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(c) Pester Lloyd / 38 - 2012   TSCHECHIEN 20.09.2012

 

Todesfusel

Der Alkohol-Panschskandal in Tschechien und die Gelassenheit der Ungarn

Mittlerweile ist die Zahl der Todesopfer wegen Alkoholpanscherei in Tschechien auf 23 angestiegen. Die Regierung hat ein zeitlich unbegrenztes Verkaufsverbot für alkoholische Getränke über 20 Volt verhängt und die Polizei zwei Dutzend Verdächtige verhaftet. Auch in Polen und der Slowakei gab es erste Methanol-Opfer, die deutschen Zollorgane versuchen fieberhaft ein Überschwappen zu verhindern. Die Regierung von Ungarn wiegelt derweil ab, beim Pálinka sei alles ganz anders, dabei darf in Ungarn jeder steuerfrei Schnaps brennen, der sich dazu berufen fühlt...

Ein Wirtshaus in Prag. Bier ist, wie in Bayern, in Tschechien Grundnahrungsmittel, kein Alkohol.

Weitverzweigte Alkoholpanschmafia ruft Regierung auf den Plan

Das erste Opfer, das an einer Methanol-Vergiftung starb, wurde in Teschechien am 6. September entdeckt. Seitdem stieg die Zahl der Toten weiter an, sodass die Regierung nun drastische Konsequenzen gezogen hat: Der Verkauf von hochprozentigem Alkohol ist bis auf weiteres im ganzen Land an Straßenkiosken, Supermärkten und sonstigen Ständen strikt untersagt. Hochprozentiges meint hier jedweden Alkohol, der mehr als 20 Umdrehungen hat. Auch überlegt die Regierung hinfort ein staatliches Verkaufsmonopol für Hochprozentigen einzuführen. Die Polizei spricht von einer weitverzweigten Fälschermafia, die unfachgemäße Billigproduktion mit täuschend echten Etiketten versieht und in den Handel schleußt. Kenner der Szene sehen aber auch die Polizei selbst mit in die kriminellen Aktivitäten verstrickt, weshalb auch interne Untersuchungen eingeleitet wurden.

Die Regierung will den illegalen Machenschaften damit „einen Schlag versetzen“, sagte Gesundheitsminister Leos Heger. Wer weiterhin Hochprozentiges zum Verkauf anbietet, muss künftig umgerechnet 123.000 Euro Strafe zahlen und kann zudem mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren rechnen. Bis jetzt scheint das Verbot aber nicht die gewünschten Früchte zu tragen, denn der gepanschte Methanol-Alkohol ist weiter in Massen im Landesinneren und grenzüberschreitend unterwegs. Bei verschiedenen Razzien wurden immer mehr Lagerstädten der günstigen Fälschungen ausgehoben. Im südmährischen Zlin konfiszierten Beamte ungefähr 500 Wodka-, Rum- und Obstbrandflaschen mit gefälschten Marken-Etiketten. In Proben wurde ein hoher Methanol-Gehalt festgestellt.

Vor allem Billigmarken stehen auf der Todesliste

Es handelt sich bei dem betroffenen Alkohol hauptsächlich um Wodka und Rum und dabei in Tschechien konkret um die Marken Lassky Tuzemak, Tuzemak, Svestkova Vodka, Vodka Lunar, Hanacka Vodka, Merunka und Borovicka, die in gepanschter Form verkauft werden. Die Polizei hat bis dato rund 23 Verdächtige in diesem Skandal festgenommen, die hinter der Panscherei stecken könnten. Bis zu den zentralen Drahtziehern des Ganzen ist man bisher aber noch nicht durchgedrungen. Nun soll aber erstmals einer der Hintermänner der Giftpanscherei gefasst worden sein.

Supermärkte sperren ganze Abteilungen zu

Polen, Slowakei und Deutschland kämpfen gegen das Überschwappen

Bisher stammten die Opfer allesamt aus Tschechien selbst, namentlich aus Prag und kleineren Städten, doch mittlerweile wurden auch in der Slowakei und Polen erste Fälle von Vergiftungen mit gepanschtem Alkohol, der  aus Tschechien stammt, bekannt, so der Nachrichtensender TA3. So habe ein Slowake aus Kapusany für eine private Geburtstagsfeier circa zehn Liter Schnaps per Internet aus Tschechien bestellt. Nach Angaben der Polizei, seien alle Besucher der Feier zur Untersuchung ins Krankenhaus eingeliefert worden. Bei vier Personen seien dabei Vergiftungen festgestellt worden, die aber allesamt nicht lebensbedrohend seien.

Auch im Nachbarland Deutschland wird man bereits nervös und kontrolliert verschärft die Grenzübergänge. Lebensmittelkontrolleure halten alarmiert die Augen offen und ziehen verdächtige Produkte sofort aus dem Verkehr, so die Sprecherin des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. An der Grenze zu Bayern hob die tschechische Polizei in den vergangenen Tagen eine illegale Abfüllanlage für Hochprozentiges in der Region Cheb (Eger) aus. Hier wurden nahezu 100.000 gestohlene Zollsiegel sichergestellt. Ob dort auch Gift-Schnaps gepanscht wurde, ist allerdings noch nicht bestätigt.

Ein Fünftel des Alkoholkonsums von "unter der Hand"

Die deutschen Verbraucherschutzorganisationen weist explizit darauf hin, beim Kauf von hochprozentigem Alkohol, besonders Rum und Wodka, genauestens beim Etikett auf das Herkunftsland zu achten. Von einem Kauf von Alkoholflaschen- oder behältern, auf denen kein Herkunftsland verzeichnet ist, wird unbedingt abgeraten. Die Warnung vor hochprozentigem, gepanschtem Alkohol aus Tschechien besteht auch nicht erst seit gestern, so Verbraucherschutz.de

Der Schwarzmarkt blüht bereits seit Langem. Ungefähr 1/5 des Alkoholvolumens wird “unter der Hand” verkauft, so die neuesten Statistiken. In den verarmten Industrie-Regionen im Nordosten Tschechiens wird die Menge sogar auf ganze 50% geschätzt. Gefährlich ist diese Mischung, weil sie nicht wie üblich gebrannt, sondern chemisch hergestellt wird. Die “Nebenwirkungen” von Methanol wurden und werden hier mehr als unterschätzt, so der Verbraucherschutz Deutschland. Die Symptome reichen von Schwindel über Kopfschmerzen bis hin zu Sehstörungen und Übelkeit. Bereits wenige Milliliter der giftigen Chemikalie reichen aus, um einen Menschen zu vergiften. Die Abbauprodukte können im schlimmsten Fall zu Erblindung und zum Tod führen, wie in Tschechien in diesem Monat unter Beweis gestellt wurde.

Gefahr lauert jedoch nicht nur in Tschechien, sondern auch in den bei Deutschen und Österreichern beliebten Urlaubsorten in der Türkei. Mindestens zehn russische Staatsbürger sind in den letzten zwei Jahren bei All-inclusive-Bootsausflügen verschiedener Anbieter an der türkischen Riviera an Alkoholvergiftungen gestorben. Auch dort wurde schwarz gebrannter Billigfusel mit falschen Etiketten versehen und den trinkfreudigen Kunden untergejubelt.

In Ungarn ist alles ganz anders...

Das ungarische Landwirtschaftsministerium teilte gestern in einer Aussendung mit, dass "die Lage in Tschechien in keinster Weise mit der in Ungarn vergleichbar" sei. Denn die von der EU geschützten Herkunftsbezeichnungen "Pálinka" und "Törkölypálinka" unterlägen "strengsten Auflagen und Kontrollen", regelmäßig würden die Produzenten kontrolliert. Der Handel mit gefälschtem Alkohol, der anderswo vor allem in den unteren Preissegmenten, also bei Massenware, vorkommt, kann dadurch natürlich auch für Ungarn nicht ausgeschlossen werden.

Denn immerhin hat die Regierung Orbán das steuerbefreite Brennen von Obstschnäpsen in nicht geringen Dimensionen "für den privaten Bedarf" freigegeben (Lesen Sie dazu: Fusel fürs Volk) und dies mit "nationaler Tradition" und dem Kampf gegen sozialistische Bevormundung begründet, während Kritiker der Regierung, die sonst so viel von "Volksgesundheit" spricht, eher unterstellen, das Volk mit billigem Fusel gefügig halten zu wollen. Alkohol führe die Unfallstatsitik als Ursache mit an und Alkohol ist auch mit ein Grund für die niedrige Lebenserwartung ungarischer Männer. Die Sterblichkeitsrate ungarischer Männer unter 64 Jahren ist doppelt so hoch wie im EU-Schnitt. Hier mehr dazu.

Denn, ob die zugelassenen Mengen der privaten Schnapsbrenner eingehalten werden und / oder diverse Eigenmarken unter der Hand oder unter fremder Flagge nicht doch auch gehandelt werden, kann der Staat aufgrund seiner Freizügigkeit unmöglich kontrollieren, genausowenig die Reinheit der Destillate. Immerhin, so hofft man in Ungarn mehr als dass man es weiß, dürfte durch den Freibrief für heimische Destillate der kommerzielle Anreiz für kriminelle Banden einen Fälschermarkt aufzuziehen ziemlich gering sein, da man die kostengünstige Selbstversorgung selbst mit dem billigsten Fusel nicht unterbieten kann.

 

Dem Besucher von Dorfschänken, Volksfesten und privaten Grillparties sei dennoch eine gesunde Skepsis beim Angebot des "besten Selbstgebrannten der ganzen Gegend", mit dem sich fast jeder Obstbauer in Ungarn brüstet, ans Herz gelegt, auf dass selbiges weiterschlägt. Beim Schnapskauf kann man Fachgeschäften und den großen Handelsketten bisher vertrauen, oder besser noch, direkt beim Produzenten vorstellig werden. Für Reisen nach Tschechien empfiehlt sich von jeher das dortige Bier, immerhin das weltbeste und die bei weitem gesündere Alternative zum Schnaps, so wie in Ungarn der Wein das Getränkt der Wahl sein sollte.

Milena Berks / red.

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