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(c) Pester Lloyd / 46 - 2012   NACHRICHTEN 12.11.2012

 

Etikettenschwindel

Ungarn unterliegt im Tokaj-Streit mit Slowakei vor EU-Gericht

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat am Donnerstag ein Klage Ungarns gegen die Slowakei über die Nutzung der Herkunftsbezeichnung Tokaj abgewiesen. Die Ungarn wollten den Slowaken die Benutzung verbieten, was aber auch die ethnisch ungarischen Winzer des slowakischen Tokaj getroffen hätte. Geht es um Besitzstände, scheint es nicht weit her zu sein mit der beschworenen Einheit der Nation...

Den Ungarn stieß sauer auf, dass auf den Etiketten und im europäischen Zentralregister E-Bacchus neben dem slowakischen "Tokajský"  auch der Name "Tokaj" für die Region oder "Tokaji", die Adjektivform für den "Tokajer Wein" auftauchte. Das, so die Begründung der ungarischen Seite, würde die "Reputation der Marke" und damit die "Existenz der ungarischen Weinbauern" gefährden, die den Tokajer als "König der Weine und Wein der Könige" seit Jahrhunderten kultivieren.

Die Luxemburger Richter fällten dazu ein ziemlich entspannt begründetes und klares Urteil: die Benutzung der ungarischen wie der slowakischen Bezeichnung sei in der Slowakei, wo Slowakisch Amtssprache ist, genauso zulässig wie die ungarische Bezeichnung, da Ungarisch dort anerkannte Minderheitensprache ist, zudem habe Ungarn selbst darum gestritten Tokaj als eine ungeteilte, historische Weinregion mit einem einheitlichen Herkunftsschutz zu belegen. Wenn ein Winzer in der Slowakei "aus technischen Gründen" (gemeint Marketing, Verkauf) die slowakische oder die ungarische Bezeichnung benutzt, ist daraus nicht sinnvoll abzuleiten, warum die Herstellung oder die Markenrechte des Weines von der ungarischen Seite beeinträchtigt sein sollten. Die Einhaltung der Bestimmungen für die geschützte Herkunftsbezeichung gilt ohnehin für das gesamte Tokaj. Und die Kontrolle dieser Bestimmungen obliegt übrigens seit 2009 den Ungarn und nur solche Weine dürften sich auch so nennen, egal ob von der ungarischen oder der slowakischen Seite.

Regierungspresse: EU setzt Trianon-Politik fort...

 

Die Luxemburger Richter machten also - salopp zusammengefasst - klar, dass auch im Tokaj EU-Regeln und nicht die des ungarischen Königreiches gelten. Die Reaktionen in Ungarn auf das Urteil waren - wie immer bei solchen Fällen - so eingeschnappt wie widersprüchlich: "Nimmt man uns jetzt auch noch das Tokaj?" So fragt pathetisch besorgt das regierungstreue Blatt "Magyar Nemzet", um sogleich zu lamentieren, dass die EU es nicht bei der Schmach von Trianon belässt, die schon Oberungarn (Südslowakei) aus dem tausendjährigen ungarischen Reiche schnitt, nun soll man auch noch die berühmteste Weinregion, das Tokaj, erst als Marke und Regionalbezeichnung, nun auch noch sprachlich mit den Slawen, diesen Slowaken, teilen, die - so die landläufige Meinung bei Ungarns neuen Patrioten - gar kein richtiges Volk sind und überhaupt erst von den Siegermächten erfunden wurden?

Es ist ein muffig-korkiger Cuvée, den uns die Nationenschützer da zusammenpanschen. Denn leben dort, in der Grenzregion, den knapp 600 Hektar, die in der Slowakei zur Tokaj-Region zählen, nicht überwiegend Ungarn, die doch zur Kulturnation gehören und deren Vertretung, wie der "aller Ungarn im Karpatenbecken" (Orbán), sich diese Regierung von Anfang an auf die Fahnen schrieb? - Mit dem ungarischen Nationalismus ist es schon eine komische Sache: auf der einen Seite betonen die Nationalkonservativen die Einheit der Nation "auch über die durch Trianon geschaffenen Grenzen hinaus" (Orbán) und werben aktiv Bürger der Nachbarstaaten, so sie "ungarischen Blutes" und Willens sind, für einen magyarischen Pass.

Es geht nicht ums Prinzip, sondern gegen die Slowakei

Geht es aber um den eigenen Besitzstand, ist es aus mit der Einheit der Nation, da werde schnell Grenzen gezogen. Das ist der wahre Etikettenschwindel. Über Jahre hat Ungarn durch Beschwerden und Prozesse versucht, den Nachbarn im Norden und damit also auch den "eigenen Landsleuten" die Herkunftsbezeichung gänzlich zu entziehen bei Missachtung genau jener kulturhistorischen Fakten, die man sonst immer so betont. Damit scheiterte man regelmäßig an dem regionalen und historischen Verständnis der EU-Behörden und -Gerichte.

Dann versuchte man es durch Vorschriften bei der Etikettierung und versuchte, englische Etikettaufdrucke zu untersagen, die "Slovak Tokay Wine" behaupteten, wo doch jeder wissen müsse, dass Tokaj "nur" Ungarisch sein kann! Das war schlimm, "Tokajský" ist schlimmer, aber “Tokaj” auf slowakischen Flaschen wohl geradezu schlicht unerträglich. Bei anderer Gelegenheit demonstrierten die Einheimischen bereits einmal, dass ihnen ihr "Tokaj" gar nicht so heilig ist, wie man damit vor Gericht tat. Ja, man verramschte das “ungarische Gold” mitunter sogar als Diskont-Marke bei Walmart. Es ging also um die die Slowakei, nicht ums Prinzip.

 

Eine "Problematik", die sich bei regelmäßigerem, bewußsten Genuss des Getränkes auch beim verkrampftestens Funktionär eigentlich in Wohlgefallen auflösen müsste: Könnten sich die ungarischen Tokajer Winzer doch durch eigene Leistung profilieren, nur der Geschmack müsste dann die gepfefferten Preise der edelsüßen Weine rechtfertigen. In vino veritas. Aber vielleicht liegt genau darin das Problem?

red.

Tokajer als Diskont-Ware bei Walmart?
http://www.pesterlloyd.net/2010_17/17tokaj/17tokaj.html

Ungarischer Staatswinzer Tokaj mit Umsatzeinbußen
http://www.pesterlloyd.net/2010_25/25tokaj/25tokaj.html

UNESCO gegen Biomassekraftwerk in ungarischer Weinbauregion Tokaj
http://www.pesterlloyd.net/2011_06/06tokajkraftwerk/06tokajkraftwerk.html

Bürger in Ungarn für Heizkraftwerk gegen Weltklturerbe Tokaj
http://www.pesterlloyd.net/2010_40/40kraftwerktokaj/40kraftwerktokaj.html

Slowakisches Kraftwerksprojekt nahe Tokaj gekippt
http://www.pesterlloyd.net/2010_28/28kraftwerk/28kraftwerk.html

Wetter verhagelt Weinernte in Tokaj
http://www.pesterlloyd.net/2010_36/36tokaj/36tokaj.html

Volksweinstuben: Die gefährdete Welt der "Borozós" in Budapest
http://www.pesterlloyd.net/html/1238borozo.html

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