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(c) Pester Lloyd / 29 - 2012     POLITIK 17.07.2012

 

Höchstrichterliche Abfuhr

Verfassungsgericht von Ungarn annulliert Zwangspensionierung von Richtern

Das Urteil ist knapp zu Stande gekommen, doch so eindeutig wie überraschend. Die Zwangspensionierung von Richtern mit 62 in Ungarn ist verfassungswidrig. Eher weniger überraschend ist die Reaktion von Premier Orbán: "Das Gesetz bleibt wie es ist". Das Urteil ist eine schallende juristische wie politische Ohrfeige für die Fidesz-Politik der Gleichschaltung. Ignoriert Orbán die Annullierung, setzt er den Rechtsstaat endgültig außer Kraft. Auch die EU-Klage ist noch anhängig. UPDATE

Das ungarische Verfassungsgericht hat am Montag das Gesetz, das die Pensionierung von Richtern mit 62 statt 70 Jahren bestimmt, gekippt. Die Entscheidung fiel mit 8 zu 7  Stimmen denkbar knapp aus, letztlich gab die Stimme des Präsidenten des Verfassungsgerichtes den Ausschlag. Damit dürften die knapp 300 Richter, die bereits in diesem Jahr gegen ihren Willen und gegen ihre ursprünglichen Rechte in Pension geschickt wurden, gute Chancen haben ihre Kündigungen vor den Arbeitsgerichten erfolgreich anfechten zu können.

Das Verfassungsgericht hat die Frühpensionierungen nicht nur formell, sondern auch inhaltlich beanstandet. Dabei bezog man sich auf eine Art "Besitzstandswahrung" des Prinzips der grundsätzlichen Nichtabsetzbarkeit von Richtern vor dem 70. Lebensjahr, das in Ungarn seit 1869 Gültigkeit besitzt. Der Umstand aber, dass die neu eingeführte Altersgrenze von 62 Jahren auch nur für eine kurze Zeitspanne gelten sollte, um dann - im Rahmen der allgemeinen Rentenalteranhebung im öffentlichen Dienst - erneut verändert zu werden, sei ein Eingriff in die Prinzipien der Gewaltenteilung.

Neue Ruhestandsregelungen etc. könnten rechtstreu also nur neu eingestellten Richtern verordnet werden, nicht aber - rückwirkend - schon im Amt befindlichen, so der Tenor der Begründung, alles andere wäre ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz. Die Unterstellung, Orbán wollte seine Regelung nutzen, um hunderte linientreue Richter auf die freiwerdenden Stellen zu hieven, wiederholte das Verfassungsericht freilich nicht wörtlich, doch alle Betroffenen wissen auch so ganz gut, was gemeint ist.

Wie hat Premier Orbán auf die Entscheidung, die eine ziemliche politische Blamage für ihn und seine Regierung darstellt, reagiert? In einem ersten Statement gab er sich gewohnt trotzig: das System der Pensionierung bleibt wie es ist, ließ er wissen und brachte damit einmal mehr seine ganze Wertschätzung für das höchste Wächterorgan der Verfassung zum Ausdruck. Immerhin hat er das Verfassungsgericht schon einmal, "in Fragen, das Budget betreffend" kastriert, vielleicht wird es Zeit für eine weitere "Operation". Sein Gesetz wurde jedoch nicht nur beeinsprucht oder irgendwie bemängelt, sonder strikt annulliert. Sich darüber hinwegzusetzen, setzte den Rechtsstaat außer Kraft.

Denkbar ist nun zum einen, dass das spätere Renteneinstiegsalter für den Öffentlichen Dienst (65 bzw. 67 Jahre) ohne Übergangsregelung, also gleich auf die Richter angewandt wird, in der Hoffnung, das geht als Kompromiss durch. Denkbar ist aber auch, dass die Richter wieder eingestellt, aber gleichzeitig auf nichtige Posten kaltgestellt werden. Zwar wurde die lebenslange Amtszeit der (parteinahen) Chefin durch das Parlament auf Druck der EU gerade gekippt, die sonstigen Kompetenzen hinsichtlich Umbesetzung von Richtern, Zuteilung von Fällen und sonstige "Richtlinienkompetenzen" bleiben jedoch unangetastet, was der politischen Steuerzentrale der ungarischen Richter weitreichende Handlungsspielräume ermöglicht.

 

Wegen gleicher Sache hat die EU-Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens Klage gegen die ungarische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof erhoben. Im September soll das beschleunigte Verfahren beginnen. Einige ungarische Richter hatten bereits Individualklagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht, weil sie vor ungarischen keine Chance mehr sahen, ihre Rechte erfolgreich einzuklagen. So gesehen, haben sie ihre eigenen Kollegen unterschätzt, sie, wie auch die EU, werden aber angesichts der politischen Taschenspielereien in Budapest gut daran tun, ihre Klagen nicht voreilig zurückzuziehen.

UPDATE 17.07. Statement des Ministerpräsidenten - Der “Minority Report”

Orbán argumentiert in einer mit heißer Nadel gestrickten Aussendung von einer "generellen Tendenz" in Europa die Rentensysteme umzustellen, was eine Anforderung der "sozialen Solidarität" sei. Ungarn würde mit dem Frühpensionierungsgesetz den "französischen Weg" gehen, "aber im Unterschied zu Frankreich, bekommt Ungarn ein Menge Kritik ab". Die Maßnahmen würden "die Grundlagen des Justizsystems nicht verändern." Dann folgt der entscheidende Satz: "Die Regierung wird die derzeitigen Bestimmungen zur Pensionierung von Richtern nicht aufgeben." Und Punkt.

Wie stellt man das an? "Die Regierung wird einen Entwurf einbringen um die Verfassung mit diesem Gesetz zu harmonisieren". `Harmonisieren` ist also das Zauberwort, gefolgt von einem nochmaligen "Das System wird so bleiben." Die "Inkonsistenzen" mit dem Verfassungsgericht sollte der zuständige Staatssekretär lösen, diese seien ohnehin nur formaler Natur heißt es aus dem Büro des Regierungschefs weiter in der üblichen Diktion der Abwehr. Dazu nutze man den "Minority Report", in dem die Richter, die gegen die Annullierung stimmten, ihre Rechtsmeinung zu dem Fall darlegen. Diese könnte dann die Grundlage für besagte "Harmonisierung" werden. Einer dieser Richter nahm in seiner Begründung ausdrücklich Bezug auf das “Nationale Bekenntnis”, jene Präambel der neuen ungarischen Verfassung, in der viel von Nation und Christentum, Glaube und Tradition, der Heiligen Krone die Rede ist und die damit erstmals die normative Kraft entfaltet, die ihren Erschaffern auch im Sinn stand.

red.

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