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(c) Pester Lloyd / 35 - 2012   WIRTSCHAFT 30.08.2012

 

Tropfen auf die heiße Erde

Ungarn ruft Dürre-Notstand in der Landwirtschaft aus

Ungarn verliert in diesem Jahr bis zu 400 Milliarden Forint bzw. 1,2% des BIP durch die andauernde Trockenheit. Bei manchen Pflanzen sind 25-50% der normalen Ernte verloren. Der Landwirtschaftsminister hat daher nun den Dürre-Notstand ausgerufen und Hilfszahlungen von ca. 30 Mio. EUR für Anfang des nächsten Jahres in Aussicht gestellt. Ständevertreter finden das viel zu spät und viel zu wenig und fordern viele weitere Maßnahmen. Während auf Konsumenten nun massive Preiserhöhungen zukommen, fürchten die Erzeuger eine Massenpleite.

Der traurige Anblick eines Sonnenblumenfeldes in Mittelungarn nach Monaten der Dürre.

Die Ausrufung des Dürrenotstandes durch den Minister für Landwirtschaft, Sándor Fazekas, hat unter anderem zur Folge, dass betroffene Landwirte um Ausgleichszahlungen für ihre hitze- und trockenheitsbedingten Ernteausfälle ersuchen können, so sie Mitglied des neuen "Risikofonds" sind. Die Anträge dafür müssen bis Ende November beim Landwirtschaftsamt des jeweiligen Komitates gestellt werden. Voraussetzung für eine Genehmigung ist unter anderem der Nachweis, dass mangelnder Niederschlag zu Produktionsausfällen von mindestens 30% gegenüber einem mehrjährigen Mittelwert geführt haben. 74.000 Bauern und Landwirtschaftsbetriebe sind im Risikofonds vereint, die Auszahlungen sollen "Anfang 2013" erfolgen, derzeit rechnet das Ministerium mit ca. 8,3 Mrd. Forint an Zahlungen, ca. 29 Mio. EUR.

Regionen und Jahre mit den niedrigsten Niederschlagswerten, etliche davon könnten 2012 fallen.

Verbände fordern Vervielfachung des Notfonds

Dass diese Gelder nicht viel mehr als eine Nothilfe darstellen können, ist angesichts der befürchteten Gesamtausfälle in diesem Jahr, klar. Bisher schätzt das Ministerium und der Bauernverband die Ausfälle aufgrund der Trockenheit und der Hitzewellen auf 400 Milliarden Forint, für Ungarn gigantische 1,4 Mrd. EUR bzw. 1,2% des BIP. Die Hälfte davon sei allein im Monat August entstanden. Um am Ende der Erntesaison eine Massenpleite von Bauern und Agrarproduzenten zu verhindern, soll die Regierung nicht 8, sondern 100 Mrd. Forint auszahlen, die EU-Fördergelder schneller zur Auszahlung bringen (ein seit Jahren leidiges Thema im Lande) sowie die bereits geplante Absenkung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel schneller umsetzen. 300 bis 400 Milliarden Forint an EU-Geldern landen direkt bzw. indirekt jährlich in Ungarn.

Ergebnisse der Weizenernte in Ungarn in den letzten 9 Jahren, Zahlen für 2012 natürlich geschätzt. Zumindest bei diesem Getreide halten sich die Ausfälle in Grenzen.

Seit Jahren enorme Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln

Diese Maßnahmen werden jedoch kaum den enormen Preissprung verhindern können, der im Lebensmittelsektor auf Ungarn zukommt. Schon in der Nach-Lehman-Krise stiegen die Preise für Weizen und Weizenmehl sowie Zucker exorbitant. Aufgrund der schlechten Ernten in Russland und der Ukraine und der darauf einsetzenden Spekulationswelle an den weltweiten Weizenbörsen, die ein Exportverbot für Getreide in Russland zur Folge hatten, schoss der Preis fürs Mehl für den Endkunden um mehr als 100% zum Vorjahr in die Höhe. Die Zuckerblase war jedoch hausgemacht, verfügt Ungarn schließlich nur noch über eine einzige Zuckermühle, die auch noch in ausländischem, österreichischen Besitz ist. Hamsterkäufe ungarischer Hausfrauen in Österreich waren die Folge, der Forintkurs lange über 300 zum Euro verteuerte auch noch die Importe.

Entweder zahlt der Kunde drauf oder der Erzeuger

Dramatisch ist auch die Lage beim Futtermais, der besonders unter der Dürre litt. Fast 50% sind vertrocknet, die Ausfälle bei Getreiden stehen bei 20-25% zum Vorjahr, das allerdings besonders gut ausfiel. Wintergetreide kann wegen der Trockenheit nicht ausgebracht werden. Die zwangsläufige Verteuerung des Viehfutters wird die Fleischpreise binnen Monaten um 20 bis 25% nach oben treiben, ähnliches wird für Milch, Eier und Milchprodukte gelten. Hinzu kommen Folgeschäden, die bis in die nächsten Jahre reichen werden, denn auch die Fertilitätsrate bei Hühnern, Schweinen etc. ging aufgrund der Hitze und Trockenheit zurück. Andere Experten meinen, dass solche Preiserhöhungen am Markt gar nicht durchsetzbar seien und so eher der Bankrott vieler Produzenten wahrscheinlich werde.

Steht weltweite Lebensmittelkrise bevor?

Ungarn ist mit seinem Dürrenotstand nicht allein, große Teile Mitteleuropas teilen das Schicksal, Österreich spricht von der schlechtesten Ernte seit 40 Jahren, andere Regionen in der Welt verzeichneten so wenig Niederschlag wie vor 50 Jahren nicht mehr. Überbevölkerung, Klimawandel und Boden- und Preisspekulation haben eine Situation entstehen lassen, die nicht wenige Fachkundige bereits das Szenario einer weltweiten Lebensmittelkrise mit entsprechenden sozialen Folgen an die Wand malen.

Maisernte in Tausend Tonnen. Die Ausfälle in diesem gegenüber dem
vorigen Jahr werden auf ca. 25% geschätzt.

Wenige Produzenten könnten Gewinner der Situation sein. Jene nämlich, die hauptsächlich für den Export arbeiten werden von den steigenden Preisen profitieren. Auch versucht das Landwirtschaftsministerium zu beruhigen, dass es weder bei Getreide, noch bei Futtermais zu echten Engpässen in Ungarn kommen wird. Allerdings wird dies nur der Fall sein, wenn die geernteten Mengen auch im Lande bleiben. Von einem Ausfuhrstopp wollen die Offiziellen noch nichts wissen, doch die Verlockung, sich bei hohen Preisen im Ausland umzusehen wird kaum gering sein.

Staat soll als Preisregulator eingreifen, statt Bargeld auszuschütten

Einige Politiker der Opposition verlangen bereits ein Interventionsrecht des Staates für den Verkauf von bestimmten Tier- und Silobeständen und fordern notfalls den Einsatz der strategischen Reserven zur Stützung der Preise. Der Aufkauf zu fairen, aber vertretbaren Preisen durch den Staat sei die bessere und konsumentengerechtere Variante als die Auszahlung von Bargeld nur an die Bauern, die keinerlei Preisstabilität gewährleiste. Gerade die unteren Einkommensschichten hatten durch etliche neue bzw. erhöhte Steuern und die Folgen der Flat tax Realeinkommensverluste von bis zu 20% hinzunehmen, sie könnten weiter steigende Lebensmittelpreise einfach nicht mehr verkraften.

Zumindest das Brot wird man noch zahlen können...

Der Vertreter der Nationalen Getreidebauernvereinigung hat nun eine Umfrage unter seinen Mitgliedern gestartet, um festzustellen "wie die Lage wirklich ist" und warnt vor Panikmache. Schließlich seien es die ungarischen Bauern gewohnt auch mit Trockenzeiten umzugehen. Im übrigen sei der Weizen, der für Brotmehl verwendet wird, längst nicht so geschädigt, wie andere Pflanzenarten, daher sei mit einem dramatischen Anstieg zumindest des Brotpreises nicht zu rechnen. Schlimm steht es jedoch um Mais und Sonnenblumen, die man nicht einmal künstlich bewässern könne, weil die Kanäle trocken sind und der Grundwasserspiegel immer weiter absinkt. Bauern berichten, dass sie die zu kleinen Sonnenblumenkerne praktisch schon geröstet auf den Feldern vorfinden, besonders im Osten sehen ganze Gebiete aus wie nach Bränden.

Entwicklung der Erzeugerpreise bei Rindfleisch (blaue Linie),
Schweinefleisch (pink) und Geflügelfleisch (gelb) in Forint / kg.

Auch andere Branchenvertreter schlagen laut Alarm, 8 Milliarden aus dem Risikofonds seien nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, der Kompensationsfonds muss aufgestockt und der Notstand deklariert werden. Wenigstens ein Viertel der Ausfälle von geschätzt 400 Milliarden müsse der Staat ersetzen, um das System nicht essentiell beschädigt zu sehen. Auch an den Handel appelliert man. Es sei doch kein Zustand, dass der Endkunde im Supermarkt für den Liter Milch 230 Forint zahle, der Produzent jedoch nur 80 Forint erhalte. Auch könne der Staat einfach helfen, indem er die durchschnittliche Pacht für Staatsland von 1.250 Forint / Hektar für Betroffene reduziere.

Treffen die Zahlen zu, ist der Staatshaushalt Makkulatur

Probleme wird auch der Staatshaushalt bekommen. Im letzten Jahr, war es, neben den exportorientierten ausländischen Großunternehmen, vor allem die Landwirtschaft, die mit einer besonders guten Ernte den Einbruch des BIP-Wachstums verhindern konnte. Erreicht Ungarn, auch aufgrund der Ernteausfälle sein BIP-Ziel nicht, wird auch das Defizitziel schon rein rechnerisch kaum zu halten sein. Kommen dazu noch Ausfälle durch eine zu reduzierende Mehrwertsteuer auf Agrarprodukte (im Gespräch sind 5% statt 27% auf rund ein Dutzend der wichtigsten Erzeugnisse, was über 60 Mrd. HUF Mindereinnahmen bedeutete), die Aufstockung der Nothilfen für die Bauern und sinkende Umsätze im Einzelhandel dazu, könnte nicht nur das Budget von 2012, sondern auch jenes auf Kante gebaute von 2013 morgen schon Makkulatur sein.
 

red.

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