Kleinanzeigen für
Ungarn und Osteuropa
ab 35.- EUR / 30 Tage

 

Hauptmenü

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 38 - 2012   KOSOVO 19.09.2012

 

Der betreute Staat

Das "unabhängige" Kosovo bleibt Faustpfand für Serbien

Deutschland verlangt von Serbien und Kosovo eine Art diplomatischen Nichtangriffspakt, bevor es zu offiziellen EU-Verhandlungen kommen könne. Die Reaktionen aus Serbien changieren zwischen: "Niemals" und "Unter Umständen". Die serbische Regierung hofft, auch ohne Anerkennung des Kosovo in die EU zu kommen und will daher alles vermeiden, was Kompromissbereitschaft signalisieren könnte. Auf der Wirtschaftsseite öffent man sich dafür großzügiger. Alles nur ein Deal?

Vorgetäuschte Unabhängigkeit

 

Seit 10. September, seit der Schließung des ICO, des International Civilian Office, erfreut sich das Kosovo der vollen staatlichen Souveränität, zumindest offiziell, denn erst 2014 wird mit der EULEX auch die westliche Beamtenarmee von mehreren Hundert Polizisten, Richtern und Verwaltungsbeamten abgezogen sein, ganz zu schweigen von der KFOR, der NATO-Schutztruppe, die in den letzten Monaten mehrmals durch mobile Eingreiftruppen verstärkt werden musste. Und dann wäre auch noch das Problem der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit oder Geiselhaft des Nordkosovo von Serbien zu klären, neben der Frage der Anerkennung des Kosovo überhaupt, eine Frage, die eng verknüpft sein wird mit den EU-Verhandlungen.

Ganz so leicht ist es also doch nicht, aus der "betreuten Souverenität", wie der Status des Kosovo bis 10. September offiziell hieß, eine tatsächliche zu machen, zum einen, weil die innere Staatlichkeit in einem Sumpf aus Korruption und Amtsmissbräuchen, ethnischer Teilung und Interessenskonflikten feststeckt, zum anderen, weil die nationalistischen Milosevic-Mitarbeiter, die in Serbien heute Regierungschef und Staatspräsident stellen, den "Kampf ums Kosovo" zur Bindung ihres Wählerreservoirs und als Faustpfand für die EU-Aufnahmeverhandlungen benutzen.

ICO ließ Parallelstrukturen im Nordkosovo als Minderheitenschutz zu

Die Bilanz der internationalen Organisationen ist gemischt bis negativ, zum einen verbucht man eine relative Stabilität, also die Abwesenheit von offenem Krieg, als Verdienst darzustellen, ebenso den Aufbau von Verwaltungsstrukturen, Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung. Doch schon das "Verdienst", den ethnischen Minderheiten im Kosovo, also vornehmlich den Serben, in den Territorien, wo sie maßgebliche Größenordnungen, im Norden sogar die Mehrheit stellen, kann man genauso gut als Problemschaffung beschreiben, leistet doch die kommunale Selbstverwaltung, auf die das ICO in guter Absicht hingearbeitet hat, zu einer weiteren Spaltung des Kosovo, weil oft nicht serbische Kosovaren, sondern belgradtreue Spießgesellen, mit naheliegenden wirtschaftlichen Interessen das Sagen in den betroffenen Regionen bekamen bzw. an sich rissen. Im Norden des Kosovo hat die Zentralregierung kaum noch Zugriff, ohne das KFOR-Einheiten die Regierungsbeamten begleiten.

EU-Ratspräsident van Rompuy hält eine Rede vor der EULEX-Zentrale in Pristina.

Die EULEX-Mission drang nicht durch die Strukturen

EULEX hingegen hat es nicht geschafft, außerhalb des eigenen Supervision eine unabhängige und als rechtsstaatlich zu bezeichnende Justiz aufzubauen. Am Tag der Verkündigung des bereits zweimal verschobenen Abzugs der Beamtenarmee, musste EULEX die Verhaftung von hochrangigen Richtern und Anwälten wegen Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch verkünden. Nicht wenige sehen das ganze Projekt als gescheitert an. Hier mehr dazu

Geradezu niederschmetternd bezeichnend ist es, dass am Tag der "Souveränität" ein EULEX-Richter den Präsidenten der Hauptstädtischen Stadtversammlung, Sami Hamiti "und zwei weitere Geschäftsleute" wegen Korruption und Amtsmissbrauch für 30 Tage in U-Haft nehmen musste, weil sie versuchten, in einem laufenden Verfahren "Einfluss" auf Zeugen zu nehmen. In dem Fall geht es, wie immer, um Baugenehmigungen in geschützten Gebieten, Umwidmungen von Grundstücken etc.

Kein Staat sondern ein Clangeflecht, an der Spitze ein Kriegsverbrecher

Der kosovarische Zentralstaat wird von einer Clique geführt, die sich, folgt man den verschiedenen Berichten internationaler Beobachter, einer Reihe schwerwiegender Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat. Premier Thaci, einst martialischer UCK-Führer, der sich heute als Landesvater aufspielt, gehörte normalerweise vor Gericht gestellt, wird aber, um des lieben Friedens Willen von der internationalen Gemeinschaft als Stabilitätsfaktor protegiert. Über die Skandale redet in der EU aber niemand mehr. Das Land ist von Clans in Interessensphären aufgeteilt, die internationalen Organisationen nahmen und nehmen die Korruption in Kauf, solange Ruhe herrscht. Ein Pakt mit dem bzw. mit vielen Teufeln. Was geschieht, wenn alle einmal abgezogen sein werden, kann man sich an zwei Händen abzählen.

Die Kanzlerin lässt vortasten, wie weit Serbien gehen würde

Vieles, ja, fast alles, hängt von der Haltung Serbiens, der selbsternannten Schutzmacht der serbischen Kosovaren ab. Bis Ende 2013, so der allgemeine Fahrplan, sollen offizielle Verhandlungen über einen Beitritt des Landes zur EU begonnen werden. Es steht ein Jahr des Feilschens und Zerrens um die besten Ausgangspositionen bevor.

Deutschland unternahm dazu in der Vorwoche einen Vorstoß, in dem der CDU-Abgeordnete Andreas Schockenhoff, mit freundlichen Grüßen von Kanzlerin Merkel, in Belgrad ausrichtete, dass man von Serbien vorerst zwar keine formale Anerkennung des Kosovo verlange, jedoch eine "nachbarschaftliche Vereinbarung", in der sich beide Länder dazu verpflichten, dem anderen nicht beim Beitritt zu internationalen Organisationen im Wege zu stehen. Nur dann könne es wirklich Beitrittsverhandlungen mit Serbien geben. Auch wird der "Abbau der serbischen Parallellstrukturen" im Nordkosovo verlangt, also in gewisser Weise auch der Rückbau dessen, was das ICO zuvor mit internationalem Mandat geschehen ließ.

 

Der serbische Ministerpräsident, Ivica Dacic, nannte die "Forderungen aus Deutschland nichts Neues", jeder habe das Recht Forderungen zu stellen, aber vor allem Serbien sollte wissen, was es will. "Im Westen nichts Neues", sagte Dadic und: "Wir hoffen, einen Weg in die Europäische Integration zu finden, ohne dabei das Kosovo als unabhängigen Staat anerkennen zu müssen." Das klingt zwar schon viel milder als das "Kosovo wird immer serbisch sein" wie im Wahlkampf und an vielen Häuserwänden, doch stellt sich auch dann die Frage, was geschieht, wenn das Kosovo selbst EU-Mitglied werden will. Ohne eine Anerkennung geht es dann nicht mehr. Ist aber Serbien dann bereits EU-Vollmitglied, kann es die Anerkennung verweigern, ohne dafür Konsequenzen fürchten zu müssen, denn immerhin haben sechs andere EU-Länder diese Anerkennung bis heute auch nicht gewährt.

Serbien erahnt eine diplomatischen Falle

Dadic erwartet "hunderte Verhandlungsrunden" und das alles "ziemlich lange dauern wird." Es habe aber auch keinen Sinn, Dinge zuzusagen, die am Ende politisch nicht funktionieren, weil "das serbische Volk" sie nicht will. Schon das von der deutschen Regierung geforderte Nachbarschaftsdokument, ja nicht mehr als eine Art diplomatischer Nichtangriffspakt, wird nicht einfach zu haben sein. "Es gibt für uns bei Verträgen mit dem Kosovo eine rote Linie, die nicht einmal die vorherige (europafreundliche, Anm.) Regierung überschritten hätte." so der Staatssekretär im "Kosovoministerium" Ivanovic, der in dem Vertrag einen Fallstrick erkennt, der Serbien sozusagen über eine indirekte Anerkennung in eine offizielle stolpern lassen könnte.

Kennen sich noch aus “alten” Zeiten. Präsident Nikolic und Premier Dacic arbeiteten beide für Milosevic.

Bilateral heißt schließlich "zwischen Zweien", ja was, "Staaten"? Das ist ausgeschlossen, zumindest unter dieser Regierung, die darauf verweist, dass das Kosovo seit 2006 verfassungsmäßiger Bestandteil Serbiens ist und zuvor ohnehin immer war. Erinnern wir uns, dass die beiden "Genossen" an der Staatsspitze, aktiv im Kabinett bzw. im Beraterkreis des Kriegstreibers und Kriegsverbrechers Milosevic tätig waren und dessen Anhängerschaft bis heute ihre Machtbasis stellt. Diese entdecken nun, wo es opportun ist, den Nutzen von Verfassungstreue und Rechtsstaatlichkeit. Noch weiter ging Vizepremier und Handelsminister Rasim Rasim Ljajic, der die "deutsche Position" für "schlicht unrealistisch" hält und sie als Privatmeinung "irgendeines Abgeordneten" abtut. "Wir kennen die Konditionen der EU."

Immerhin: ein Treffen zwischen den Präsidenten Serbiens und des Kosovo scheint in naher Zukunft möglich, natürlich informell. Doch, um die Hoffnungen im Westen nicht zu hoch fliegen zu lassen, ventiliert Serbien auch die Möglichkeit eines Referendums über die “Anerkennung des Kosovo als unabhängigen Staat” in der serbischen Bevölkerung an. Das Ergebnis des Volkswillens wird man Merkel, Barroso und Co dann auf einem Silbertablett servieren “Seht ihr, wir haben es doch gesagt.”

Bei Wirtschaftskontakten sind die die Deutschen nicht so zimperlich

Handelsminister Ljajic stieß sich vor allem an der sehr offensichtlichen Verbindung politischer Fragen mit wirtschaftlichen Interessen. Denn ein Teil des Forderungspaketes des CDU-Mannes beinhaltet auch die "Fortführung der Deregulierung im Telekommunikations- und Energiesektor", fraglos ein Teil der EU-Bedingungen, aber in diesem Zusammenhang irgendwie aufgesetzt klingend, zumal noch nicht einmal klar ist, ob, wann und zu welchen Bedingungen wirklich offizielle Verhandlungen aufgenommen werden können.

Wie zufällig machte der deutsche Energieriese RWE, zur gleichen Zeit als der CDU-Politiker in Belgrad vorsprach, eine wichtige strategische Partnerschaftsvereinbarung mit einem Energieriesen in Serbien, das energiepolitisch eigentlich zum Einflussbereich der Russen zählt, die ebenfalls zu gleicher Zeit großzüige Finanzierungszusagen machten. Sicherlich alle nur Zufälle. Doch hier fängt die Geschichte eigentlich erst an...

red.

___________________________________

Zwischenbericht in eigener Sache:
Spendenziel zu 75% erreicht - DANKE!!!
>>>
___________________________________