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(c) Pester Lloyd / 33 - 2012   OSTEUROPA 15.08.2012

 

Kannibalen der Demokratie

Staatskrise in Rumänien: Regierung Ponta in Orbáns Fußstapfen

Ende August entscheidet das rumänische Verfassungsericht über die Gültigkeit des Referendums zur Absetzung von Präsident Basescu. Ponta versucht derweil seine internationalen Kritiker zu beruhigen, setzt aber u.a. bei Justiz und Medien Schritte, die fatal für Rechtsstaat und Demokratie sind. Die Methoden hat er von seinem ungarischen Amtskollegen Orbán geradezu kopiert. Auch in Rumänien scheint eine auf Vernunft basierende Politik mittlerweile in weite Ferne gerückt.

Ungarns Premier Orbán (auf dem Foto links) ergriff offen für Basescu Partei und rief die Rumänienungarn zum Wahlboykott auf. Dabei sind sich Ponta (hier rechts) und Orbán in Methoden und Politstil recht ähnlich, beide handeln offen antidemokratisch.

Er werde seine Bemühungen zur Absetzung des Präsidenten einstellen, wenn dieser "innerhalb seiner ihm verfassungsmäßig zugedachten Rolle bleibt". Das sagte Premier Ponta dem britischen "Guardian" in einem Interview, implizierte damit aber gleichzeitig, dass es doch an ihm sein könnte, über Ablösung oder Verbleib des Präsidenten zu befinden. Auch fügte er hinzu, dass die dem Präsidenten von der Verfassung gegebenen Kompetenzen nicht "besonders weit gefasst" seien.

Große Worte, extreme Vorwürfe und unvereinbare Gegensätze

Pontas zentrale These für das Absetzungsverfahren war u.a. die selbstherrliche Ausweitung der präsidialen Befugnisse in der Amtszeit Basescu / Boc, vor allem auch was die Judikative betrifft, während die Gegenseite argumentiert, Ponta wolle die gesamte Macht im Staate an sich reißen, die er ohnehin nur interimistisch bis zu den Wahlen im November inne hat, um die juristische Aufarbeitung von Korruptionsfällen in seinem politischen Block zu unterbinden.

Erst Demonstranten niederknüppeln, dann den Demokratie-Retter spielen.
Viele Rumänen nehmen Basescu seine Darstellung als Volkstribun nicht ab. Auch zu den Verwerfungen beim ungarischen Nachbarn schweig Basescu, brauchte er doch die Ungarnpartei RMDSZ dringend zum Machterhalt. Mehr zur Rolle der Rumänienungarn auch bei dem umstrittenen Referendum
hier. Noch mehr zu den Entwicklungen in Rumänien am Ende des Textes.

Basescu sagte u.a. wörtlich, Ponta wolle sich für die Verurteilung seines Gesinnungsgenossen, des wegen Korruption verurteilten Ex-Premiers Nastase, "rächen" und bei der Gelegenheit gleich die Demokratie abschaffen. Das Verhalten der Regierung nannte er einen "Staatsstreich". Tatsächlich hat Basescu mit Hilfe "seines" Premiers Boc sein Amtsverständnis über Jahre konsequent weit über die in der Verfassung vorgesehenen Ausgaben ausgeweitet, was die Gegenseite wiederum als Schutzhandlung für die eigenen Interessen darstellte und ihm vorwarf, dringende Reformen zur Rettung des Landes zu verhindern und eine "Präsidialdiktatur" einführen zu wollen. Und so geht das Volk auch nur bedingt mit, wenn sich Basescu heute als Volkstribun inszeniert. Denn dieses erinnert sich nicht nur an zahlreiche und oft einseitige Sparmaßnahmen, sondern auch daran, wie Basescu Demonstranten beschimpfte und niederknüppeln ließ.

Verfassungsgericht entscheidet über Gültigkeit des Referendums

Bis zum 31. August will das Verfassungsgericht eine Entscheidung darüber treffen, ob das Referendum gültig gewesen war. Bei dem Referendum am 29. Juli hat zwar eine große Mehrheit von ca. 80% gegen den suspendierten Präsidenten gestimmt, doch das nötige Quorum von über 50 Prozent wurde mit etwas über 46% verfehlt. Kurz nach der Abstimmung warfen die Referendums-Verlierer von der Ponta-Regierung der Wahlkommission vor, veraltete Wählerlisten zu führen, was die Berechnungsbasis für die Wahlbeteiligung verzerre. Das Verfassungsgericht nahm die entsprechende Beschwerde an und prüft nun über die Regionalverwaltungen in einer Art „Mini-Zensus“, ob alle Personen, die an der Wahl teilgenommen hatten, auch tatsächlich in Rumänien wohnhaft sind bzw. überhaupt noch existieren.

Mittlerweile ist der für die Durchführung der Wahlen zuständige Innenminister Ioan Rus zurückgetreten worden. Der Schritt folgte auf Druck von vielen Seiten, zuletzt sogar von Interimspräsident Crim Antonescu. Rus sagte, er trete zurück, da er ein „ehrlicher und seriöser Politiker“ sei, der sich nichts vorzuwerfen habe. Ihm werden nicht nur die mangelhafte Aufklärung etlicher Verstöße gegen das Wahlgesetz während des Referendums, sondern auch die Informationsverschleppung gegenüber dem Verfassungsgericht angelastet, seine Entlassung war also taktisch motiviert, um das Verfassungsgericht milde zu stimmen.

USA und EU sind über Pontas Schachzüge im Bilde

 

Erst vor wenigen Tagen hatten Offizielle aus den USA und der Europäischen Kommission ihre Klagen über Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz nochmals vertieft. Der US-Vertreter sagte, dass allein sein Besuch, "ein klares Zeichen dafür ist, dass die internationale Gemeinschaft besorgt über die derzeitige politische Lage in Rumänien ist." Sowohl die USA als auch die EU riefen die Ponta-Regierung nochmals auf, jedes Ausüben von Druck auf das Verfassungsgericht bei dessen Entscheidung zum Referendum zu unterlassen. Dazu zähle auch, dass die angefragten Wählerlisten zügig und vollständig an das Gericht überstellt werden müssten, schrieb Kommissionpräsident Barroso in einem Brandbrief nach Bukarest. Die Reaktion von dort kennt man indes schon zur Genüge aus Budapest: alles sei ein Missverständnis und die EU habe "unvollständige Informationen" über die rumänische Rechtlsage, lautete es in der prompten Antwort.

Präsident Basescu und Premier Ponta quälten sich, hier bei einer NATO-Tagung ein Lächeln heraus.
Doch ein Paar wird aus denen nicht mehr...

Ein weiteres Refernderum wäre genauso fatal wie eine Kooperation der Erzfeinde unvorstellbar ist

Sollte das Verfassungsgericht das Referendum als unrechtmäßig beurteilen, dürfte eine Neuauflage folgen, was von den Kritikern der Regierung Ponta umgehend als erneuter Beweis seiner Demokratieunwilligkeit gewertet wurde, zumal Ponta auf die Verfassungsrichter zuvor massiven Druck ausgeübt hatte. Schon im Vorfeld des Referendums hatte er versucht, sich durch diverse Eilverordnungen Vorteile zu verschaffen. Das Gericht wandte sich sogar hilfesuchend an die EU: Eine Richterin sei „ernsthaft bedroht“ worden, bei einem anderen Richter habe die Regierung die Rechtmäßigkeit der Ernennung bestritten.

Zudem habe der von Ponta eingesetzte Interims-Präsident Crin Antonescu erklärt, die Regierung werde ungeachtet der "Meinung" des Gerichts an der Amtsenthebung Basescus festhalten. Auch diese Einstellung kennen wir bereits zur Genüge aus Ungarn. Hier wurden bei "unbotmäßigen" Urteilen entweder die Befugnisse des höchsten Gerichtes und Verfassungswächters beschnitten ("in Fragen des Budgets...") oder die neue Verfassung sorgte dann letztlich für die erforderliche "Konformität", auch wenn dafür Grundlagen des Rechtsstaates gebeugt und ausgehebelt wurden. Begründet wird und wurde das damit, dass das "Gerechtigkeitsempfinden des Volkes" mehr wiegt als abstraktes Recht. In Rumänien wie Ungarn herrscht bei den Regierenden die Einstellung vor, dass kassierte Gesetze nicht das Ende falscher oder fehlerhafte Gesetze bedeuten, sondern lediglich eine Handlungsempfehlung dafür geben, wie man abgelehnte Gesetze anzupassen hat.

Wahl zwischen Pest und Cholera

Für die politische Lage in Rumänien wäre ein erneutes Referendum genauso fatal, wie eine "Zusammenarbeit" zwischen den inzwischen zu Todfeinden gewordenen Basescu und Ponta als unvorstellbar erscheint. In drei Monaten finden Parlamentswahlen statt, keine Zeit also für versöhnliche Momente und vernunftgesteuerte Entwicklungen. Da ein Großteil der rumänischen Bevölkerung mittlerweile zu dem Schluss gekommen ist, dass Wahlen nur die Wahl zwischen mehreren "Mafiafamilien" lassen, könnte eine niedrige Wahlbeteiligung sogar noch die gewünschte Legitimation für das antidemokratische Verhalten Pontas erbringen, auf die sich die Orbán-Regierung, bereits vom Beginn ihrer Amtszeit an, glaubt, berufen zu können.

Beide gründen ihre Macht auf dem Versagen der Vorgänger und machen sich die allgemeinen und spezifischen Krisen zu Nutze, um sich eine ihnen nicht zustehende Machtfülle anzueignen. Denn der Abgang der Regierung Boc ist mit dem Gyurcsánys vergleichbar, ebenso der Aufstieg der Kontrahenten.

Dass kein demokratisches Mandat dazu legitimiert, die Demokratie als solche anzugreifen oder zu demontieren, sie also zu kannibalisieren, scheint einigen "Demokraten" - übrigens nicht nur im Osten - nicht klar oder eher egal zu sein, genauso egal übrigens wie die Lebensumstände für die Mehrheit ihrer Völker, die, was Rumänien und Ungarn betrifft als in wachsenden Teilen unwürdig bezeichnet werden muss.

Immerhin: Ponta hat gerade angekündigt, die Mehrwersteuer auf Lebensmittel (derzeit 24% wie auf alles) bedeutend abzusenken. Möglich, dass dies ein kalkulierter Schritt mit Hinblick auf die Wahlen ist, aber er hilft damit den Ärmsten und auch der Mehrheit ein bisschen, etwas, was der Orbán-Regierung bisher nicht eingefallen ist, ganz im Gegenteil, Sozialpolitik, Flat tax und sonstige Steuern, Forex-Ablöse, Bildungspolitik, Arbeitsrech, alles ist in Ungarn streng ständisch ausgerichtet worden, Oben, Mitte und Unten werden dort zementiert, Verarmung eingeschlossen. Ob Pont seine Sozialpolitik jedoch ökonomisch solide untermauern können wird, und ob die Empathie fürs geschundene Volk letztlich stärker ist als die Machtsucht, darf nach der bisherigen Performande offen und zu Recht angezweifelt werden.

Eine 2/3 Mehrheit macht weniger Lärm als eine Amtsenthebung,
aber genauso viel Schaden

Einige, besonders konservative Kommentatoren, meinen pikiert, man könne den Fall Ponta nicht mit Orbán vergleichen. Da sich die Ergebnisse für die Völker, die Methoden und die Schäden am Rechtsstaat aber so sehr ähneln, muss man das sogar: Vergessen wir bei dem Gezerre um Basescu nicht, dass sich die Orbán-Regierung nicht einmal die Mühe einer demokratischen Legitimierung für “ihren” Präsidenten machten musste. Sie säbelte den alten nach Ablauf der ersten Amtszeit einfach ab und ersetzte ihn Kraft ihrer parlamentarischen Wassersuppe mit einem eitlen Karrieristen, einem nationalen Stempelkissen. Das macht natürlich bedeutend weniger Lärm als ein Amtsenthebungsverfahren. Präsident Pál Schmitt, mittlerweile als Betrüger überführt und von den eigenen Leuten zurückgezogen, unterschrieb mehr als 360 neue Gesetze ohne jede Prüfung oder Beanstandung, einschließlich einer mehr als streitbaren neuen Verfassung. Das Ergebnis für die Demokratie war in Ungarn als genauso zerstörerisch wie es das in Rumänien ist.

Ponta versucht, - auch hier wieder sehr Orbán-like - zu beschwichtigen: Die "politische Krise", die das Land seit seiner Amtseinführung im Mai erfährt, werde nun "vorüber sein", damit das "Land zur Normalität" zurückfinden könne. Ponta gestand ein, dass Rumänien "die größte Staatskrise seit zehn Jahren" erlebt hatte, glaubt aber, "dass das schlimmste nach dem heißen Sommer nun vorbei" sei. Er werde alle europäischen Forderungen erfüllen.

Die Gleichschaltung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens folgt 1:1 der Methode Orbán

Doch den hehren Worten folgen schon wieder Taten, die aufhorchen lassen: Das staatliche Fernsehen, TVR, will, freilich nur aus "Kostengründen", rund 30% seiner Angestellten entlassen, dabei handelt es sich um mehr als 1.000 Mitarbeiter. Auch die Zahl der Kanäle soll reduziert werden, teilte Lucia Hossu-Longin, Mitglied des TVR-Vorstands mit. Die Schulden betragen nach offiziellen Angaben knapp 70 Mio. EUR, rund 30% des Budgets schießt der Staat zu, der eine weitere Finanzierung nun von einer "Sanierung" abhängig machte.

Aus Gründen der "Effizienz" und der "Qualitätssteigerung" wurden auch in Ungarn in den letzten 2 Jahren rund 1.000 Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefeuert, wie sich bald herausstellte, vor allem auch aus politischen Gründen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Ungarn kann inzwischen als mit der Regierungslinie gleichgeschaltet gelten, was offenbar auch den rumänischen Staatsmedien blüht, die eine ähnlich schändliche Nachwendegeschichte voll politischer Einflussnahme, Korruption und Amtsmissbräuchen erlebt haben, wie ihre ungarische Kollegen.

 

Auch Ponta verfährt nach dem Prinzip das Scheitern einer Struktur für deren Vereinnahmung zu benutzen. Genauso wie der ungarische Medienrat, ist auch der im Juni neu berufene TVR-Vorstand nicht mit Vertretern der größten Oppositionspartei besetzt, allerdings sind einige "Favoriten" des Präsidenten mit dabei, die aber keine Entscheidung der Regierungsmehrheit blockieren können. Neuer Fernsehchef wurde mit Claudiu Saftoiu passenderweise der frühere Leiter des rumänischen Auslandsgeheimdienstes, was illustriert, welche Funktion die Ponta-Regierung den öffentlich-rechtlichen Medien zugedacht hat.

red. / cs.sz. / ms.

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