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(c) Pester Lloyd / 48 - 2012   POLITIK 29.11.2012

 

Linke "Bad Bank"

Sozialisten in Ungarn ringen um die Oppositionsführerschaft, koste sie was sie wolle

Am Mittwoch rief MSZP-Parteichef Attila Mesterházy "alle demokratischen Oppositionskräfte" dazu auf, an Gesprächen über eine "Wahlallianz für den Wechsel" teilzunehmen. Wahlstrategisch ist der jetzige Schachzug der MSZP ungeschickt und entspringt der eifersüchtigen Panik vor Bedeutungsverlust im Angesicht der neuen Bewegung "Gemeinsam 2014". Man ignoriert die sensiblen Nichtwähler, marginalisiert die extreme Rechte und kannibalisiert sich letztlich selbst. - Analyse

Die MSZP möchte in den ersten vier Monaten 2013 Gespräche mit allen größeren und auch einigen sehr kleinen Gruppen führen, die für eine solche Allianz in Frage kommen (LMP, DK, Gemeinsam 2014, 4K!, "Sozialdemokratische Partei", SDZSZ-Nachfolgern u.a.). Man wolle zunächst die wichtigsten Themenkreise abstecken: Steuer- und Wirtschaftspolitik, Demokratie und Rechtsstaat etc., - Ziel sei es, laut Mesterházy, letztlich eine Vereinbarung über gemeinsame Kandidaturen (hinsichtlich der in Zukunft stärker gewichteten Direktmandate in den Wahlkreisen) auf die Beine zu stellen und sogar auch eine gemeinsame "Landesliste" aufzustellen (über die die restlichen Mandate vergeben werden). Außerdem will die MSZP bis 2014 25.000 bis 30.000 Freiwillige rekrutieren, um alle 20.000 Wahllokale überwachen zu können, "um Wahlbetrug zu verhindern."

 

Doch gerade die Aufstellung einer gemeinsamen Landesliste dürfte sich als glatte Illusion herausstellen und für das Ziel der Opposition auch kontraproduktiv sein. Zum einen, weil das neue Wahlrecht nur registrierte Parteien und politische Organisationen, aber keine losen "Vereinigungen" oder informelle Bündnisse auf der Landesliste zulässt, zum anderen, weil eine Art Einheitsfront u.U. sogar mit Gyurcsánys “Demokratischer Koalition” (DK) bzw. Personen von dort, nicht nur andere Bündnispartner, einschließlich "Gemeinsam 2014", sondern vor allem die dringend benötigten Nichtwähler und Wähler der "Mitte" verschrecken müsste. Mesterházys erträumte Allianz könnte so also zum Verlustgeschäft für die Opposition, zu einer politischen "Bad Bank" werden, in der sich die historischen Verlierer treffen.

Das Problem LMP

Das Gesprächsangebot ist daher als Reaktion auf die offensive Partnersuche der außerparlamentarischen Oppositionsplattform "Gemeinsam 2014" um Ex-Premier Gordon Bajnai zu verstehen, die nach Umfragen bereits die MSZP in der Wählergunst hinter sich gelassen haben könnte. Diese bekam von der LMP und der 4K! zunächst einen Korb, was aber noch nicht das letzte Wort gewesen sein dürfte, die LMP ist bei der Frage von Kooperationen so tief gespalten, dass vor den Wahlen sogar ein Auseinanderfliegen der "Grünen" nicht auszuschließen ist.

Während der wegen dieses Streits zurückgetretene LMP-Fraktionschef Javor kein Problem darin sieht, mit Ex-Premier Bajnai eine verfassungsmäßige Ordnung im Lande wieder herzustellen, verkündete gestern der alt-neue Fraktionschef Schiffer, dass Bajnai lediglich eine Wachsfigur aus dem Panoptikum der Vorgänger sei (hier mehr zu dessen Person und Werdegang), eine Wortwahl, die eigentlich eher von Fidesz-Parteisprechern bekannt ist. Schiffer sagte auch, dass er "sogar mit dem Teufel eine Koalition eingehen" würde, um die Politik des Landes in eine andere Richtung zu bewegen, womit er sowohl die Linke wie auch die extreme Rechte meinte. Eine Haltung, die für viele in seinen Reihen nicht akzeptabel ist. Es ist denkbar, dass diese Flügelkämpfe die Partei im Wahlkampf regelrecht zerbersten lassen könnte und prominente Mitglieder doch noch auf den Bajnai-Zug aufspringen.

Mit den Nichtwählern gewinnt man die Wahl

Bajnai gab mindestens 2,5 Millionen Wählerstimmen aus, die es braucht, um Fidesz-KDNP 2014 ablösen zu können, was keine Oppositionspartei bzw. -bewegung alleine schaffen kann. Sein größtes Potential liegt dabei bei den Nichtwählern, die heute knapp, manchmal gut die Hälfte aller Wahlberechtigten ausmachen. Die meisten davon würden Fidesz aus naheliegenden Gründen nicht mehr wählen, keinesfalls aber "Sozialisten" (wieder) ihre Stimme geben wollen, die LMP ist den meisten jedoch zu versponnen und intellektuell zu abgehoben, um sie wirklich anzusprechen.

MSZP steht sich seit 2010 selbst im Weg - DK als Wahlhelfer Orbáns

Wahlstrategisch ist der jetzige Schachzug der MSZP daher eher ungeschickt und entspringt offensichtlich der Panik vor Bedeutungsverlust, den man sich jedoch wegen fehlender, seriöser Alternativangebote und mangelnder personeller Erneuerung selbst eingebrockt hat, den eigentlich als Interimslösung gedachten, farblosen Parteivorsitzenden eingeschlossen. Schlauer wäre es, "Gemeinsam 2014" eifersuchtsbefreit nach Bündnissen im liberalen, freien Linken und gemäßigt bürgerlichen Lager suchen zu lassen und selbst lieber die - sozusagen - "herkömmlichen" linken Wähler zu binden, einschließlich jener von der MSZP-Abspaltung DK, bei denen einige doch noch darauf kommen könnten, die Aussichtslosigkeit und Schädlichkeit von Gyurcánys manischem Comebackversuch zu erkennen und zu sehen, dass Gyurcsány eigentlich einer der besten Wahlhelfer für Orbán ist.

Doch so lange die alten, sturen und besserwisserischen Partei-Granden die Linie in der Partei vorgeben, ist nichts substantiell Neues oder Verbessertes von dieser Partei zu erwarten, die sich ihrer Verantwortung für das Versagen der Vorgängerregierungen und damit auch ihrem Beitrag am Aufstieg des Fidesz bis heute nicht ehrlich stellen kann oder mag. Es ist auch bezeichnend, dass die Verkündigung der "Allianz"-Suche aus einer Sitzung des Parteipräsidiums hervorgegangen ist und nicht aus einem Parteitag oder gar einer Mitgliederbefragung...

Jobbik wird aus Rücksicht auf den Wähler marginalisiert

Auch eine andere Option lassen die "Sozialisten" aus. In ihrer Fixierung auf den "Feind" Fidesz-KDNP wird die neofaschistische Jobbik (derzeit bei 16-18%, Potential bis ca. 25%) ausgeblendet und rechts liegen gelassen. Ein Papier zur Wahlstrategie der Partei weist Jobbik sogar ausdrücklich als relativ bedeutungslos aus und deklariert "Fidesz" zum alleinigen politischen Gegner im Wahlkampf. Eine zugespitzte Losung wie "wer Fidesz wählt, wählt auch Jobbik", die sich angesichts des Kallküls um die Wäherlschaft, der daraus resultierenden Vernaderung bei vielen Themenfeldern und Inhalten, in den Kommunen auch persönlich, geradezu anböte, wird es von der MSZP nicht geben, denn sie bliebe weitgehend wirkungslos.

Nicht wenige einstige MSZP-Wähler, vor allem auf dem armen Lande, wechselten in ihrem Frust auf Gyurcsány und Co. und in ihrer Orientierungslosigkeit nämlich einst zu Jobbik, das von vielen nicht als Problem, sondern als Lösung angesehen wird. Knallt man denen ihre damalige "Misswahl" nun an den Kopf, könnte man sie noch mehr verärgern, so der Gedankengang, daher lieber: "Schwamm drüber". Durch diese Marginalisierung verstärkt die MSZP die Tendenz, die in immer breiteren Bevölkerungsschichten erkennbar wird. Dort verbreitet die "Jobbik" längst nicht den Schrecken, den sie verbreiten wird, wenn sie einmal - und wie sie glaubt, sehr bald - die Macht inne hat und wovon man gerade wieder einen verbalen Vorgeschmack bekam.

red. / m.s.

 

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