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(c) Pester Lloyd / 33 - 2012     WIRTSCHAFT 13.08.2012

 

Das Zinsmantra

Steht der Zentralbank in Ungarn ein Putsch bevor?

Die ungarische Regierung erhöht wieder den Druck auf die Zinspolitik der ungarischen Zentralbank MNB. Zwei von der Orbán-Regierung entsandte externe Mitglieder des Währungsrates schwadronierten, entgegen aller Gepflogenheiten öffentlich, über baldige "Zinserleichterung für die Ankurbelung der Wirtschaft", notfalls auch gegen den Willen des Zentralbankchefs, der vor den Risiken für Inflation und Währung warnt, was die “Spezialisten” für das falsche Mantra halten...

Wunschdenken und Realitäten

Der Streit um den Leitzins und die Steuerung desselben hat sich, seit die Orbán-Regierung im Amt ist, stetig verschärft. Abgesehen von den politischen Animositäten zwischen Orbán und dem als "off-shore"-Ritter angegriffenen MNB-Chef András Simor, die nur noch über Dritte miteinander reden, zielte die Regierung stets darauf, durch möglichst niedrige Leitzinsen die Kreditklemme für die kleinen und mittelständischen Unternehmen zu durchbrechen, in der Hoffnung, Investitionen und Arbeitsplätze mögen sprießen.

Juno, auch mit dem Beinamen Moneta ausgestattet, was übrigens “die Mahnerin” heißt, was die Menschheit aber vergessen hat. Sie wachte schon über eine Münzprägeanstalt der alten Römer. Hier ist sie auf der Gedenkmünze der ungarischen Nationalbank zu deren 75jährigen Bestehen 1999 abgebildet.

Mit heute 7% ist der ungarische Leitzins der höchste in der EU, doch dafür gibt es gute Gründe. Die Infaltionsrate nähert sich bedrohlich der 6%-Marke und das bei einer gleichzeitig stagnierenden Wirtschaft und sinkenden Einkommen für die Mehrheit der Ungarn. Mehr Geld im Markt würde diese Tendenz nur anheizen, fürchtet die Zentralbank. Auch der Forint ist konjukturellen und spekulativen Angriffen ausgesetzt und schwankt binnen Monaten in einer bedenklich großen Bandbreite zwischen 275 und 320 Forint je Euro. Ihn durch halbwegs lohnende Zinsen für Währungshändler attraktiv zu halten, sieht Simor als Gebot seines Amtes.

Orbán kann mit Machtteilung nicht umgehen

 

Doch nicht nur einmal hat die Orbán-Regierung klar gemacht, dass man alle Bereiche der Ökonomie selbst zu steuern gedenkt, was in zwei Jahren zwar zu gefährlichen sozial-ökonomischen Entwicklungen geführt hat, an deren Ende eine steigende Verarmung und damit steigende Unzufriedenheit bei der Bevölkerung zur Folge haben wird und schon heute hat. Die chaotische Flickschusterei hat aber nicht zu der Einsicht geführt, dass ein außerhalb der Politik stehendes Kontrollorgan vielleicht nützlich sein könnte, ganz abgesehen davon, dass EU, EZB und IWF eine glaubwürdige, unabhängige Handlungsfähigkeit der nationalen Zentralbanken fordern. (Wenn auch vielleicht nicht aus Liebe zur Demokratie, sondern eher als Interessensvertreter für das gegenwärtige Bankensystem, aber das ist ein anderes Thema.)

Legislative Angriffe auf die eigentlich verfassungsmäßig garantierte Unabhängigkeit der Zentralbank, wurden, teilweise, durch den Druck von EU und IWF abgwendet, vorerst. Wie es nach einem IWF-Abkommen weitergeht, steht in den Sternen. Der Umweg über eine fiskale Beeinflussung über die Finanztransaktionssteuer wird - so sieht es nach der aktuellsten Ankündigung aus - wohl ebenfalls vom Tisch kommen, sollen auf selbigem irgendwann 20 Milliarden IWF-Euro landen. Hier mehr zu diesen aktuellen Entwicklungen.

Nicht der Leitzins ist die Ursache für die Kreditklemme

Experten, die Simor folgen, machen außerdem für die Kreditklemme nicht in erster Linie die hohen Zinsen verantwortlich, sondern die hohe Verschuldung der Unternehmen, Kommunen, Privathaushalte. Noch ist die ungarische Forex-Krise längst nicht ausgestanden, die Ausfallrate bei Konsumentenkrediten, die derzeit im Schnitt auf 13% taxiert wird, wird von der MNB für Ende 2013 auf bis zu 20% prognostiziert, was bei dem einen oder anderen Institut die Lichter zwar nicht ausgehen, aber bedrohlich flackern lassen wird.

Weiterhin ist durch das Flat tax-Chaos, die massenhaften und sprunghaften Steuererhöhungen und -neuerfindungen, einschließlich einer orientierungslosen Förder- und Investitionspolitik ein Klima entstanden, dass die meisten KMU in Ungarn instinktiv in den Überlebensmodus schalten ließ, die Banken übrigens auch. Auch niedrigere Zinsen werden an den sonst so widrigen Umständen für ein vernünftiges Wirtschaften kaum etwas ändern, außer die Gefahr erhöhen, sich noch mehr mit Fremdmitteln zu übernehmen.

Orbáns Ankündigung, "im großen Stil" als Staat in die Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft einzusteigen und dabei gleichzeitig die "Ungarnquote" beim Banking auf 50% anzuheben, ist bisher noch nicht viel Tat gefolgt, von kleineren Umgliederungen abgesehen. Ihm fehlen einfach die Mittel für ein derartiges Programm. Jene Gelder, die vorhanden sind, werden lieber in "strategische" Wirtschaftszweige investiert, was vor allem bedeutet, Parteifreunde in gute Positionen in der Wirtschaft zu hieven. Machtsicherung geht vor Wirtschaftsförderung.

"Externe" wollen "Interne" notfalls überstimmen - das wäre ein Putsch

Und Parteidirektive ist Parteidirektive. Und so fühlen sich die im letzten Jahr "vom Parlament", also vom Fidesz entsandten Währungsratsmitglieder, György Kocziszky und Ferenc Gerhardt, aufgefordert, über die Agentur Reuters zu einer spürbaren Leitzinssenkung aufzufordern und begründen das absurderweise damit, dass schließlich auch die EZB und die Fed in den USA ihre Raten gesenkt hätten. So als wäre Simor ein Wachstumsfeind, heitß es "Dem Wachstum sollte eine Chance" gegeben werden. Sie erklären ihre Position relativ faktenfrei und denken, dass man diese Entscheidung notfalls sogar gegen die drei internen Mitglieder des insgesamt siebenköpfigen Währungsrates durchsetzen könnte. Die drei "Internen" sind keine geringeren als der Gouverneur Simor und seine zwei Stellvertreter. Käme dies zu Stande, wäre die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank nicht de jure, aber de facto beendet. Es wäre ein Putsch.

Kaffesatzlesen als Entscheidungsgrundlage

Befragt, ob denn dieser Coup schon bei der nächsten Währungsratssitzung am 28. August erfolgen könnte, meinte Gerhardt ausweichend: "Wir müssen dann natürlich erst in die uns vorliegenden Unterlagen schauen, die politischen Änderungen wegen der Rücksichtnahme auf den IWF kennen sowie die Markterwartungen in Rechnung stellen." Kurz gesagt, die Entscheidungen werden nicht auf Grundlage von finanzmarkttechnischen und makroökonomischen Kennziffern getroffen, sondern dahingehend, wieviel IWF und "der Markt" von der Regierungspolitik aushalten können und wollen. Gerhardt schob noch nach, "dass die Marktstimmung gegenüber Ungarn sich aber verbessert hat." Na dann.

Die beiden haben schon bei den letzten Sitzungen für eine Senkung des Leitzinses, der nunmehr seit 7 Monaten unverändert ist, gestimmt. Offenbar empfanden sie dies als Niederlagen, mit denen diese Regierung noch weniger umgehen kann, als Regierungen ganz grundsätzlich mit Widerspruch durch Experten überfordert sind. Die vier "Externen" sind sich "einig, dass die Wirtschaft niedrigere Zinsen braucht". Damit haben sie recht. Doch gegen den Hauptgrund für die hohen Zinsen, eine Inflationsrate von zur Zeit 5,7% will man offenbar nichts unternehmen - kein Wunder, hilft diese doch - nominell - die Staatsschulden abzubauen, was wiederum wichtig für die regelmäßigen Erfolgsmeldungen aus dem Wahrheits- bzw. Wirtschaftsministerium ist, die längst zu reinen Ersatzhandlungen für die von Grund auf überforderten Wirtschaftsstrategen der Regierung geworden sind.

Die "Weisheit des Marktes"

 

Die Frage danach, ob die Vorsicht der internen Währungsratsmitglieder nicht doch begründet sein könnte und in einem Zinsschritt unter den jetzigen Umständen nicht ein "ziemliches Risiko" stecken könnte, wird mit der so einleuchtenden wie reflektionsfreien Gegenfrage beantwortet: "Wann ist eine Zinssenkung nicht riskant?" "Wir hören dieses Mantra (sic!) seit einem halben Jahr." und: "Der Markt ist viel weiser als wir glauben, er würde bei einer Absenkung um einen Viertelpunkt nicht überreagieren, bei 2%, ok, da würden wir sicher einen Schlag und harte Kritik einstecken müssen."

Doch eine Absenkung um einen Viertelpunkt, die betroffenen Geschäftsführer mögen uns da korrigieren, wird weder etwas am Verhalten ihres Bankberaters, noch an der Auftragslage ändern, könnte aber das Realeinkommen der Angestellten nochmals ein wenig drücken, obwohl die meisten “Durchschnittslöhner” schon jetzt am Limit kämpfen. Und dass Fidesz-Leute einmal dem Finanzmarkt, einem ihrer Lieblingsfeinde, "Weisheit" unterstellen, ist auch einigermaßen überraschend. Sollte es noch eines Beweises für die Wichtigkeit wirklich unabhängiger Währungshüter gebraucht haben, die beiden Fidesz-Spezialisten haben ihn in ihrem Interview erbracht...

ms.

Hintergründe zur Wirtschafts- und Steuerpolitik dieser Regierung
Mehr zum ungarischen Finanzmarkt / IWF-Verhandlungen / Verschuldung / Banken

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