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(c) Pester Lloyd / 46 - 2012   WIRTSCHAFT 16.11.2012

 

Bodenoffensive

Ungarn will bei "Taschenverträgen" Urteile ohne Gerichte

Bei der Jagd auf "Taschenverträge" in ihrem "Krieg gegen Bodenspekulanten plant die Regierung weitreichende Gesetzes- und Verfahrensänderungen. Die betreffen in erster Linie Ausländer, die über Strohmänner Profit aus ungarischem Boden ziehen, was übrigens illegal ist. Doch auch legal wirtschaftende Betriebe mit ausländischer Beteiligung sehen sich an den Pranger gestellt, manche kämpfen derzeit sogar gegen eine regelrechte Enteignungswelle, wie auch der Botschafter Österreichs klagt. Andere werden bald noch mehr unter dem "Recht des Stärkeren" leiden, das diese Regierung als Rechtsstaat verkauft.

Die fürsorgliche Hand der Partei...

Freier Zugang zu Datenbanken soll illegale Absprachen aufdecken?!

Wenn im März 2013 die Frist für die Amnestie ausläuft, in der sich Betreiber solcher Taschenverträge straffrei davon trennen können, sollen den Behörden Mittel an die Hand gegeben werden, solche Konstruktionen durch vereinfachte Einsichtnahme in die entsprechenden Register, leichter "herauszufiltern", was nur durch Änderungen am Informations- und Datenschutzgesetz möglich wird.

Inwiefern Absprachen, die den Umständen eines solchen "Taschenvertrages" entsprechen, durch Einsicht in die Datenbanken zu Landbesitz ersichtlich werden sollen, dazu schweigt sich die Ankündigung aus dem Landwirtschaftsministerium jedoch aus. Auch der Strafrahmen für die Beteiligten an Taschenverträgen, die nach Januar 2012 abgeschlossen wurden, d.h. Geschäftspartner ebenso wie Anwälte und Vermittler wurde angehoben auf bis zu fünf Jahre Gefängnis.

Der Ankläger wird zum Richter

Viel tiefgreifender sind jedoch zwei weitere Änderungen, die auf der letzten interministeriellen Sitzung in Angriff genommen wurden: Zum Einen sollen Staatsanwälte das Recht bekommen, "im öffentlichen Interesse", solche Verträge oder Abmachungen für Null und Nichtig zu erklären, gleichzeitig soll die rechtliche Möglichkeit einer Rückforderung des Kaufpreises über ein Gericht ausgeschlossen werden.

Kurz gesagt: nicht ein Richter, sondern der Ankläger fällt das Urteil darüber, ob ein Kauf legal oder illegal abgelaufen ist bzw. ob hinter einer agrarischen Tätigkeit auf dem Land eines Ungarn eine als illegal gesehene Absprache mit einem Ausländer steht, der als eigentlicher Besitzer des Landes zu gelten hat. Ist Letzteres der Fall, sind sowohl Grund und Boden wie auch der gezahlte Kaufpreis verloren, ohne dass ein Gericht eingreifen könnte.

Zwei paar Schuhe, aber ein Schuster

Der "Erwerb" oder "Besitz" (ob als Bewirtschafter oder Fruchtgenussberechtigter) von Grund und Boden über Strohmänner zur Umgehung des Landkaufmoratoriums ist illegal, dem haben sich die Betroffenen zu stellen: durch straffreie Auflösung der Vereinbarungen bis März 2013 oder durch Überführung in ein legals Konstrukt, wie ein Joint venture oder eine andere Art der transparenten Beteiligung an einem ungarischen Unternehmen. Wer dies unterlässt, wird die Konsequenzen tragen müssen, abseits davon, ob die Umsetzung rechtstaatlich als sauber bewertet werden kann.

Der Terminus "Bodenspekulation" ist jedoch irreführend und ideologisch motiviert (Ausländer rauben mal wieder Ungarn aus...), da es sich meist um bewirtschaftete Flächen handelt, nicht um solche, mit denen, z.B. über das Kalkül von Umwidmungen etc. spekuliert wird. Dies ist auch kein Sachverhalt, bei dem Ausländer die Hauptrolle spielen, maximal als Geldgeber im Hintergrund, sind doch für solche Schiebereien exzellente Kontakte zu kommunalen Behörden und ein weites Netzwerk notwendig, über das gewöhnlicherweise eher Einheimische verfügen.

 

Verfolgung von Rechtsbrüchen wird Vehikel zur "Umeignung"

Das Hauptproblem ergibt sich aus den bis heute nicht konkretisierten und daher rechtlich nicht fassbaren Beweiskriterien dafür, was ein "Taschenvertrag" ist und was nicht. In Summe steigt damit die Rechtsunsicherheit und lokal wie politisch motivierter Willkür wird der Weg bereitet. Schon jetzt häufen sich Meldungen, auch an diese Zeitung, über aggressives Verhalten von Nachbarn und willkürliche behördliche Schikanen auch gegenüber ganz legalen Landwirtschaftsbetrieben mit ausländischer Beteiligung, manche sprechen von einer regelrechten Jagd.

Viele fürchten eine Welle von Denunziationen und Geschäftsschädigung, weil Konkurrenten oder Neider versucht sein könnten, die national aufgeheizte Athmophäre für die Ausschaltung eines Konkurrenten oder die günstige Akquisition von Land zu nutzen. Die oben geschilderten, geplanten fehmgerichtlichen Beurteilungsumstände würden diese Situation weiter verschärfen.

Der Landhunger hat Gründe: Pachtzinserträge sind in Ungarn steuerfrei...

In Ungarn kommt neben den Erträgen, EU-Subventionen oder Wertsteigerungen noch ein weiterer Grund hinzu, warum der Landhunger - bei In- wie Ausländern - so groß ist: Erträge aus der Verpachtung von Agrarland sind hier steuerfrei. "Das gibt es in keinem anderen Land der Welt. Dem Staat entgehen so ca. 70-80 Mio. EUR im Jahr." erläutert uns der österreichische Botschafter in Budapest, Dr. Michael Zimmermann. Für ihn steht beim "Krieg gegen Spekulanten" die Rechtsstaatlichkeit im Vordergrund: wer sich nicht an die Gesetze hält, muss sich den Konsequenzen stellen, dem kann auch die österreichische Regierung, in dem die Bauernschaft traditionell einen hohen Stand hat, nicht helfen. Doch die Mehrheit der in Ungarn engagierten Österreicher, so ist der Botschafter überzeugt, wirtschaften legal im Land.

Enteignungen von Ausländern über den "Naturschutzhebel"

Doch auch das rettet einige nicht vor der neuen "Landnahme". Zimmermann berichtet von zwei aktuellen Fällen aus dem Örség-Nationalpark. Während die bisherige Praxis des Herauslösens von Land aus den Naturschutzgebieten von Seiten der Parkverwaltung bzw. des dahinterstehenden Staatssekretariats für Umweltfragen darin bestand, entweder einen marktgerechten Kaufpreis oder vergleichbare Ersatzgründstücke anzubieten, bekamen zwei legale österreichische Landbesitzer nur einen symbolischen Kaufpreis weit unter Wert angeboten, deren Ablehnung ein Enteignungsverfahren aus "nationalem Interesse" bedeutet. Begründung: die nicht adäquate Erfüllung der umweltschutzrechtlichen Vorgaben. Diese Sonderbehandlung für Ausländer ist kein Einzelfall, zumal die dann frei gewordenen Grundstücke anschließend über Neuausschreibungen an Ungarn gehen, bei denen man offensichtlich keine Bedenken hinsichtlich der Erfüllung der Schutzstandards sieht.....

Dieses Vorgehen trifft nicht nur Österreicher: ein schweizerisch-ungarisches Unternehmen mit einem deutschen Geschäftsführer, das einst einen Deal mit den Behörden abschloss, in dem man die gebotene fachmännische Entwässerung der Flächen auf eigene Kosten gegen einen niedrigeren Pachtzins aushandelte, sieht sich nun mit dem Vorwurf der Sittenwidrigkeit konfrontiert und vor Gericht gestellt. Der dahinterstehende Schweizer Investor hat über die Jahre auf verschiedenen Gebieten Hunderte Arbeitsplätze in Ungarn geschaffen, doch das scheint alles nichts mehr Wert. - Hier der Fall im Detail.

Auch hier rührte man die politische Trommel, sandte Umweltstaatssekretär Illés im Verbund mit "Melonenkommissar" Budai den Umweltschutz aus und pocht nun auf die Wiederherstellung des ursprünglichen natürlichen Zustandes, der vor allem in der Nicht-Nutzbarkeit der mühsam kultivierten Flächen münden würde. Sogar Naturschützer spannte man vor diesen Karren. Dass das Land nach der Rückholung keineswegs nur der Natur gehören wird, steht fest: Pachtzinsen und EU-Subventionen wiegen schwerer...

Richtige Behörde zur falschen Zeit...

 

Botschafter Zimmermann spricht von weiteren Verwerfungen mit der ungarischen Regierung: auf seinem Schreibtisch liegen die Fälle von 16 Landwirten, die über eine entsprechende und ohnehin sehr restriktiv angewandte Ausnahmeregelung Land legal erwerben konnten. Die Bestätigung darüber stellte, wie immer, die entsprechende Komitatsverwaltung aus. Allerdings durfte sie das nicht mehr, denn nach der Orbánschen Kommunalreform verloren die Komitate dafür die Zuständigkeit. Die Landwirte haben nun das Recht auf Genehmigung zum Landerwerb erlangt, ihre Bestätigungen darüber sind jedoch ungültig, weil die Verwaltung "geschlafen" hat. Die Zentralregierung verweigert bisher, die richtigen Stempel auf die Urkunden zu drücken. Das geht mitunter an Existenzen, betrifft aber auch die - ungarischen - Angestellten, die nicht ungern bei ausländischen Betrieben anheuern. Ganz nebenbei wird so auch deutlicher, warum Orbán & Co. so beflissen die Schulden und Agenden der Komitate und Kommunen übernehmen...

Der Feind aus dem eigenen Lager

Die geplante Art der rechtlichen Verfolgung der "Taschenverträge" ist angesichts des mittlerweile schon international angeprangerten Land-Grabbings von Fidesz-Funktionären und ihrem Umfeld ohnehin bigott und schafft Doppelstandards, denn bei der Vergabe über den Nationalen Bodenfonds wird weder das Auskunftswesen, noch die Rechenschaftslegung erweitert, man belässt es bei der Feststellung seitens der Vergabebehörde, dass "alles korrekt" abläuft, während jeder Hahn im Lande die wahren Hintergründe auswendig krähen kann. Auch die rechtlichen Garantien für legal wirtschaftende Betriebe sind nicht gegeben, wie die obigen Beispiele zeigten. Ortsansässige Bauern, die bei den Tendern des Bodenfonds wieder einmal leer ausgingen, besetzten am letzten Wochenende Felder. Ihre Gegner sind jedoch keine Ausländer, sondern Funktionäre der eigenen Regierung. Die bisher so belastbare Fremdschuldthese der Nationalkonservativen bekommt immer sichtbarere Risse, wo doch gerade das Landvolk bisher das stützende Rückgrat für die Regierungsmehrheit war...

red. / cs.sz. / ms.

Das Wichtigste zum Thema:

Spekulantenspektakel - Sept. 2012
Ungarn stellt Ultimatum für "Taschenverträge" in der Landwirtschaft
http://www.pesterlloyd.net/html/1238spekulanten.html

Fidesz-Funktionäre werden zu Großbauern: "Alles korrekt" bei der neuen Landvergabe in Ungarn - Okt 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1243landvergabeok.html

Ungarn und Österreich bilden Arbeitsgruppe zu "Taschenverträgen" - April 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1218taschenvertraege.html

Land(rück)nahme - Ungarn erklärt Bodenspekulanten "den Krieg" - März 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1213landnahme2.html

Landkaufmoratorium: Ungarn und die EU im Kampf um die "heilige Erde" - Sept. 2010
http://www.pesterlloyd.net/2010_35/35landnahmen/35landnahmen.html

Preise für Agrarland haben sich in Ungarn binnen zehn Jahren verdoppelt - Nov. 2010
http://www.pesterlloyd.net/2010_46/46agrarland/46agrarland.html

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