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(c) Pester Lloyd / 45 - 2012   WIRTSCHAFT 06.11.2012

 

Geschäfte mit den Prügelscheichs

Ungarn intensiviert Beziehungen zu Saudi-Arabien und Kuwait - "Ostöffnung" färbt immer mehr ab

Ob Saudi-Arabien, China, Aserbaidshan oder Iran: für Geld aus dem Osten macht Orbán fast alles und fest die Augen zu. Noch am Sonntag wurden tausende Menschen in Kuwait von brutalen Polizeieinsätzen am Demonstrieren gegen ein neues, noch undemokratischeres Wahlrecht gehindert, schon am Montag kommt eine ungarische Regierungsdelegation um über engere Handelsbeziehungen zu verhandeln. Dieses Vorgehen ist kein Einzel- oder Zufall, es hat Methode. Sie heißt "Ostöffnung".

Nächster Anlauf mit den Saudis

Ungarns Regierungschef Orbán hat sich am Montag mit dem Sprecher der saudi-arabischen Shura, einem Beratungsgremium nach islamischem Recht für die absolutistisch herrschenden Monarchen des Landes, Abdullah ash-Sheikh, getroffen. Ziel sei es, so die offizielle Mitteilung, "im Rahmen der neuen Strategie zur Ostöffnung ungarische Exporte auf Märkten wie Saudi-Arabien zu platzieren..." Der Premier wäre außerdem "froh, wenn es soviel wie möglich persönliche Beziehungen" zwischen beiden Ländern geben könnte, sein Land wolle daher eine Erhöhung der Zahl saudischer Studenten in Ungarn anstreben.

Erste Versuche dem ölreichen Land den Kauf von ungarischen Staatsanleihen anzutragen, waren zunächst gescheitert, weil die Saudis im Gegenzug Forderungen nach Landkäufen bzw. -pachtung in einem Umfang stellten, die angesichts der aktuellen "Bauernland in Ungarnhand"-Politik nicht vertretbar gewesen waren, zumindest vorerst.

"Strategische Partnerschaft" mit den Prügelprinzen?

Orbáns Kabinettschef für Außenfragen, Staatssekretär Péter Szijjártó, hielt sich gleichzeitig in Kuwait zu gleich gelagerten Gesprächen auf. In Kuwait wurden in den letzten Tage Proteste tausender Menschen gegen ein neues Wahlrecht brutal niedergeschlagen, Oppositionelle ins Gefängnis gesteckt. Saudi-Arabien als politische Großmacht der Region ist u.a. personell und finanziell in die Niederschlagung der Demokratisierungsbewegungen in Bahrein involviert, von der eigenen Diktatur ganz zu schweigen.

Szijjártó war als Präsident der neu gegründeten "Ungarisch-kuwaitischen Wirtschaftskommission" zu Gange und müht sich um Aufträge im Rahmen des Nationalen Entwicklungsplanes. Bei seinen Gesprächen erklärte er den Willen seiner Regierung zu einer "strategischen Partnerschaft" mit Kuwait. - Die Konstellation erinnert daran, dass Orbán als letzter westlicher Regierungschef Ägyptens Präsident Mubarak zu Gesicht bekam. Schon als auf den Straßen das Blut floss, verhandelte man damals in Kairo noch über "strategische Partnerschaften" und Handelsbeziehungen...

Aufträge, Investitionen und Anleihenkäufe werden wie auf dem Basar verhandelt

Kurz zuvor waren Regierungsdelegationen auch in Vietnam unterwegs, um Aufträge bei der Stadtentwicklung und Infrastruktur zu ergattern. Dies gelang u.a. durch den Kauf von vietnamesischen Staatsanleihen in Höhe von umgerechnet knapp 100 Mio. EUR seitens Ungarn, das jedoch selbst händeringend Abnehmer für eigene Schuldscheine sucht. Zu diesem Zwecke zielte man u.a. schon auf Kasachstan und Aserbaidshan, ebenfalls zwei autokratisch regierte Länder, der versuchte Deal mit letzterem führte zunächst zu einem diplomatischen Eklat. Sogar mit dem Iran führten Abgesandte der Regierung bereits auch offizielle Gespräche über verstärkten Handel.

Ihr Hauptaugenmerk bei der "Ostöffnung" legt Ungarn auf Russland, dem Ungarn jedoch zu unwichtig und zu wackelig erscheint, vor allem aber auf China, das Ungarn als "Einfallstor" in die EU erkannt hat und mit dem bereits weitgehende Investitionsvereinbarungen und Finanzgeschäfte getroffen bzw. abgesprochen wurden, wofür Ungarn dem Reich der Mitte Vorzugsbedingungen einräumt. Zusätzlich geht gerade eine Gesetzesänderung durch das Parlament, das Investoren (privaten wie Vertretern von institutionellen) die ungarische EU-Staatsbürgerschaft für den Kauf von Staatsanleihen ab einem Wert von 250.000 Euro anbietet. Hier mehr dazu.

Jede große Reise beginnt mit einem ersten kleinen Schritt...

Investitionsbedingungen werden zwischen den neuen Partnern ausgehandelt wie auf dem Basar, rechtsstaatliche Hürden, gar Konkurrenz sind kaum zu erwarten, denn das ungarische Arbeitsrecht wurde bereits weitgehend ins 19. Jh. zurückgebombt, Steuergesetze und Ausschreibungsrecht können durch reine Deklaration eines Projektes von "nationalstrategischer Bedeutung" gebogen und gebeugt werden, sogar von einem
Enteignungsgesetz ist die Rede.

Unliebsame Demonstranten (Tibet) hat man dem chinesischen Premier bei dessen Besuch in Budapest durch polizeiliche Vorladungen vorenthalten und bilaterale Verträge werden, wenn überhaupt, nur durch von der Opposition erfochtene letztinstanzliche Gerichtsurteile veröffentlicht. Auch beim Thema Internetzensur scheint die Orbán-Regierung chinesische Methoden eingehender studiert zu haben, auch wenn man bei dem Thema noch ganz am Anfang steht, - aber wie sagte schon Konfuzius oder ein anderes Politbüromitglied: jede große Reise beginnt mit einem ersten kleinen Schritt...

Eine Wirtschaftsstrategie mit politisch-ideologischen Auswirkungen

Die "Ostöffnung" wird von der Regierung Orbán als "strategische Maßnahme" "im nationalen Interesse" betrieben und explizit als Kontrapunkt zur "Abhängigkeit von der EU und dem internationalen Finanzmarkt" beschrieben. Mehrfach war zu hören, dass "Ungarns Zukunft im Osten liegt", ein Thema, das nicht nur ökonomische, sondern auch ideologische Hintergründe hat und bis zur neuen "Rassentheologie" der Rechtsextremen reicht, der auch die Nationalkonservativen oft nicht abhold sind - und sei es aus rein wahltaktischen Überlegungen. Auch überschneidet sich die ökonomisch begründte Ostöffnung zwangsläufig mit dem von Jobbik und den meisten der neuen Partner "gepflegten" Antisemeitismus, von dem sich diese Regierung schon ohne solche Querverbindungen nicht lösen kann, solange sie antisemitische Handlungen und Bekenntnisse von hohen Funktionären der Regierungspartei, wie z.B. dem Parlamentspräsidenten Kövér etc. duldet.

Während Ökonomen vor allem warnen, dass sich Ungarn von den öst- und fernöstlichen Verlockungen allzu schnell über den Tisch ziehen lassen könnte, da auch dort nichts zum Nulltarif zu haben sei, dafür das Ausfallrisiko viel höher ist (Beispiel MOL in Syrien), bemängeln Oppositionspolitiker vor allem die Ignoranz der Orbán-Regierung gegenüber den in den meisten der genannten Länder herrschenden autokratischen bis diktatorischen Systeme.

Der Westen macht das doch auch: Schon, aber nicht im eigenen Land...

Zwar würden Menschenrechtsverstöße auch von anderen EU-Ländern zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen ignoriert und damit geduldet, doch bauten diese immerhin nicht selbst die Demokratie und den Rechtsstaat im eigenen Lande in einem solchen Tempo ab. Auch käme keine andere EU-Regierung auf die Idee solcherart Deals als heroische Akte im "Befreiungskampf" ihres Landes darzustellen, wie es die Orbán-Regierung wieder und wieder tut, während sie ihre natürlichen Verbündeten EU/IWF tagtäglich vor den Kopf stößt, deren Gelder aber doch fordert und annimmt und dabei noch die Chuzpe hat über Brüsseler "Doppelstandards" zu klagen. Die EU wird als Feind der Nation dargestellt, der Weg gen Osten als die Lösung. Ein klassischer Irrweg, bei allen zu kritiserenden Fehlentwicklungen auf dem Kontinent.

 

Dass der Regierungsstil der "neuen Partner" auf Orbán immer mehr abfärbt, kann man nicht nur an dem allumfassenden gesellschaftlichen Umbau zum Zwecke der Machtsicherung für die Regierungspartei erkennen, sondern auch an geradezu sprichwörtlichen Äußerungen des Premiers, am eindrücklichsten diese: möglicherweise werden irgendwann andere Regierungssysteme als das demokratische notwendig sein, um unsere ökonomischen Krisen zu lösen. (gesagt vor EVP-Parteifreunden)

Der Westen erschreckte sich ob solcher Äußerung, doch schon im Wahlkampf 2010 sagte Orbán klar und deutlich, dass, wenn er die Macht übernimmt, das "demokratische System nicht mehr das gleiche sein wird wie vorher", dafür habe er aber Wohlstand und ein Ende der politischen Kämpfe anzubieten. Das mit der Demokratie hat er, so sind sich alle einig, gehalten, sie nähert sich, wie
Ex-Premier Bajnai kürzlich anmerkte "asiatischen Wirtschaftssystemen an", den zweiten Teil seines Versprechens blieb er seinem Volk bisher schuldig.

cs.sz.

Zum Thema:

Eskapaden und Irrwege - Nov. 2011
Ungarns "neue Partner" in der Welt und die Verachtung der Menschlichkeit
http://www.pesterlloyd.net/2011_45/45irrwege/45irrwege.html

Saudi-Arabien / Naher und Mittlerer Osten:

Ungarn kooperiert mit Wüstenstaat im Wassermanagement - Mai 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1219wassersaudis.html

Ungarische Polizei verprügelte saudischen Sportfunktionär
http://www.pesterlloyd.net/html/1224saudiverpruegelt.html

Ungarns Premier bei Eröffnung des jordanischen “Buddha-Hotel” in Budapest

Gerüchte über Enteignungsgesetz in Ungarn zu Gunsten "neuer strategischer Partner" - Aug 2012 http://www.pesterlloyd.net/html/1228wirtschaftsnewshu.html
http://www.pesterlloyd.net/html/1225buddhahotelbp.html

Ungarischer Käse als Verkaufsschlager im Nahen Osten - Februar 2012
http://www.pesterlloyd.net/2012_06/06keasewerk/06keasewerk.html

Pusztakönig bei den Wüstensöhnen - 2011
Ungarischer Premier auf BettelWerbetour in Saudi-Arabien
http://www.pesterlloyd.net/2011_40/40saudiarabien/40saudiarabien.html

Vorbild Iran - 2012
Rechtsextreme in Ungarn suchen Heil im Nahen Osten, auch Regierung verhandelt mit Mullahs
http://www.pesterlloyd.net/2012_06/06gyongyosi/06gyongyosi.html

Aserbaidshan:

Blutiger Deal trägt Früchte: Minister aus Aserbaidshan in Ungarn - Okt. 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1241asserbaidshan.html

Orbán zu Axtmörder-Auslieferung: Meine Entscheidung - Sept. 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1237orbansfarovallein.html

"Acht Jahre sind genug..." - Sept. 2012
Axtmörder-Affäre: Aserbaidshan leugnet Milliardendeal mit Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/html/1236armenienii.html

Die Axt im Hause - Sep. 2012
Armenien bricht Beziehungen zu Ungarn ab / Bericht & Kommentar
http://www.pesterlloyd.net/html/1236armenienabbruch.html

Aserbaidshhan kauft vielleicht ungarische Staatsanleihen - Aug. 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1234aserbaidshan.html

China:

Ungarn verhandelt auch mit China über neue Airline
http://www.pesterlloyd.net/html/1238hainanairline.html

Ungarischer Oligarch vor Millionenprojekt in China - Sept. 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1238demjanchina.html

Keine Fabrik für Zitronensäure: Chinesen sind sauer auf Ungarn - Juni 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1226chinasauer.html

Fehlende Transparenz bei Verträgen China-Ungarn - Mai 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1219chinaungarndokumente.html

Wilde Phantasien - Mai 2012
Milliarden aus dem Reich der Mitte: China hat Ungarn als Basislager erkoren
http://www.pesterlloyd.net/html/1218chinaungarn.html

Retter aus dem Osten? - April 2012
Ungarn buhlt um Investoren und Finanziers aus China
http://www.pesterlloyd.net/2011_16/16chinahandel/16chinahandel.html

Nur die Mauer fehlt noch... - Juni 2011
Wen Jabao in Budapest: Warum sich China in Ungarn wie zu Hause fühlen kann
http://www.pesterlloyd.net/2011_25/25chinaungarn/25chinaungarn.html

Chinatown an der Donau - Archiv 2009
Der Vier-Tiger-Markt in der Józsefváros
http://www.pesterlloyd.net/budapest2009/chinatown/chinatown.html

Rudi in Peking - Archiv 2009
Der Kultriegel aus Ungarn erobert China
http://www.pesterlloyd.net/2009_37/0937rudi/0937rudi.html.

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