Metern Entfernung verfolgen. Durch diese Vorkehrungen blieben natürlich auch die Beleidigungen einiger Gegendemonstranten ohne große Wirkung. Ein Plakat der Paradeteilnehmer mit der Aufschrift „Antirassistische Schwuchteln gegen Rassismus“ zeugte jedenfalls von weitaus mehr Kreativität.

Die 200-300 Neonazis am Parlament, die vergeblich auf die „Schwulen“ gewartet hatten, mussten sich also anders vergnügen und lieferten sich regelrechte Straßenschlachten mit der Polizei. Einzelne Personen wurden festgenommen, da sie gewalttätig agierten oder verbotene Zeichen trugen, was die Stimmung noch mehr anheizte. Als sich dann noch ein vermeintlicher Homosexueller in den Mob verirrte, der getreten und bespuckt wurde, reagierte die Polizei zunehmend weniger zurückhaltend. Seltsamerweise konnten jedoch auch Neonazis ungehindert Waffen mit zur Demonstration bringen, so setzte z.B. einer der Faschisten Reizgas in großen Mengen gegen die Polizei ein. Nur mit Unterstützung der Hundestaffel konnte die Ordnungsmacht die Situation wieder einigermaßen unter Kontrolle bringen.

Umgehend beschwerten sich die Jobbik-Leute im Parlament über "ausufernde Polizeigewalt" und "Verbrechen gegen die Meinungsfreiheit" und stellten die Polizeieinsätze in eine Reihe mit den Übergriffen von 2006 als die Polizeimacht unter Gyurcsány teils auf kriminelle Weise überreagierte. Aber auch die Marschteilnehmer hatten Grund zur Klage. Ein Transparent auf dem Umzug mit der Aufschrift "Jobbik Schwulenabteilung" war der inhaltlich offenbar doch überforderten Polizei zu provokant und geeignet den öffentlichen Frieden zu stören, es wurde unter Gewaltanwendung entfernt.

 

Dass die Gay Pride relativ reibungslos ablaufen konnte, ist gewiss der Polizei zu verdanken, die ihre Taktik in den letzten Jahren wesentlich verbessert hat. Das Drama ist jedoch, dass es dafür so viel Polizei braucht. Leider wird so jedoch auch ein großer Abstand zwischen der LGBT-Community und den zahlreichen sympathisierenden Passanten und Touristen geschaffen. Eine Demonstration kann ihren Zweck schließlich nur erfüllen, wenn sie Gehör findet. Ein guter Anfang war die Teilnahme einiger Diplomaten, so beispielsweise der US-Botschafterin in Ungarn. Der langfristige Ansatz kann jedoch nur sein, das Klima der Homophobie in der Gesellschaft zu bekämpfen, damit es keiner Absperrungen mehr bedarf. Hier ist nicht zuletzt die Politik gefordert, die in Ungarn Einiges zu tun hätte. Die zunehmende Kooperation des Fidesz mit der radikalen Jobbik stimmt aktuell leider wenig optimistisch.

Tim Allgaier

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