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(c) Pester Lloyd / 42 - 2012   GESELLSCHAFT 18.10.2012

 

Zeichen gegen Selbstaufgabe

Roma in Ungarn demonstrieren gegen Nazis und die eigene Agonie

Im Miskolcer Plattenbau- und Problembezirk Avas fanden am Mittwoch zeitgleich drei Demos statt. Neofaschisten schufen sich wieder eine Bühne, um gegen "Zigeuner" und den "untätigen Staat" zu hetzen. Die Regierungspartei beschwichtigt bei der "Romafrage" wie gehabt, setzt auf Ordnungsdienste und schiebt die Schuld den Vorgängern zu. Immerhin: endlich einmal fanden sich auch ein paar hundert Roma zu aktivem Protest gegen den Naziterror ein und setzten ein - wenn auch sehr kleines - Zeichen gegen die dominierende Schicksalsergebenheit in ihren Reihen.

Avas in Miskolc am Mittwochabend

Militante Aufmärsche der Neonazis an der Tagesordnung

Dem Aufruf der neofaschistischen Partei Jobbik folgten einige Hundert Anhänger und marschierten durch den Vorort, um auf die "durch das Verschulden des Staates ungenügende Sicherheitslage" und die "ausufernde Zigeunerkriminalität" in dem sozial prekären Stadtteil mit einem relativ hohen Romaanteil hinzuweisen. Der Aufmarsch wurde von den Rechtsextremisten als "Marsch für das ungarische Leben" tituliert, zu denen die "cigányok" nicht gehören, die Roma pauschal als Schmarotzer dargestellt, gegen die nur die harte Hand des Gesetzes (für Jobbik am besten inkl. Todesstrafe und Zwangssterilisation, Arbeitslager und Zwangsadoptionen). Das Gesetz übrigens wollen die Rechten am liebsten selber sein, wieder wurde die Gründung einer landesweiten "Miliz" von "besorgten Bürgern" angekündigt.

“Besorgte Bürger” trafen sich...

Der Marsch reiht sich in die seit Jahren andauernden militanten Auftritte der "Garden" rund um Jobbik ein, in deren Fahrwasser es in den Jahren 2008/09 zu einer Mordserie an Roma, mit sechs Toten und etlichen Verletzten kam. Diese Aufmärsche waren auch durch ein gesetzliches "Marschierverbot in Uniformen" der Orbán-Regierung nicht zu stoppen, obwohl auch in Miskolc wieder uniformierte Garden auftauchten. Die Exekutive sorgt also nicht für die Einhaltung der Gesetze. Im anderen Fall genügte schon die reine Ankündigung der Gründung einer Romagarde, um den vorbestraften Initiator umstandslos zu verhaften und die Gründung zu unterbinden. - Nach den üblichen Hetzreden des Jobbik-Parteiführers Gabor Vona und einiger lokaler Nazigrößen zog die Menge mit Fackeln und begleitet von einem großen Polizeiaufgebot durch die Siedlung.

Wir brauchen Arbeit. Eine so schlichte wie einleuchtende Forderung...

Roma-Gegendemo: Ohne uns gibt es keine Lösung!

Rund 300 Angehörige der Roma aus Miskolc hielten aus Protest gegen diese Provokation eine Gegendemo ab und marschierten unter der Losung "Heimat und Demokratie" ins Zentrum der Stadt. Diese musste - so eine Sicherheitsauflage der Polizei - beendet sein, bevor der Jobbik-Aufmarsch beginnt und durfte auch nicht in der Nähe des geplanten Naziaufmarsches abgehalten werden.

In Reden wurde vor einer weiteren Etablierung von Hassreden und Segregation gewarnt sowie auf die anhaltende Tendenz verwiesen, die Roma als Sündenböcke für sämtliche sozialen Fehlentwicklungen und als "Werkzeug zum Erreichen eigener politischer Ziele" zu missbrauchen. Redner benannten dabei nicht nur Jobbik, sondern auch die Regierungspartei, erläuterten aber auch die Notwendigkeit einer besseren Selbstorganisation und - vertretung, denn "ohne uns gibt es keine Lösung". Auf Transparenten wurde Ungarn als Heimat bekannt und schlicht `Arbeit` gefordert.

Dass Roma sich in einer Gegendemo gegen einen Aufmarsch der ungarischen Neofaschisten wehren, war bisher eher die Ausnahme. Der Organisator wollte die "größte Demo von Roma in Ungarn jemals". Dass nur ca. 300 Menschen erschienen, ist denn auch ein deutlicher Hinweis auf den Zustand der eigenen Interessensvertretung, das mangelnde Selbstbewußtsein und den fehlenden Willen zur Selbstbestimmung, einer Grundbedingung für eine wirkliche substantielle Änderung der Lage der größten ethnischen Minderheit in Ungarn. In den ärmeren Schichten, beziffert mit rund 600.000 Menschen, dominiert durch die jahrzehntelange Asozialisierung seitens der Gesellschaft heute die Selbstaufgabe, die sich dann zwangsläufig auf die nächste Generation überträgt und letztlich in den Teufelskreis führt, den man heute vorfindet.

Regierung beschwichtigt und setzt auf Law-and-Order

Die Regierungspartei Fidesz äußerte sich auf einer Pressekonferenz über ihren Bürgermeister gewohnt oberflächlich, der meinte, "der Frieden in Miskolc wird weiter gewährleistet sein." Die früher zentrale Industriestadt Miskolc (Stahl), die seit der Wende unter massenhaftem Stellenabbau und struktureller Unterentwicklung leidet, erregte schon vor Jahren Aufsehen durch rassistische Äußerungen des Polizeichefs und immer wieder Friktionen zwischen Mehr- und Minderheit. In der Stadt gibt es aber auch erste erfolgreiche Ansätze - zumindest im Law-and-Order-Bereich, - u.a. durch gemeinsame Polizeipatrouillen von Romasicherheitsdiensten und städtischer Polizei. Das Grundproblem der sozialen Spannungen durch mangelnde Perspektiven, fehlende Arbeitsplätze und daraus resultierendem Elend, ist jedoch weder für den Großteil der Roma- wie der Mehrheitsbevölkerung in Avas gelöst, im Gegenteil, die Verarmung hat in den letzten zwei Jahren, so wie im ganzen Land, spürbar weiter zugenommen.

Bürgermeister Ákos Kriza beschuldigte die vor über 2 Jahren abgelösten Sozialisten, durch ihr "Umsiedlungsprogramm hunderte Familien...", "die nicht hier her passen" angesiedelt zu haben, deren "Verhalten alteingesessene Anwohner in Rage" gebracht habe. Ob diese Menschen mit ihren Kindern denn seiner Meinung nach besser in die verrottenden Ghettos, aus denen sie kamen, "passen", verschwieg der Bürgermeister. Er habe jedenfalls "dafür gesorgt", dass sich das in den letzten zwei Jahren "gebessert" habe, durch "jene, die hier Tag für Tag auf und ab patrouillieren...". Jene, die hier heute demonstrieren, so der Bürgermeister, wollten lediglich "politisch profitieren".

Rassismus und Diskriminierung werden einfach weggelogen

Der Bürgermeister hat so - ohne es zu wollen - das Hauptdefizit der mit viel Eigenlob bedachten "nationalen Romastrategie" benannt. Perspektivische Förderung gibt es nur für eine Minderheit, die sich assimilieren lässt. Die Anderen, deren soziale Probleme man nicht lösen kann, solange man nicht auch die Probleme der Mehrheitsbevölkerung in den Griff bekommt, werden lediglich rigoros beaufsichtigt und sinnlos "beschäftigt", zum Teil unter menschenrechtlich fragwürdigen Umständen,
die sogar amtlichen Rassismus zulassen.

Eine Mitbestimmung der Betroffenen ist auch von Regierungsseite nicht gewünscht, abgesehen von denen, die ihre Identität und die Interessen ihres Volkes zu Gunsten einer Berufs- oder Parteikarriere abzugeben bereit sind. Immerhin herrscht dabei wetigehen Gleichberechtigung mit dem Rest des Volkes, das ebenfalls von der demokratischen Teilhabe abgeschnitten wurde.

Der zuständige Minister für die Lobpreisung der "nationalen Romastretegie", Balog, verneint die Praxis einer faktischen Rassentrennung in Schulen und Gemeinden, verneint Diskriminierung durch Behörden und sieht “keine Spur von Zwangsarbeit”. Er ist der Meinung, dass man mit Neofaschisten, "so sie gewählt wurden" in der Romafrage kooperieren müsse... Mehr dazu im Interview.

Billiger Populismus und Phrasen vom Ex-Premier

 

Ebenfalls in Avas liefen am Mittwoch etwas über einhundert Anhänger der Partei Demokratische Koalition von Ex-Premier Ferenc Gyurcsány auf und sammelten sich unter einem Transparent: "Frieden! Ruhe! Lösungen". Redner warfen der Regierung vor, gar nicht an einer echten Lösung der Probleme interessiert zu sein, sondern sie als Ventil und Spielwiese für rechte Wählerschichten mit in ihre politische Strategie einzukalkulieren. Die betroffenen Menschen frage indes niemand nach ihren Vorstellungen. Tatsächlich wurde auch unter Premier Gyurcsány und seinen Vorgängern das Problem - bestenfalls - ignoriert, gefragt hat auch er niemanden, ein korrupter Statthalter "verwaltete" nach außen die Romainteressen.

Mehr als ein paar kurzzeitige EU-Programme und immer wieder Almosen nach dem Gießkannenprinzip brachten die "Sozialisten" nicht zu Stande, unter deren Anhängern ebenso Vorurteile und Stereotype gegenüber den Roma, grassieren wie in der Gesamtbevölkerung. Dass Gyurcsánys Partei eine separate Parteiveranstaltung abhielt anstatt sich, parteiübergreifend, dem Marsch der Betroffenen anzuschließen, spricht für sich und passt zu dem billigen Populismus, mit dem der Ex-Premier seit seinem Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit sein come back versucht.

red.

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