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(c) Pester Lloyd / 28 - 2012     POLITIK 12.07.2012

 

Patriotischer Beutezug

Aktivisten besetzen "Oligarchen-Zentrale" in Ungarn

Zu einem zünftigen Gerangel zwischen Abgeordneten und Aktivisten sowie der Polizei kam es am Mittwoch am Firmensitz der Bau- und Immobilienfirma Közgép. Der Protest einiger “Gutmenschen” richtet sich gegen ein Phänomen, das in Ungarn seit der Wende an der Tagesordnung ist, ja eigentlich das hiesige Wirtschaftssystem definiert: die Aufteilung des Landes als Beute. Nur die Schamlosigkeit, mit der die Machthaber ihr Treiben rechtfertigen, mag noch beeindrucken.

Parlamentarier und Anhänger der grün-liberalen Oppositionspartei, LMP, die 2010 mit überraschend starken 7,5% ins Parlament kam und seitdem die Machthaber genauso wie die große Opposition mit Wünschen nach Transparenz und Demokratie nervt, bildeten eine Menschenkette um den Firmensitz der "Oligarchenzentrale" als die man die Közgép Zrt. sieht und skandierten u.a. "Hier wird ihr Geld vernichtet" und - in Anspielung an die Anti-EU-Proteste der Regierungstreuen: "Wir wollen keine Simicska-Kolonie sein!".

Közgép weird zum Synonym für den nächsten Beutezug

Lajos Simicska, enger Studienfreund von Orbán, ehemaliger Finanzchef der Regierungspartei Fidesz und eine Weile auch Chef des Finanzamtes unter der ersten Orbán-Regierung, wurde auf dubiose Weise zum Chef und Mehrheitseigner des ehemaligen Staatsbetriebes Közgép sowie einer Firma für Außenwerbung. Seit dem Amtsantritt der Fidesz-Regierung erfreuen sich beide Unternehmen massiver Auftragseingänge der öffentlichen Hand, deren Zustandekommen meist ziemlich dubios waren, oft war Közgép das einzige Unternehmen mit einem "gültigen" Gebot, andere Regeln wurden wegen "nationalem Interesse" oder "Dringlichkeit" teilweise einfach außer Kraft gesetzt. Beobachter vermuten (und wir können diese teilweise belegen, müssen aber noch unsere Quellen schützen) im Hintergrund eine weit verzweigte Günstlingswirtschaft, mit Kick-back-Zahlungen bis in höchste Kreise, Parteieinfinanzierung und vor allem dem Ziel der "privaten Bestandssicherung für schlechte Zeiten", um es einmal vorsichtig auszudrücken.

 

"Közgép" ist schon heute - in rekordverdächtiger Zeit - zum Synonym für den Beutezug der Nationalkonservativen geworden so wie dies BKV, King´s Casinos, Zuschlag etc. bei den "Sozialisten" wurde. Besonders erregt zeigt sich die Opposition, neben der fehlenden Transparenz bei der Auftragsvergabe und bei den Eigentümerstrukturen auch über die Vergabe eines Kredites über mehr als 110 Mio. EUR an Közgép durch die staatliche Entwicklungsbank, bei der sich der Kreditgeber beharrlich weigert, die Konditionen mitzuteilen.

Simicska (Foto) und seine Frau halten über verschiedene Unternehmen bis zu 60% an der milliardenschweren Közgép und gelten, ebenso wie diverse Freunde in der Landwirtschaft, als Strohmänner für die "Fidesz AG" bzw. - wie die Enge vieler Freundschaften nahelegt - auch eine Art Orbán AG. (Hier mehr zu den vielfältigen Aktivitäten von Orbán und Freunden in der Landwirtschaft).

Das Positionieren enger Vertrauter und alter Freunde in strategisch günstige Positionen in der Wirtschaft, kann in vielen Bereichen von der Hotellerie über Transport und Logistik bis hin in die Schwerindustrie und den Lebensmittelhandel, vor allem aber im Baugewerbe systematisch beobachtet werden, in manchen Segmenten übersteigt die offene Dreistigkeit des Vorgehens sogar noch die Gangart der sozial-liberalen Vorgänger, die eben auch wegen dieser Art von Anmaßungen und Missbräuchen vom Wähler ins politische Abseits gestellt wurden. Vor allem Branchen, über die viele EU-Strukturgelder fließen, gelten als besonders anfällig für solcherart "Querverbindungen" zwischen Politik und Wirtschaft, natürlich nicht nur in Ungarn.

Oppositionschef Benedek Jávor lässt sich von der Polizei abschleppen. Er genießt parlamentarische Immunität, andere Aktivisten erwartet ein Verfahren wegen Landfriedensbruch und Widerstand.

Opposition: Oligarchen kontrollieren die Wirtschaft - ach wirklich?

 

Die Protestaktion der LMP, die seit Monaten Aufklärung über die Auftragsvergaben im Milliardenmaßstab verlangt, aber nicht erhält, wurde von der Polizei auch unter Anwendung von körperlicher Gewalt beendet, nachdem der firmeneigene Sicherheitsdienst "Gefahren für die Arbeitsprozesse" beanstandet hatte. Dabei mussten die Beamten auch Ketten durchschneiden, mehr als zwei Dutzend Aktivisten wurden kurzzeitig verhaftet. LMP-Fraktionschef Benedek Jávor sagte vor Ort, dass man "Aufmerksamkeit" für den Fakt erregen wollten, "dass das Land von einer kleinen Gruppe von Oligarchen gesteuert wird, die mehr und mehr die Kontrolle über die Wirtschaft übernehmen." Die Partei unterstellt der Behörde, die für öffentliche Ausschreibungen zuständig ist, Közgép "bevorzugt zu behandeln".

Jávor beschreibt damit jedoch nicht viel mehr als die Fortsetzung der Zustände, wie sie in Ungarn seit der Wende herrschen. Der national-moralische Saubermannanspruch der heutigen Fidesz-Regierung steht dabei in etwa im gleichen schrillen Kontrast zur gelebten Praxis wie das Etikett “Sozialisten”, das sich die grauen Turboprivatisierer der MSZP-SZDSZ-Mannschaft verpasst hatten.

Regierungsamtliche Siegerpose

Das Unternehmen Közgép bestätigt diese mafiöse Kontinuität noch auf lustige Weise, in dem es sich im aktuellen Fall mit der Argumentation wehren will, dass man auch unter den sozialistischen Regierungen rapide gewachsen sei und man wirtschaftlichen Erfolg doch nicht als Negativum bewerten sollte. Im übrigen kündigte der entsetzt spielende Pressesprecher des Unternehmens eine Strafanzeige wegen Besitzstörung, Einschränkung der persönlichen Freiheit der Mitarbeiter und Geschäftsschädigung an.

Die Fidesz-Parteisprecherin Gabreiella Selmeczi (Foto), die sich stets durch eine besonders schlichte Argumentation kenntlich macht, spiegelt in ihrem Statement eindrücklich die Siegerpose, die Vertreter der heutigen Machthaber immer schamloser einnehmen: Sie findet es "traurig", dass sich "ungarische Politiker an den Eingang eines ungarischen Unternehmens ketten, anstatt ungarische Interessen zu verteidigen". Die LMP-Leute seien offensichtlich im Auftrag "wirtschaftlicher Interessensgruppen unterwegs", die "in jüngster Zeit wieder aufwachen". Es sei "schädlich", wenn sich politische Gruppen für wirtschaftliche Interessensgruppen ausnutzen lassen, so - allen Ernstes - die Fidesz-Sprecherin in Richtung LMP, die noch hinzufügte, dass "Unternehmen, die Ungarn beschäftigen, ihre Steuern in Ungarn bezahlen und ihre Profite im Land verwenden, ganz zu Recht staatliche Ausschreibungen gewinnen...".

Zum Thema:

> Der Fall Közgép landete, da das Unternehmen in Ungarn als unantastbar gilt, mittlerweile vor dem Betrugsdezernat der EU, OLAF. Mehr dazu.
>
Den spannenden Mehrteiler "Die Orbáns aus Felcsút" finden Sie hier
> Viele Links zu anderen dubiosen Auftragsvergaben im Fidesz-Dunstkreis
im zweiten Teil dieses Beitrages
> Und
Aktuelles zu laufenden Prozessen gegen Vertreter der Vorgängerregierungen

red.

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