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(c) Pester Lloyd / 45 - 2012   POLITIK 09.11.2012

 

Aus dem Stand Platz 2

Neue Oppositionsbewegung in Ungarn mischt Parteienlandschaft auf

Die Oppositions-Bewegung "Gemeinsam 2014!" ist gerade zwei Wochen alt, hat aber die politische Landschaft in Ungarn schon kräftig aufgemischt, zumindest aus Sicht der Meinungsforschungsinstitute. Während die neue Plattform der MSZP fast die Hälfte der Stimmen abnimmt, mobilisiert man auch im riesigen Nichtwählerlager. Ein Machtwechsel 2014 rückt in den Bereich des Möglichen, doch die Mühen der Ebene warten noch auf Bajnai & Co. - Zahlen & Analyse

Wird Bajnai Orbáns größter Alptraum? Der Start war fulminant, doch die Zeit bis zu den Wahlen
ist noch lang. Das Foto stammt von Anfang 2010, da drückte Orbán noch die Oppositionsbank
und Bajnai war Regierungschef, beide wussten damals schon, dass sie bald die Plätze tauschen.
Wie sieht die Sitzordnung 2014 aus?

Während ein regierungsnahes Institut die Chancen der neuen Plattform um Ex-Premier Bajnai, Milla und Szolidaritás auf 6% in der Sonntagsfrage setzte, bescheinigt Politanalyst Gábor Török mit dem Institut Medián ihnen bereits Platz 2 im Parteienranking. Erstmals rückt ein Machtwechsel 2014 in greifbare Nähe, vorausgesetzt, die Opposition kann sich zur Kooperation entschließen.

Zum Thema:
Die anderen `Zwei Drittel`: Wie rettet man Ungarn?
Fragen an Gordon Bajnai, die neue Hoffnung der Opposition
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"Gemeinsam 2014!" käme danach auf 14% Unterstützung bei allen Walhberechtigten und läge damit nur noch 8 Prozentpunkte hinter der Unterstützung für die Regierungspartei Fidesz-KDNP (Nationalkonservative). Die bisher stärkste Oppositionskraft, MSZP (Sozialdemokraten), landet nach der aktuellen Umfrage bei 10%, gleichauf mit der neofaschistischen Jobbik, die grün-liberale LMP wird bei 3% gesehen.

Medián sagt, dass nach jetzigem Unterstützungsstand die Bewegung die MSZP auch bei den zur Wahl Entschlossenen abhängen würde, gemeinsam könnten beide derzeit auch die Regierung ablösen. Die Sonntagsfrage wird von Medián derzeit so beantwortet: 38% Fidesz, 22% Gemeinsam 2014, 15% MSZP, 13% Jobbik, LMP 4%. Die neue Gruppe hätte also das Ergebnis von MSZP fast halbiert dabei aber auch zusätzlich weitere 7 Punkte ins demokratische Oppositionslager gebracht, während Fidesz und Jobbik praktisch unverändert bleiben, was die tiefe politische Spaltung des Landes dokumentiert. Das regierungsnahe Nezöpont-Institut sieht Fidesz bei 45%, deren Umfrage lag jedoch zeitlich zu nah an der Gründung der neuen Plattform, um sich auf diese schon vollständig auszuwirken.

 

Die Macher der Medián-Studie weisen jedoch daraufhin, dass es sich bei den Zahlen nur um eine Momentaufnahme unmittelbar in der Euphorie der Gründungsphase handelt. Fakt ist aber, dass die politische Landkarte um einen Flecken bunter geworden ist.  "Gemeinsam 2014!" macht sowohl der MSZP Wähler abspenstig, 40% der Unterstützer der neuen Gruppe kommen aus diesem Lager, kann aber vor allem auch im riesigen Reservoir der Unentschiedenen mobilisieren (36%), das bisher rund die Hälfte aller Wahlberechtigten ausmachte, bei Medián waren es im Vormonat 46%, nun nur noch 37%.

Gordon Bajnai, das Gesicht der neuen Bewegung, konnte seine Popularität um 7 Prozentpunkte auf 41% steigern, Premier Orbán liegt in diesem Ranking bei 29%. Bajnais Popularität ist damit seit seinem Abgang als Premier im April 2010 konstant gestiegen, seit Mai des Jahres hat er Orbán überholt, nur Präsident János Áder liegt mit 43% Zustimmung noch vor ihm. Auch die beiden MSZP-Politiker Gergely Karácsony (Fraktionsvize) und Attila Mesterházy (Partei- und Fraktionschef) liegen mit 36 und 35% vor Orbán.

Analyse und Aussichten

Die Start-Performance der neuen Plattform ist beeindruckend und spiegelt die Sehnsucht vieler Ungarn sowohl nach einer Alternative zur Orbán-Hegemonie als auch zum Platzhirschverhalten der angestammten Linken. Für Siegesjubel der Opposition ist es jedoch noch eineinhalb Jahre zu früh, denn die Mühen der Ebene liegen noch vor der Oppositionsbewegung, die sich nun inhaltlich positionieren, personell profilieren und gleichzeitig intelligente Bündnisse schließen muss, die das Mitte-Links-Spektrum ansprechen ohne es zu kannibalisieren. Bisher sah es eher nicht danach aus.

Kleinere neue Gruppen wie die Partei 4K! (Vierte Republik), aber auch gemäßigt Konservative (z.B. einige Ex-MDFler) und Liberale sollten sich der Plattform anschließen können, für die grün-liberale LMP wäre ein Bündnis zwar ratsam, die Personen darin haben aber zu viel Angst vor "Selbstaufgabe", was eine engere Kooperation unwahrscheinlich macht. Zur MSZP ist aus taktischen Überlegungen eine kooperative Distanz angebracht, die Demokratische Koalition von Ex-Premier Gyurcsány ist, wegen der katastrophalen Reputation ihres Protagonisten, am besten so zu isolieren, dass ihre Anhänger die Aussichtslosigkeit eines Comebacks von Gyurcsány erkennen können und ihre Stimme bei der Wahl dem Bündnis geben. Fakt ist, dass die Opposition sich selbst am meisten schaden kann, abgesehen von den strukturellen Hürden, die das neue Wahlgesetz oder noch kommende "unorthodoxe" Ideen der bekennenden Demokratieverächter bei Fidesz-KDNP bereit halten.

Echte Republik gegen postdemokratisch-autokratischen Hybriden

Viel, eigentlich das meiste, wird jedoch von der konjunkturellen Performance und der damit verbundenen sozialen Entwicklung in Ungarn abhängen. Schafft es die Fidesz-Regierung nicht, ihre verfahrene Wirtschaftspolitik so auszurichten, dass die Mehrheit der Bevölkerung bessere Perspektiven und zumindest ein stabiles Einkommen sowie das Gefühl bekommt, ihr Schicksal selbst wenden zu können, ist das Schicksal der Regierung endgültig besiegelt. Bisher gibt es jedoch kaum Anzeichen dafür, dass Orbán von seiner auf Machtsicherung fokussierten ständischen Klientelpolitik abweicht.

Er hat dafür gesorgt, dass es keine personelle Konkurrenz in seiner Partei gibt, was auch das Fehlen neuer Ideen und jeden Korrektivs bedeutet. Daher dominiert sein Wille, die immer offensichtlicher gewordenen Fehlentwicklungen in der Wirtschafts- und Steuerpolitik durch noch zentralistischere Maßnahmen und forcierte nationale Propaganda zu kompensieren, weiterer Abbau von Rechtsstaat und demokratischer Teilhabe und Kontrolle eingeschlossen.

Das spielt der neuen Opposition direkt in die Hände, die das Gegenmodell eines "normalen" Landes der Mit- und Selbstbestimmung und einen für alle geltenden Rechtsstaat, eben eine echte Republik, im Gegenteil zu dem postdemokratisch-autokratischen Hybriden der Orbán-Ära propagiert. Die entscheidende Frage ist, konkrete und gleichzeitig verständliche Maßnahmen zu entwerfen, die funktionieren können. Dass Bajnai ein ausgewiesener Wirtschaftsfachmann ist, hilft ihm dabei und kann als größtes Plus gegenüber Orbán gelten, der von Wirtschaft keinen blassen Schimmer hat, sein Wirtschaftsminister übrigens auch nicht. Als Minus ist Bajnais geringere mediale Ausstrahlung anzusehen, Orbán ist auf dem Feld des Populismus, ohne den heute niemand mehr Wahlen gewinn, momentan unschlagbar, nicht zuletzt steht auch der gleichgeschaltete Staatsfunk auf seiner Seite.

 

Auftrieb könnte Orbán nochmals ein konjunktureller Schub in Europa 2013/2014 geben, dessen Auswirkungen er als das Verdienst seiner Politik verkaufen würde. Allerdings wird erwartet, dass der zunächst erwartete Aufschwung nicht so groß ausfällt, dass er in Ungarn durchschlagenden wirtschaftlichen Erfolg in kurzer Zeit verspricht, zumal ernstzunehmende Prognosen für das Budget 2013 und 2014 in letzter Zeit eher wieder negativer werden, was zu weiteren Steuermaßnahmen und damit zu weiterem Wählerunmut führen muss.

Webseite von “Gemeinsam 2014” http://www.egyutt2014.hu/

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red. / ms.

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