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(c) Pester Lloyd / 47 - 2012   FEUILLETON 19.11.2012

 

Der kleine Tiger mit dem roten Punkt

Warum nur "Matman" Nationalbankchef von Ungarn werden kann

Im März 2013 bekommt Ungarn einen neuen Zentralbankchef, denn der Turnus des noch von der Vorgängerregierung ernannten "Offshore-Ritters" András Simor läuft endlich aus und damit fällt auch die "letzte Bastion" der "Gyurcsány-Ära" an echte Ungarn. Unser Wirtschaftsredakteur erklärt, warum nur eine Person für den Posten in Frage kommt, muss dazu aber sein Ressort verlassen, denn mit Wirtschaft oder Politik kommt man dem Thema nicht mehr bei. Dafür erfahren wir einiges über Tiger, Katzen und Mäuse, neunfach gedrehte DNA und die frühkindliche Gesäß-Verwandschaft zwischen Ungarn und Japanern.

Regierungschef Orbán wird seinem Präsidenten vermutlich noch bis Ende des Jahres den Nachfolger im Amt des Zentralbank-Gouverneurs benennen, eine Personalie, die direkten Einfluss auf Forintkurs, Zinsraten für Staatsanleihen und Verhandlungsbereitschaft des IWF hat und somit für das Land in bares Geld umzurechnen ist, so oder so. Verschiedene Namen anerkannter Ökonomen werden bereits gehandelt und wieder verworfen, denn Medien und Fachwelt sind sich eigentlich darin einig, dass die Wahl des Regierungschefs wenig Rücksicht auf internationale oder fachliche Befindlichkeiten nehmen wird, sondern die Loyalität zur "Konservativen Revolution" und deren Personifizierung, Orbán, im Vordergrund steht. Aber bleiben Sie dran, das Beste kommt zum Schluss!

Die rechte und die linke Hand...

Da die neuen externen Währungsratsmitglieder schon nach diesen Maßgaben funktionieren, ist der Gouverneur praktisch nur noch das Tüpfelchen auf das i, bevor Orbán auch die Akte MNB, eigentlich das ganze Institut selbst, schließen kann. Bei diesem Anforderungsprofil kommt neben IWF-Chefverhandler Varga, der uns aber zu langweilig ist, fast automatisch ein Name ins Spiel, der Orbán und uns Schreiberlingen schon viel Freude bereitet hat, dem ungarischen Volk bisher eher weniger, denn regelmäßig musste es die geistigen Pauschalurlaube ihres Superministers teuer bezahlen. Doch: "Minister Matolcsy ist meine rechte Hand." - "Niemand kann mir einen ausreichenden Preis dafür bezahlen, als dass ich dafür meine rechte Hand geben würde", sagte Orbán schon im Oktober 2010. Nichtmal der IWF kann das. Orbán muss auch deshalb an seiner rechten Hand festhalten, weil er keine linke mehr hat, denn: "Ich habe die Linke zerschlagen".

Immer wenn Matolcsy den Mund aufmacht, verkriecht sich der Forint in den Keller und die Anleihezinsen flüchten aufs Dach. Alle, die Forex-Kredite halten - und das sind fast alle - wissen dann, dass die nächsten Monatsraten teurer werden. Doch das ungarische Volk wird schon noch erkennen, dass das alles Investitionen in ihre Zukunft sind und sollte auch, wie ein linkes Kampfblatt beckmesserte, mit Matolcsys Ernennung der Kurs des Forint auf 500 zum Euro fallen. - Einige behaupten ja, Orbán wird wieder einmal unterschätzt: Sollte Matolcsy MNB-Chef werden, ist er zwangsläufig nicht mehr Nationalwirtschaftsminister, womit allen geholfen wäre, zumal der Währungsrat ohnehin schon tut, was er soll.

Es ist die Realität, die nicht der Realität entspricht

Unterschätzt wird auch Matolcsy. Der Voodoo-Meister, das Rechengenie, der Stratege des ungarischen Erfolges, kurz: Matman. Er hat es in zweieinhalb Jahren geschafft, wirklich jede makroökonomische Kennzahl, ob BIP-Wachstum, Arbeitsmarkt, Inflation, Defizit oder Forintkurs falsch vorherzusagen und sämtliche gebotenen Korrekturen immer zu einem Zeitpunkt vorzunehmen als selbst diese schon wieder hinfällig waren. Manche meinen, das wäre aber genau das, was ein Nationalbankgouverneur richtig können müsste, um mit Leitzins- und Geldmengenpolitik stabilisierend gegensteuern zu können. Doch solche Gedankengänge entströmen nur manipulierten Hirnen jener uninspirierten Finanzmarkt-Systemleichen, die heute noch Märkte und Meinung beherrschen. Denn Matolcsy, der Absolvent der Karl-Marx-Uni in Budapest, machte uns in verschiedenen scharfsinnigen Analysen klar, dass es die Realität ist, die nicht der Realität entspricht. Entspräche sie nämlich der Realität, wären die Zahlen andere. Matolcsy überholt diese, wie auch jede andere Realtität und erschafft sie neu.

Zu hoch? Dann erheben Sie sich! Einschlägige Äußerungen beseitigen nicht nur jeden Zweifel an seiner Qualifikation für den Posten des Chefs der Nationalbank, sondern lassen diesen Posten für einen Visionär seiner Statur als viel zu klein erscheinen. Das ist wiederum Hinweis auf die grenzenlose Bescheidenheit dieses Mannes, der sich als demütiger Arbeiter im Weinberg seines Volkes genügt:

Er und die EU

"Wir halten ein Papier in Händen (EU-Bericht mit Defizitprognose 2013), das uns bestätigt, dass wir die Finanzen des Landes in Ordnung gebracht haben." "Das ist es (EU-Bericht mit Defizitprognose 2014), was erbsenzählenden Bürokraten in ihren gut bezahlten, abgeschiedenen, warmen und sonnendurchfluteten Büros einfällt... ein Humbug." - Nov. 2012 "Ungarn hat die EU-Ziele erfüllt." - Nov. 2010; "Die EU hat sich verrechnet." - Sept. 2012. "Mein Eindruck war, dass wenigstens zwei Drittel der EU-Mitgliedsstaaten zu Ungarns nationalen Interessen stehen..." März 2012, zum Beginn des Defizitverfahrens der EU. - "Ungarn ist in Haushaltsfragen disziplinierter als die gesamte Eurozone" Okt. 2010

Er und der IWF sowie "die Londoner City"

"Wir werden bald wieder Europas kleiner Tiger sein, verspielt, aber mit Zähnen, ein schnell wachsender, erfolgreicher Tiger..." Nov. 2012, Matolcsy bei einer Fidesz-Konferenz zu den "falschen" Einschätzungen ausländischer Analysten. "Dies wird nicht ein riesiger Krieg werden, sondern eher ein Katz-und-Maus-Spiel. Und wir werden die Katze sein." Nov. 2012. Matolcsy berichtet seinen Parteifreunden über seine Gespräche mit "Londoner Analysten" zur IWF-Frage. Der IWF hat die Gespräche derzeit auf Eis gelegt. - "Ein riesiger Sturm kommt über die Welt..." Mai 2010 als Begründung für "unorthodoxe" Budgetmaßnahmen

Er und die ungarische Wirtschaft

"Es ist nun genug mit Sparpaketen und Budgetkorrekturen. Unsere Wirtschafts- und Fiskalpolitik richtet sich nur noch auf Investitionen und Wachstum..." - Okt. 2012. Seitdem legte sein Ministerium drei neue Sparpakete mit neuen bzw. erhöhten Steuern vor (es gibt schon ein viertes, wir warten aber auf das fünfte und fassen dann zusammen). - "Die Krise (in Ungarn) ist vorbei.... das ungarische Märchen wird wahr..." Juni 2012 gegenüber CNN. - "In den nächsten zehn Jahren werden bis zu einer Million neuer Arbeitsplätze entstehen" Mai 2009 im - Wahlkampf bis Mitte 2011. - "Ungarn wird in den nächsten Jahren die Vollbeschäftigung erreichen." September 2012 - "Ich werde bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, dass jeder Quadratzentimeter Ungarn, jeder Bürger, jede Kommune schuldenfrei wird." November 2012 im Parlament - "Wir werden die großen Löcher in der Wirtschaft, aus denen das Kapital aus dem Land fließt, stopfen“ - März 2011 zur Begründung von Krisensondersteuern - "Von 47.000 Forint im Monat kann man heute in Ungarn recht gut leben..." - Zum Maximaleinkommen, das Sozialhilfeempfängern, die 40 Wochenstunden an den kommunalen Beschäftigungsprogrammen teilnehmen, zusteht.

Orwell oder Comedy?

Soweit die unwiderlegbare fachliche Beweiskette des Ministers: Manche skeptischen Beobachter, also bösartige Kommunisten und gierige Finanzjuden sehen in Ungarn gerade eine Live-Verfilmung von Orwells 1984 laufen. Neusprech und Doppeldenk ist überall zu beobachten. "Ungarns Freunde" sehen dasselbe in der EU (den USA sowieso) ablaufen. Was soll man nun glauben? Wem soll man glauben?

Matolcsy erzählt von roten Punkten auf Babypopos. Lázár kriegt sich fast nicht mehr ein...

Eine ganz aktueller Sketch, den Matolcsy, zusammen mit Orbáns Privatminister Lázár vor geladenem Publikum am Stadttheater Hódmezövásárhely aufführte, ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass alles doch nur ein großer Spaß sein könnte: "Wir sollten stolz auf unsere asiatische Herkunft sein. Es gibt da einen kleinen roten Punkt am Po unserer Neugeborenen in den ersten sechs Wochen. Das ist bei 30 von 100 Babies der Fall, genauso wie bei japanischen Babies. Das haben mir japanische Wissenschaftler erklärt, ich wusste das nicht." Das sagte Matolcsy letzte Woche auf die Frage eines Zuhörers bei einem Symposium, was er zu dem Vorwurf des Oppositionspolitikers Bajnai sagt, Ungarn entwickle sich immer mehr in die Richtung asiatischer Systeme...

Orbáns Flügeladjutant Lázár ergänzte dort, dass er nun gleich nach Hause eilen werde, um das bei seinen Kindern zu überprüfen, woraufhin Matolcsy ihm riet, er könne notfalls den roten Punkt selbst anbringen. Großes Gelächter im Saal.

Begeistert legen ungarische Bürger den neuen Staatsbürgerschaftstest ab, wie hier auf dem Blog http://orulunkvincent.blog.hu dokumentiert wurde.

Japan? Ein Staatssekretär der völlig verkannten ersten Orbán-Regierung erläuterte uns, dass die DNS der ungarischen Rasse - im Unterschied zu normalsterblichen Erdlingen - neun Drehungen aufweist, was wiederum mit der Drehzahl des vom Planeten Sirius auf die Erde kommenden Lichtes identisch ist. Die ungarische Intelligenz ist daher kosmischen Urpsrungs.

 

Andere "Intellektuelle" und "Historiker" wiesen nach, dass nur die Árpáden und ihre Nachkommen die wahren Apostelkönige waren, deren höhere Legitimität sogar Päpste anerkannten, ja womöglich gibt es sogar eine direkte Linie von Jesus ins heutige Kabinett... Die Abkommenschaft von Japanern mag da fast zu bescheiden klingen, obwohl das Land mit 233% Schulden zum BIP als höchtsverschuldeter Staat der Welt doch auch eine gewisse unorthodoxe Vorreiterrolle spielt.

Es ist nicht überliefert, ob Matolcsy bei seinem Auftritt vorige Woche noch die Hosen heruntergelassen hat, um sein rektales Echtheitszertifikat im Auditorium herumzuzeigen. Im Internet legen tausende Ungarn diesen Staatsbürgerschaftstest gerade begeistert ab. Doch es gibt auch andere Anhaltspunkte, die manchen darauf bringen, dass unser kleiner Tiger Matolcsy - ob mit oder ohne Punkt - zu den Allerwertesten der Nation gehören könnte.

cs.sz. / red.

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