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(c) Pester Lloyd / 42 - 2012   WIRTSCHAFT 17.10.2012

 

Stiefkinder am Gängelband

Kleinunternehmen in Ungarn - zerrieben zwischen Bürokratie und Kreditklemme

Der Mittelstand sei das "Rückgrat unserer Wirtschaft", so ist es der Wunsch auch dieser Regierung. Die Kritiker antworten: diesem Rückgrat bricht man jeden Wirbel. Doch die Bedingungen unter denen die kleineren Unternehmen agieren müssen, sind seit fast zehn Jahren gleichbleibend schlecht, egal wer an der Macht war oder ist. Eine EU-Studie kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass vor allem der Zugang zu Kapital das größte Hindernis für die Entwicklung von Unternehmergeist ist, - Bürokratie und Klientelpolitik sind weitere.

Ungarn ist "dominiert von Kleinstfirmen", 99,9% aller Unternehmen fallen in den KMU-Bereich (EU-weit 99,8%), die zahlenmäßig mehr sind, einen höheren Anteil an Menschen beschäftigen (71,7% zu 66,9%) zur Gesamtwirtschaftsleistung tragen sie dennoch weniger bei (54,6% zu 58,8 bei allen KMU) als in anderen Ländern der EU, weil die Unternehmen im Schnitt kleiner sind und weniger Mitarbeiter pro Firma beschäftigen als im EU-Vergleich, nämlich 3,3 zu 4,3 Personen, fast 20% sind Ein-Zweipersonengesellschaften

Die meisten werden nicht freiwillig zum "Unternehmer"

Die Studie der EU widmet sich einem Zeitraum von ca. 2002 bis 2011 und kommt dabei zu der bemerkenswerten Feststellung, dass die KMU in Ungarn im Zeitraum bis 2008 auch entgegen dem allgemeinen Arbeitsmarkttrend zusätliche Arbeitsplätze schaffen konnten. Für Ungarnkenner vielleicht keine so überraschende Entdeckung, war und ist doch der Weg in die (Schein)-Selbständigkeit oft die einzige Chance gewesen, überhaupt eine Tätigkeit zu beginnen und gleichzeitig die hohen Arbeitnehmerabgaben zu umgehen. Eine KG mit EVA-Besteuerung war für die Nebenjobs unterbezahlter Lehrer genauso notwendig wie für manche Putzfrau. Die EU relativiert denn auch, dass nur 43% aller Kleinstunternehmer diesen Schritt aus freiem Willen und nicht aus Notwendigkeit gegangen sind, EU-weit liegt der Wert bei 55%, was ein deutlicher Hinweis auf zu hohe Lohnnebenkosten, nicht adäquate Arbeitsmarktangebote und ein sozial unausgewogenes Lohngefüge ist.

 

Nur 37% aller Ungarn glauben, dass ihnen die Schulausbildung das nötige Rüstzeug für eine spätere Unternehmertätigkeit mitgibt, im EU-Schnitt glauben das 49%. Die Zahl derjenigen, die ungefähr planen, in den nächsten drei Jahren in die Selbständigkeit zu starten ist im oberen Drittel der EU-Vergleichszahlen zu finden, was aber auch heißen kann, dass man dem regulären Arbeitsmarkt noch weniger zutraut als dem Sprung ins eiskalte Wasser der Unternehmensgründung. Allerdings trauen sich das absolut nur 19,2% der Ungarn zu, EU-weit 28,3%. Lieber selbständig als abhängig beschäftigt wären in Ungarn auch nur 39%, in der EU 45%.

Alte Fehler werden durch neuen Murks "bekämpft"

Im weiteren versucht die Studie verständliche Kennzahlen für das Maß der Unternehmerfreundlichkeit im Geschäftsleben zu finden. Während EU-weit die bürokratischen Hürden (also Anmeldeprozedere, enehmigungen etc.) mit 1.94 auf einer Skale von 1-6 angegeben werden, wobei 6 den besten Wert angibt, schließt Ungarn dort mit einer runden 0 und auf dem letzten Platz ab. Zwar kann man in Ungarn ein Business deutlich schneller starten (4 Tage) als im Schnitt (11 Tage), doch die Anforderungen an Kapital, der Papierkram und sonstige Genehmigungen, vor allem aber Buchhaltung und Behördenkontakte machen den Startern das Leben so schwer wie sonst nirgends.

Die EU rechnet der neuen ungarischen Regierung zwar an, dass sie es geschafft hat, ein knappes Dutzend sinnloser Einzelsteuern für KMU zu kappen oder wenigstens zu bündeln und auch die Senkung der Körperschaftssteuer (auf 10%) wird positiv gewertet, doch gleichzeitig hob die gleiche Regierung die geschäftsförderlichen Aspekte dieser Maßnahmen durch umfangreichen Murks wieder auf (Stichworte: Flat tax-Kompensationen, Superbrutto, wöchentlich neue Steuergesetze und eine vollständig intransparente Förderpolitik etc.) In Summe ist es, so zeigen es die einschlägigen Indizies, für die meisten Unternehmen noch schlechter geworden. 80% sehen das Land hinsichtlich der Wirtschaftspolitik in die falsche Richtung laufen.

Dazu gehört u.a. dass die "neue Planwirtschaft", bei der der Staat in allen möglichen Branchen kommunaler und nationaler Größenordnung mitmischen will, den Wettbewerb weiter einschränkt und noch einen bevorteilten Player ins Rennen schickt. Auf der anderen Seite erwächst den verschiedensten Branchen, vom Reinigungsdienst bis zum Gartenbau oder einfach dem örtlichen Malermeister Konkurrenz, weil Kommunen immer mehr Arbeiten über die billigen, den gesetzlichen Midndestlohn umgehenden kommunalen Beschäftigungsprogramme abwickeln. Ein Heer von bald 250.000 "Beschäftigten" steht hier zu konkurrenzlos niedrigen Lohnkosten bereit. Auch eine wachsende Rechtsunsicherheit, vor allem in der Landwirtschaft ist zu bemerken.

Banken haben sich erst übernommen,
wurden dann vom Staat geschröpft
und machen nun kreditmäßig dicht

Die größte Bürde aber für die Entwicklung eines gesunden Mittelstandes stellt in Ungarn der Zugang zu Kapital dar, gleich, ob es sich um Fremdkapital vom Bankenmarkt, staatliche Förderungen oder EU-Zuschüsse handelt. Für Gründer ist diese Frage letztlich die zentrale, denn diese entscheidet darüber, wie vollständig ein Geschäftskonzept umgesetzt werden kann. Zumal die Eigenkapitalquote in den osteuropäischen Beitrittsländern entwicklungsbedingt viel geringer ist als anderswo in Europa.

Die Lage auf dem Kredit- und Leasingmarkt ist so klar wie dramatisch: die Banken in Ungarn haben ihre ohnehin nicht sonderlich offene Geschäftspolitik KMU gegenüber, in den Jahren seit der Krise 2008, immer weiter verschärft und für eine existenzbedrohende Kreditklemme gesorgt. Zum einen drehten die Kreditinstitute den Geldhahn zu, um die durch eigenes Risiko aus dem Ruder geratenen Ausfälle bei Konsumentenkrediten in Fremdwährung zu kompeniseren. Zum anderen machte die neue Regierung den Banken mit einer Krisensondersteuer, danach mit einem teuren Forex-Kreditablösemodell das Leben schwer.

Vor allem die rein auf Martkanteil fokussierten Banken aus Österreich und anderen Ländern, die Leuten in Budapest Kredite gaben, die in Wien nicht einmal in die Bank gelassen würden, fuhren so Verluste ein und schotten sich seitdem kreditseitig ab. Geld gibt es heute praktisch nur noch 1:1 für monetarisierbare Sicherheiten und - wie schon immer in Forint - zu ruinösen Zinsen. Während KMU-Manager europaweit zu 30% angeben, dass ihr Zugang zu Bankkrediten "normal" ist, bestätigen das in Ungarn nur 3%...

Ungarn fördert weniger als halb so viele KMU wie andere EU-Staaten

Auch der Zugang zu den EU-Milliarden ist für KMU schwerer als für Großkonzerne mit ihren Rechtsabteilungen, Lobbyagenturen und ganzen Stäben zur Drittmittelbeschaffung. Zumal die meisten Gelder von staatlichen oder kommunalen Beteiligten absorbiert werden und KMU typischerweise nur als Subunternehmer für EU-kofinanzierte Projekte in Frage kommen. Die Absenkung der Kofinanzierungsquote für EU-Ausschreibungen hat diesen Effekt nur verstärkt, obwohl er gerade zur Einbeziehung der KMU gedacht war.

Gleiches gilt für die speziellen KMU-Progarmme der EU, die wiederum über nationale Regierungsstellen abgewickelt werden, was das Prozedere undurchsichtig macht und "Vermittlern" sowie diversen "Agenturen" mehr nutzt als den Adressaten der Programme. Es ist doch bemerkenswert, dass der Anteil der Gelder, die aus speziellen KMU-Förderungen der EU nach Ungarn flossen an den Gesamtförderungen aus der EU 2010 nur 4,5% betrugen, während sie in anderen Ländern bei 22% lag. Auch der Venture Capital Markt ist zu marginal, die Gelder die hier 2010 in Start up´s flossen, betragen nur ein Zehntel der Quote im EU-Schnitt.

Während Großinvestitionen mit staatlichen Beihilfen von 10-20% der Investitionssumme, z.B. in Form von Steuergutschriften, Grundstücksrabatten oder Infrastrukturmaßnahmen rechnen können, ist die Quote der KMU, die in Ungarn staatliche Unterstützung erhalten weniger als halb so groß wie in der EU. Dort liegt sie bei 7%, hier bei 3,1%. Die Studie versucht im Neuen Széchenyi Plan positive Ansätze für eine Mittelstandsförderung in Ungarn zu erkennen, die sich dem Anspruch nach auch sehr positiv lesen. Dieser war angedacht für die Förderung der KMU vor allem in hoffnungsvollen Branchen, wo sich derzeit schwer Kapital auf dem freien Markt auftreiben lässt. Dazu sollten vor allem EU-Gelder von den Multis auf die Kleinen "umgeleitet" werden.

Klientelpolitik und Paternalismus bauen neue Hürden auf

Leider hat die Praxis seit 2010 gezeigt, dass der Zugang zu Mitteln über diesen Plan mindestens genauso schwierig ist, wie der direkte zu EU-Geldern und letztlich nur besonders gut "vernetzten" Unternehmen oder medial wirksamen Vorzeigeprojekten zu Gute kommt. Der Anteil von KMU an der direkten Abschöpfung von EU-Fördermitteln lag 2008 immerhin noch bei 56%, ausgerechnet das KMU-Programm drückte ihn auf unter 40%, weil der Staat nun die Zugänge noch strenger kontrolliert und kanalisiert. Gleiches gilt für den vom Staat angekündigten Einstieg ins Bankengeschäft, wo man "Marktführer" in der Mittelstandsfinanzierung werden will. Unternehmer werden so abhängig von den Launen politischer Entscheider und kommunaler "Größen", - ein mindestens ebenso großes Geschäftshemmnis wie die Einsichten durchschnittlich begabter Kreditberater bei den Geschäftsbanken.

Sollen die KMU also tatsächlich das Rückgrat einer am besten "selbsttragenden" ungarischen Wirtschaft werden, müsste zunächst einmal Transparenz ins Förderwesen und Geld ins System kommen. Das eine wird politisch verhindert, das andere ist ökonomisch im Moment kaum zu erwarten. Das Darben wird also weitergehen und der Mittelstand bleibt weitgehend auf sich selbst gestellt, was enormes volkswirtschaftliches Potential brachliegen lässt.

Damit sind nicht nur die zukunfts- und prestigeträchtigen High-Tech-Branchen gemeint, sondern vor allem der kleine Handwerker, Dienstleister oder der Kleinproduzent, das täglich Brot jeder Wirtschaft, das so gerne übersehen bzw. als selbstverständlich unterschätzt wird. Doch solange der Regierungschef jeden zweiten Tag aus einer anderen Werkshalle eines Multis zulächelt und er den neuen Landwirtschaftsbetrieb des OTP-Chefs und Regionaloligarchen Csányi tatsächlich als beispielhaft für den "Mittelstand" bezeichnet, ist klar, dass Verständnis und Prioritäten anderswo liegen.

 

Genossenschaften, private Zusammenschlüsse von Geldgebern, die Ausgabe von Anteilsscheinen auf eigene Initiative und das aus der 3. Welt bewährte System der Mikrokredite sind u.a. Ansätze, die abseits staatlicher Einflussnahme funktionieren können, vor allem im kleinteiligen Gewerbe, das nicht so prestigeträchtig für die Politik ist wie eine neue Autoproduktionsstraße, dafür aber nachhaltiger und letztlich stabiler als die scheuen Rehe der Globalisierung. Auf Behörden wie Großbanken und erst Recht die Politik jedenfalls, das sollten die KMU in Ungarn gelernt haben, ist einfach nicht zu bauen.

Die EU-Studie als Fact sheet (Auszüge) auf der Seite der EU-Kommission (pdf)

cs.sz. / red.

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