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(c) Pester Lloyd / 28 - 2012     WIRTSCHAFT 11.07.2012

 

"Ungerecht und amateurhaft"

Wie die "Finanztransaktionssteuer" in Ungarn pervertiert wird - UPDATE

Die Orbán-Regierung hat mit ihrer selbst bejubelten Steuer auf Finanztransaktionen erneut ihren ganzen Dilettantismus in Wirtschafts- und Finanzfragen zur Schau gestellt. Modifizierungen in letzter Minute machten die Idee einer Spekulationssteuer zu einem Etikettenschwindel, einem Betrug, der nur der Bürger Last erhöht. Die Banken haben bekommen was sie wollten und die Regierung verfügt nun über eine so effektive wie gefährliche Stellschraube für ihre budgetären Fehlkalkulationen, - neuer Streit mit EU, IWF und EZB eingeschlossen.

Die Kleinen zahlen, die Großen lässt man laufen...

 

Am Montag hat das ungarische Parlament die als fiskalen Befreiungsschlag angekündigte und zwischenzeitlich mehrfach modifizierte Transaktionssteuer auf Finanzgeschäfte beschlossen. Damit werden ab 1. Januar 2013 sämtliche Banküberweisungen, Bareinzahlungen, Barzahlungen, Kredikarten-, Bankkarten- und Scheckgeschäfte mit einer Steuer von 0,1% belegt. Im Unterschied zum ursprünglichen Entwurf sind dabei auch alle Geldbewegungen von und zur ungarischen Zentralbank und von und zur staatlichen Vermögensverwaltung eingeschlossen.

Die Banken, die sich als Hauptopfer dieser Steuer darstellten und dem Staat offen mit "Abwanderung" von Geldgeschäften per Mausklick drohten, konnten in letzter Minute noch einen "Kompromiss" mit der Regierung aushandeln. Die Besteuerung einer einzelnen Transaktion wird bei 6.000 Forint Steuerleistung (also ab Transaktionswerten von rund 6 Mio. Forint) gedeckelt (ausgenommen Geldbewegungen von und zur Zentralbank und der Post...), womit der Steuer der eigentliche Sinn genommen wurde, der nämlich darin bestand, exzessive Spekulationen u.a. über maßlose, automatisierte Wertpapier- und Währungsgeschäfte einzubremsen oder wenigstens für das Gemeinwohl zu monetarisieren. Dies Geschäfte bewegen sich meist weit jenseits der nun zugestandenen Obergrenze, was die ganze Steuer zu einem schlechten Witz werden lässt.

Diese Steuer, für die sich die Orbán-Regierung mit geradezu befreiungstheologischer Semantik selbst lobt, ist als nicht anders als eine zusätzliche Mehrwert- bzw. Einkommenssteuer, die das gemeine Volk, einschließlich der Oma, die ihre Stromrechnung bezahlt, ebenso zu begleichen hat wie der Milchhändler an der Ecke, während Banken durch Bündelung von Transaktionen kaum ein Problem damit haben werden, diese Steuer weitgehend zu umfahren bzw. sich 6000 Forint pro Spekulationsbewegung kaum auf die Renditen auswirken.

Kniefall vor den Banken?

Da die Steuer als "Nachfolgemodell" für die Bankensondersteuer gedacht ist, die bis 2014 auslaufen wird, handelt es sich also letztlich um eine lupenreine Umverteilung der Steuerlast von Banken auf die Bürger, was nicht nur als Zugeständnis an die das Land mit einer "Kreditklemme" erpressenden Banken zu sehen ist, sondern auch als ein Signal an EU, EZB und IWF, die eine "bankenfreundliche" Politik angemahnt hatten und im Hintergrund dafür noch immer mit dem Zaunpfahl Notkredit winken.

Der Fidesz-Fraktionschef Antal Rogán, der deutlich mehr Kreide gefressen hat als sein Vorgänger Lázár, freut sich, dass man nun ein "effektives Werkzeug zur Eindämmung der Spekulationen gegen den Forint" in Händen halte. Doch - wie die Wirkungsweise der Steuer zeigt - ist die Aussage wieder eine der primitiven, populistischen Wunderkerzen, die vom Fidesz jedes Mal beim Abschluss eines Gesetzes gezündet werden, das gegen das Volk gerichtet ist. Sie halten dieses nämlich bereits für derartig beschränkt und manipulierbar, dass man sich nicht einmal mehr die Mühe einer etwas dezidierteren Argumentation macht.

Sand in Volkes Augen, Geld ins löchrige Budget

Die 1 Mrd. EUR pro Jahr aus dieser Steuer braucht die Regierung schlicht, um die Steuergeschenke an die Besserverdiener durch die Flat tax und andere ständische Maßnahmen sowie ihre fortgesetzten budgetären Fehlkalkulationen zu kompensieren. Die Regierung verkaufte sich schon bei der Bankensteuer als europäischer Vorreiter und sieht sich bei der Transaktionssteuer wieder als solcher, dabei kann Ungarn eher als Versuchsfeld betrachtet werden, auf dem herauszufinden wäre, wie sehr man die Idee einer Besteuerung von Spekulation in Richtung Bürgerlast verschieben, ja eigentlich pervertieren kann, bis das Volk auf die Barrikaden geht. Die Banken haben genug Waffen und notfalls den IWF, um sich gegen eine weitere Besteuerung zu wehren, das Volk kann erst 2014 wieder abstimmen.

Stellschraube und Einladung in die Schattenwirtschaft

Die professionelle Einschätzung der ungarischen Finanztransaktionstteuer ist gespalten. Es gibt einige Volkswirtschaftler, die genau diese Steuer als das Mittel der zentralen Einnahmesteuerung der Zukunft sehen. Kann man doch die Schraube je nach Bedarf relativ leicht verstellen, ohne in Konflikte mit einzelnen Branchen oder sich benachteiligt fühlenden Bevölkerungsgruppen zu kommen, zumal Prozentzahlen im Dezimalbereich den Normalbürger kaum wirklich verängstigen, der auf seiner Lohnabrechnung oder der Supermarktrechnung sonst zweistellige Steuer- und Abgabensätze gewohnt ist.

Andere Ökonomen sehen die Sache sehr klar und kritisch: diese Steuer steuert nichts, fördert nicht, was als förderungswürdig erachtet wird, bremst nicht ein, was als unnütz angesehen wird, sie schöpft nur gleichmäßig ab. Wird sie angehoben oder sonst irgendwo zu lästig, ist sie eine offene Einladung, sich dem ohnehin schon gut funktionierenden Schwarzmarkt anzuschließen. Der widerborstige Zentralbankchef fügte noch hinzu, dass die Ausweitung der Steuer auf Transaktionen von und zu seinem Hause nicht viel bringen wird, verfügt doch das Zentralbankgesetz, dass die Verluste seines Hauses in einem Jahr, aus dem Budget des kommenden Jahres ausgeglichen werden müssen. Die 100 bis 120 Mrd. Forint, die sich der Finanzminister also holt, muss er im nächsten Jahr wieder herausrücken, andernfalls handelt es sich wieder um eine Beschneidung der Handlungsfähigkeit und damit der Unabhängigkeit der Zentralbank.

Pferdefuß: Steuer auf Zentralbankgeschäfte und -einlagen

Und noch einen Pferdefuß enthält das Gesetz: alle Zinsen auf Einlagen von Banken bei der Zentralbank (die dort gerne ihr Geld parken, weil sie sich gegenseitig sowie ihren Kunden nicht über den Weg trauen) sollen ab 2 Wochen Einlage ebenfalls besteuert werden. Dieser Nebensatz im Transaktionssteuergesetz hebelt mal so eben ein wichtiges Element der Unabhängigkeit der Zentralbank aus, die u.a. darin besteht, dass eben sie selbst und nicht die Regierung derartige Zinssätze festlegt,um Geldmenge, Inflation, Währungs- und Zinsentwicklungen etwas steuern zu können. Diese Steuer sei jedoch ein indirektes Absenken des Zinssatzes. Im Hinblick auf die gerade halbwegs beruhigten, doch immer noch sensiblen Gemüter bei EU und IWF hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zentralbank, ist diese Gesetzesergänzung als ziemliche Dummheit einzuschätzen, zumal sie offenbart, dass die Regierung in derartigen Geldnöten steckt, dass sie solche sinnlosen Tricksereien anwenden muss, damit ja die 2012er Zahlen irgendwie stimmen mögen, was immer danach kommen möge.

„Die Regierung wird sich nicht weiter an einem Streit über die Finanztransaktionssteuer für die Nationalbank beteiligen“, sagte Orbán in einem Radio-Interview und hält diese Aussage für einen ausreichenden Beleg für die Unabhängigkeit der Nationalbank. Denn, die Zentralbank könne schließlich "selbst entscheiden, wie sie mit der Steuerbelastung umgehe." Genauso sei sie deshalb jedoch auch keine Ausnahme innerhalb des Finanzsystems, meinen die Fidesz-Politiker, um von ihrem kleinen Coup geflissentlich abzulenken.

Premier Orbán stellte gestern zudem vorauseilend klar, dass die “EU kein Recht hat, die Transaktionssteuer zu beeinspruchen”, was in Brüssel geradezu als Aufforderung gesehen werden wird, sich das Konstrukt genauer anzuschauen, immerhin ist der Passus die Zentralbank betreffend sehr einladend formuliert. Orbán ging aber noch weiter, er sagte im TV wörtlich “Niemand kann gegen Entscheidungen des Parlaments von Ungarn Einspruch erheben”. Das ist - nähme irgendjemand Orbßan noch ernst - geflissentlich der Abschied von der EU, deren Regeln eben dieses Parlament in vielen Fragen doch unterworfen ist, von Einspruchsrechten des eigenen Verfassungsgerichtes ganz abgesehen.

Opposition in Totalkritik vereint

 

Was die allerwerteste Opposition zu den Manövern bei der Transaktionssteuer zu melden hatte, kann man sich denken. Die "Sozialisten" wiesen daraufhin, dass die neue Steuer wieder einmal am stärksten die Ärmsten trifft, statt die Spekulanten zu stoppen. Fraktionsvize István Józsa wünscht sich eine "wirtschaftliche Performance" statt einer neuen Steuer. Freilich hatte sich das Land auch eine gewisse "Performance" gewünscht als Józsas Partei acht Jahre am Stück an der Macht war, dann wäre diese Steuer jetzt vielleicht nicht "nötig". Die neofaschistische Jobbik glaubt, dass nun bald das Kreditwesen in Ungarn völlig zusammenbricht, während die grün-liberale LMP der Regierung unterstellt "an der Seite der Spekulanten" zu stehen. Während nämlich die Realwirtschaft für "unumgänglichen Zahlungsverkehr" zahlen muss, "können Spekulanten der Steuer (durch die Deckelung bei 6000 HUF Steuerleistung pro Transaktion, Anm.) entkommen." Das ganze Werk sei "ungerecht und amateurhaft". Dem ist nichts hinzuzufügen.

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cs.sz. / red.

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