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(c) Pester Lloyd / 35 - 2012   WIRTSCHAFT 28.08.2012

 

Sommermärchen

Orbán stürzt Ungarn in neue planwirtschaftliche Abenteuer

Kurz nach der Ankündigung, das Energieversorgungsgeschäft für Privathaushalte künftig unter "Non-Profit"-Regeln laufen lassen zu wollen, sprach Ministerpräsident Orbán auch davon, "E.ON von den Deutschen" binnen kürzester Zeit zurückkaufen zu wollen. Er verband dies mit Versprechungen zu weiteren Steuersenkungen. In welches wirtschaftliche Abenteuer er sein fragiles Land nun wieder stürzt, lässt sich anhand einiger Aspekte ersehen, die Orbáns vermeintliche Befreiungstheologie als diffusen und gefährlichen Machtwahn enttarnen.

Premier Orbán in einer seiner Lieblingsrollen: als Landesvater vor seinen Kindern.
Hier beim Erzählen von Sommermärchen beim Transit-Festival in Köszeg.

Der Regierungschef ließ sich für seine jüngsten Ankündigungen am letzten Samstag in einen ungewöhnlichen Rahmen einladen. Eineinhalb Stunden dozierte er über seine politökonomischen Vorstellungen auf dem Transit-Festival in Kőszeg, auf dem Jugendliche vornehmlich feiern und Konzerte hören, um den Alltag hinter sich zu lassen. Doch wie auch schon das Szigetfestival, ist heute kein Ort mehr sicher vor Auftritten von Regierungsabgesandten.

Keine Zeit für Fragen....

In Sommerlaune und -kleidung flanierte Orbán durch den Ort und verkündete sodann auf einem Forum vor mehreren hundert Jugendlichen, "Die Richtung unserer Politik ist nicht zu hinterfragen, sie ist weiterzugehen." Dazu gehört, dass er auch die Rate der Flat tax auf alle Einkommen (schon heute bei rekordverdächtig niedrigen 16%) "so weit wie nur irgend möglich abzusenken" habe. Die Antwort auf die im Raum stehende Frage, woher er die daraus resultierenden zusätzlichen Einnahmeausfälle für das Budget ersetzen will, gab er gleich selbst: Ungarn braucht in den kommenden zwei Jahren 1,5 bis 2 Mio. mehr Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs (derzeit ca. 3,6 Mio.). Dass das Land in einer Rezession steckt, sagte Orbán nicht.

Auch immer gern genommen: Orbán in Arbeitskleidung. Hier vor wenigen Tagen bei einem Besuch in der neuen Nestlé-Fabrik, die 150 Menschen neue Jobs gibt. Ausgerechnet hier verkündete er, dass man noch so 2 Millionen davon gebrauchen könnte. Andererseits will er aber gerade den Multis den Hahn abdrehen, - ja was denn nun?

Arbeit für alle

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt der letzten zwei Jahre hat gezeigt, dass die Wirtschaftspolitik der Orbán-Regierung zu allem möglichen führte, nicht aber zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen. "Beschäftigung" bieten, das zeigten
die letzten Statsitiken eindrucksvoll, lediglich die kommunalen Beschäftigungsprogramme, für die nicht nur der gesetzliche Mindestlohn aufgehoben wurde, sondern die, aufgrund der Drohung mit 3 Jahren Sozialhilfeentzug bei Weigerung oder nicht zur Zufriedenheit des Aufsichtspersonals erfolgter Teilnahme, Wesenszüge von Zwangsarbeit in sich tragen. Die Tätigkeiten sind oft sinnlos, immer aber perspektivlos, denn sie führen keinen der Teilnehmer in Projekte mit Aussicht auf Festanstellung mit adäquater Bezahlung oder in Ausbildung. Hier mehr dazu.

Es hat sich herausgestellt, dass diese Programme nichts weiter als eine staatliche Beaufsichtigung des sozialen "Bodensatzes", vor allem der Roma, darstellen, mit dem praktischen Begleiteffekt, dass die Teilnehmer dann auch noch aus der Arbeitslosenstatsitik gestrichen werden können. Die Arbeitslosenquote konnte im Juli so mit 10.5% den niedrigsten Stand seit Ende 2009 aufweisen, 70% aller offenen Stellen sind solche bei der oben beschriebenen "Közmunka", einem dramatischen Auswuchs menschenverachtenden, ständischen Denkens und Handelns. Die Arbeitsmarktpolitik der Regierung ist ein Paradebeispiel dafür, wie Politik einer Doktrin, nicht aber der Realität folgt. Die späteren Korrekturen werden umso teurer, Rechthaberei kann letztlich nur durch “Gewalt” instand gehalten werden.

Geradezu zynisch ist seine Aussage zur "umfassenden Bildungsreform", die dafür sorgen würde, dass "Ungarn bald zum wettbewerbsfähigsten Land" Europas wird. Mehr zu dem was, Orbán eine Bildungsreform nennt, die aber mehr eine Art "Kulturrevolution" sein wird,
lesen Sie hier. Dass sich die Jugendlichen diese Anmerkungen angesichts der Gängelungen beim Studium und des massiven Bildungsabbaus so kommentarlos bieten ließen, weist daraufhin, dass die Veranstaltung samt dem Publikum sehr gut vorbereitet gewesen sein muss.

Schöne Aussichten oder Sex sells... Orbán in Köszég. Kein Werk von Paparazzi, sondern die Fotos hat sein Hoffotograf auf Orbáns Facebook-Seite gestellt...

Die üblichen Versatzstücke...

Orbán wartete gegenüber den Jugendlichen mit den gleichen Versatzstücken auf, die auch sonst fester Bestandteil seiner Rhetorik sind und
die er gerade gegenüber seinen Diplomaten wieder formvollendet aufgeführt hatte: Ungarn ist seit 2010 in einem "wirtschaftlichen Befreiungskampf", Staaten mit mehr als 90% Schulden zum BIP sind "in der Zone der Hoffnungslosen", die mit "70-90%", zu denen auch Ungarn zählt, in der "Gefahrenzone", 50-70% seien "tolerierbar", erst unter 50% ist ein Land sicher. "Meine Regierung wird Ungarn in diese letzte Zone führen", so Orbán. Die Streits mit Brüssel habe man, "Dank der soliden 2/3-Mehrheit" gewonnen, "diese Mehrheit ist stabil, selbst wenn nicht, 50%+ sind uns sicher."

Geschäfte mit der 2/3-Mehrheit

Diese 2/3-Mehrheit sei auch nützlich gewesen, "um einige Konflikte zu erledigen". So bezeichnete er die
Übernahme der MOL-Aktien "von den Russen" und die Übernahme "eines Teils der Wasserwerke von den Franzosen" (nach mitteleuropäischen Maßstäben ein Raub) als seinen Erfolg und "binnen Minuten werden wir auch E.ON von den Deutschen zurückkaufen." Der Hintergrund dabei ist, dass sich Ungarn, noch unter Gyurcsány ein bis 2016 lautendes Rückkaufrecht an der Gashandels- sowie die Gaslagersparte der ungarischen E.ON-Tochter, E.ON Földgáz Trade und E.ON Földgáz Storage gesichert hat, das durch den staatlichen Energiekonzern MVM (der auch das AKW Paks betreibt) ausgeübt werden könnte. Die Gespräche seien schon weit fortgeschritten, MVM habe rund 800 Mio. EUR geboten, "die Deutschen" verlangen angeblich 1,2 Milliarden Euro, einschließlich Großhandel, langfristiger Bezugsverträge sowie der großen Gasspeicher, die zum Teil erst nach der letzten Gaskrise angelegt wurden.

Der Staat kauft nicht nur das Geschäft, auch die Risiken

 

Zusammen mit der Quasi-Verstaatlichung der Endkundenversorgung (siehe dazu: Hand am Schalter: Ungarn plant "Verstaatlichung" der Energieversorgung für Haushalte) sieht sich Orbán so weiter vorwärtsschreiten auf dem Weg, den "Einfluss auf nationalstrategisch wichtige Wirtschaftszweige" zurückzugewinnen. Wo und wie er das außerhalb des Energiebereichs noch anstrebt, kann hier nachgelesen werden. Doch sowohl die Non-Profit-Idee, wie auch der E-ON-Deal, sollte er zu Stande kommen, werfen viele Fragen auf und zwingen den Staat in Risiken, die er, so er verantwortungsvoll handelt, zu unterlassen hätte.

Auch wenn vielen Beobachtern im Westen, die "Befreiungstheologie" Orbáns sympathisch vorkommen mag, allemal angesichts der nicht zu verleugnenden Ausgeliefertheit gegenüber den Großkonzernen, seien einige nachdenkenswerte Argumente mitgeteilt, warum Skepsis angebracht ist und dies nicht nur, da Orbán seine gar nichtuneigennützige, sondern volksferne Machtverliebtheit schon auf politisch-gesellschaftlichem Gebiet ausgiebig unter Beweis gestellt hat:

> Der Kauf von ca. 25% an MOL hätte eigentlich eine Lehre sein müssen, denn er hat eine große zusätzliche Lücke in den Staatshaushalt gerissen, die wieder nur durch Einmalmaßnahmen und Steuererhöhungen auf Kosten des kleinen Mannes gestopft werden konnte. Die Gewinne von MOL sind im letzten Quartal jedoch deutlich eingebrochen, zum Teil wegen der Energiesondersteuer, vor allem aber wegen der Ausfälle in Syrien, ausufernder Explorationskosten im Irak, Problemen mit der kroatischen Tochter INA und wegen "Verlusten aus Finanzgeschäften", aber auch, wegen der Einbrüche beim Autofahrer in Ungarn, der immer weniger und seltener tankt. Das schmälert den fest für den Staatshaushalt eingerechneten Profitanteil des Staates. Die Kosten für Benzin und Diesel für den Endkunden haben sich in keinster Weise verringert, im Gegenteil, die Preise an den MOL-Tankstellen erreichten immer neue historische Höchststände und überflügeln sogar die Preise beim wohlhabenden österreichischen Nachbarn. Dass der erhöhte Einfluss staatlicher Manager im Konzern zu mehr Profitabilität führen wird, kann als unwahrscheinlich gelten.

> Übernimmt MVM die Gassparte von E.ON, erhofft sich der Staat die bisherigen Gewinne des Konzerns für seinen Staatshaushalt. Er trägt aber auch das Risiko, wenn sich der Gaspreis verteuert, ist verantwortlich für die Versorgunssicherheit und für notwendige Investitionen und hat nicht zuletzt das Problem Hunderttausender säumiger Kunden am Hals. Dreht E.ON diesen das Gas ab, waren es bisher die bösen Multis, tut es nun der Staat, ist es Orbán...

> Investitionen und Preisnachlässe könnten mit Rücksicht auf geforderte hohe Ausschüttungen immer wieder gestutzt oder zurückgestellt werden, was das Unternehmen dann irgendwann auf die BKV-Schiene bringen muss: auch die öffentlichen Verkehrsmittel funktionieren nach wie vor, sind aber marode, technisch rückständig und ein finanzielles Fass ohne Boden. Der Staat kann aber das Gas noch viel weniger als die Metro abstellen und wäre dann in einer endlosen Kostenspirale gefangen, die der Steuerzahler zu finanzieren hat.

> Außerdem macht sich Ungarn - im Gegenteil zu den Behauptungen der Nationalisierer - von Russlands Gaslieferungen abhängiger als je zuvor. Will Moskau bestimmte Interessen in Ungarn durchsetzen, kann man nun direkt an der Preisschraube drehen, was gegenüber E.ON nicht so einfach war, ist der deutsche Konzern doch ein multinationaler Großkunde, dessen Umsatzpower ihm gewisse Sicherheiten gewährte. Das kleine Ungarn allein ist jedoch ein dankbarer Verhandlungspartner für Gazprom un Co.

> Dass sich der Gaspreis für die Endkunden verringert, wäre also nur auf Kosten von Investitionen und Haushaltsausschüttungen machbar. Denkbar ist, dass aus politischen Gründen, die Gaskosten, z.B. vor Wahlen sogar sinken, was jedoch, aufgrund der budgetären und unternehmerischen Auswirkungen, einen heftigen Bumerang-Effekt zur Folge hätte, den dann wieder die Kunden ausbaden.

> Die Energie-Endversorgung für Privathaushalte in Non-Profit-Unternehmen zu übergeben ist hingegen ein Schritt zurück in die Planwirtschaft realsozialistischen Angedenkens. Da eingeführte Unternehmen nicht ohne Profitaussicht arbeiten können, werden Bürgermeister und kommunale Strukturen zu Energieunternehmern, wozu sie nicht befähigt sind. Die Nichtausschüttung von erzielten Gewinnen soll günstigenfalls zur Reinvestition, zur Weitergabe an den Kunden über Preissenkungen oder zur Abführung an den Staat führen.

Das klingt wie im Schlaraffenland, aber die Realität wird zwangsläufig eine andere sein: entweder, wie oben, der Staat erhöht seine Abschöpfquoten aufgrund von Haushaltsnöten dergestalt, dass alles was nicht niet- und nagelfest ist, auf Kosten von Investitionen und Preisnachlässen ins Budget wandert oder die Versorger werden durch "kreatives Management" vor Ort schon vorher derart ausgesaugt, dass sich von ganz allein das "Non-Profit" einstellt. Der Beispiele dafür gab und gibt es jede Menge, es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ausgerechnet die Wirtschaftsgenies der Orbán-Regierung die Sache besser machen werden.

Orbán (rechts) hier beim Stadtrundgang mit Köszégs Bürgermeister. Das Outfit ist eine Mischung aus Thälmann, Lenin und Reichshausmeister? Kleider machen Leute oder was?

Eine echte Liberalisierung wäre angebracht gewesen

Die Oligopole und Kartelle im Energiesektor aufzubrechen und durch mehr Wettbwerb und Diversifikation sowie klare, auch strenge und sozial ausbalancierte Regeln, für einen funktionierenden und erträglichen Markt zu sorgen, den es bisher in Ungarn nie gab, dieser Weg ist für Orbán undenkbar. Zum einen, weil er seinem Postulat von den "ausländischen Multis" als Feinde der Nation widerspräche, zum anderen, weil die staatlichen Versorger in dieses Kartell tief mit eingebunden sind. Dieser Staat heißt heute: Fidesz und daher wird die Machtfrage, die Orbán ganz richtig gestellt hat, nicht zu Gunsten des Volkes, sondern zu seinen gunsten beantwortet. Die "Bereinigung", die Orbán auf diesem Nicht-Markt jetzt vornimmt, wird seinem Ego und seiner Partei kurzfristigen Gewinn einfahren, doch dem Staat und den Bürgern einen hohen Preis abverlangen. Sie kommen vom Regen des monolpolistischen Kapitalismus in die Traufe eines nationalen "Sozialismus".

Orbán rechnet nicht, er bestimmt

 

Orbán geht den Weg der Verstaatlichungen nicht, weil er der Überzeugung ist, dass er der wirtschaftlich effizenteste und kundenfreundlichte ist. Er geht ihn, weil er ihm noch größere Macht vorgaukelt. Das gilt nicht nur für das Energiegschäft, es gilt in gleichem Maße auch für den Ehrgeiz 4. Mobilfunkanbieter zu werden (gerade hat man dafür weitere 15 Mrd. Forint locker gemacht), es gilt für die Pläne im Bankgeschäft, die "Neuordnung" in der Landwirtschaft, es gilt für den Einstieg bei den Rába-Werken und es gilt für die (derzeit pausierende) Idee einer "nationalen Fluglinie". Orbán rechnet nicht, er bestimmt. Er kann nicht anders.

cs.sz.

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