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(c) Pester Lloyd / 51/52 - 2012   POLITIK 20.12.2012

 

Winterrosenrevolution

Hartnäckige Proteste der Studenten in Ungarn - erstmals Verhaftungen

Am Mittwoch kam es zu einer erneuten Großdemonstration von Schülern und Studenten in Budapest. Die "Winterrosenrevolution" entwickelt dabei Ambitionen, die über den Protest an der Hochschulpolitik hinausgehen. Der zynische Umgang der Regierenden mit den Belangen der Bürger insgesamt, bringt die jungen Menschen immer mehr in Rage, die sich kaum über Weihnachten legen wird.- Erstmals gab es auch ein paar Verhaftungen.

Budapest Donnerstagnachmittag. Wem gehört unsere Zukunft?
Bildergalerie am Ende des Textes

Nachdem tagsüber bereits an etlichen Gymnasien und einigen Hochschulen und Universitäten im ganzen Land Streikaktionen stattfanden, der HÖOK-Chef einen Sitzstreik vor dem Parlament abhielt, versammelten sich am Nachmittag wieder Tausende Studierende, aber auch Lehrkräfte an der Akademie der Wissenschaften an der Kettenbrücke. Die Proteste dauern nun bereits seit zwei Wochen an.

Forderungen unverändert - Regierungsvorschläge nur ein Bluff?

Die Hauptforderungen des sich auf dem Széchenyi (früher Roosevelt) Platz formierenden zwanglosen Forums, das sich mit "Winterrosen-Bewegung" bezeichnet (als Gegenpol zu "Rózsa" Hoffmann, Bildungsstaatssekretärin und weil Winter ist) sind die gleichen geblieben: ein sozial offenes, überwiegend staatlich finanziertes Hochschulsystem, Mitsprache bei Reformen, Hochschulautonomie, Rücknahme von Studienverträgen (Bleibezwang) und Rücknahme der Streichung der Zuschüsse für die Jus- und Wirtschaftsstudiengänge sowie die Humanwissenschaften und Künste.

Die vermeintlichen Zugeständnisse der Regierung lehnen die Studierenden als Falle und Versuch ab, die Bewegung zu spalten. Sowohl Gymnasiasten- wie Studierendenvertreter waren sich einig darin, dass die schwammigen Verlautbarungen von Minister Balog und Regierungssprecher Giro-Sász über so und so viele garantierte Studienplätze keine Kursänderung, sondern widersprüchlich und unverläßlich sind und eigentlich nur dazu dienten, die Proteste zu beenden und die Bewegung zu spalten. Diese Regierung hat mittlerweile genug dafür getan, dass man ihr kein einziges Wort mehr glauben darf, so die einhellige Meinung.

Wie in unserer fortlaufenden Berichterstattung bechrieben, hat die Regierung angekündigt, auf die zunächst vorgesehene Beschränkung staatlich vollfinanzierter Studienplätze auf knapp über 10.000 zu verzichten und bis zu 55.000 staatlich finanzierte Plätze anzubieten wenn: die Bewerber einen Abschluss schaffen, danach das Doppelte der Studienzeit in Ungarn arbeiten, nicht Jura oder Wirtschaft studieren wollen und die Aufnahmekriterien erfüllen. Bis auf den ersten, lehnen die Studierendenvertreter alle anderen Punkte ab, bei letzterem liegen noch nicht einmal die Kriterien vor, sie sollen über Weihnachten ausgearbeitet werden. Die Betroffenen fürchten genau hier, bei den Aufnahmekriterien, den Hebel, der am Ende zu dem gleichen Ergebnis führen wird, wie zuvor von der Regierung gewünscht.

Es geht längst nicht mehr “nur” um die Hochschulpolitik

Doch die Protestbewegung richtet sich, wie man an Spruchbändern und Reden wahrnehmen konnte, längst nicht mehr nur gegen die Hochschulpolitik, sondern vor allem auch gegen den Umgang der Regierung mit ihren Bürgern und ihren Pflichten (Bildung!). Dass auf einem Transparent "Demokratie!" gefordert wurde, spricht Bände, wie die Politik der Orbán-Regierung bei den künftigen Eliten ankommt.

Die zynische Abwertung, die den Studierenden von offizieller Seite entgegengebracht wird, die lächerliche Show, mit der Premier Orbán zunächst einen Dialog vortäuschte, bis nicht mehr zu leugnen war, dass dieser nur mit Fidesz-Parteijugend stattfand sowie die lehrmeisterhaften Ansagen des zuständigen Minister, bringen die Protestierer in Rage. Für Aufsehen sorgte auch die Gesinnungsschnüffelei an einem Gymnasium, sowie Versuche disziplinarischer Unterdrückung von Protesten an mehreren anderen.

 

Redner und Menge forderten wiederholt den überfälligen Rücktritt von Bildungsstaatssekretärin Rózsa Hoffmann. Ein Schülersprecher beschwerte sich darüber, dass die Regierung mittlerweile eine "ganze Generation diffamiert", in dem man immer wieder unterstellt, die jungen Leute würden im Auftrag von Oppositionsparteien agieren. Zwar nehmen auch einzelne Vertreter von MSZP, DK, LMP an den öffentlichen Veranstaltungen teil, es wird aber genauestens darauf geachtet, dass sich nicht parteipolitisch artikulieren. So tauchten mehrere Parteivertreter (Abgeordnete von DK, MSZP und sogar Jobbik) auf, um mit der Polizei über Straßensperrungen und Räumung zu verhandeln, wurden aber von den Lautsprechern der Organisatoren dazu aufgefordert, sich nicht zu produzieren. "Wir sind unabhängig!"-Rufe vertrieben sie dann.

Polizei wird nervöser - Stimmung gespannter - erste Verhaftungen

Nach dem Ende des Forums auf dem Széchenyi Platz vor der Akademie der Wissenschaften kam es zu spontanen Demos quer durch die Innenstadt, entlang des Donauufers, am Ring, auf der Andrássy út. Kettenbrücke und Margaretenbrücke wurden besetzt. Die bis dahin zurückhaltend agierende Polizei, die wiederum mit beidseitigen Kordons den Demozug begleitete, was bei Schülerprotesten mehr als unnötig erscheint, zumal keinerlei radikale Gruppen auszumachen waren, wurde daraufhin massiv verstärkt, sperrte mehrere Straßen und räumte - aus verkehrstechnischen Gründen - die Brücke, wobei sie auf passiven Widerstand traf.

In der Folge wurden mindestens drei Protestierer verhaftet, einer davon minderjährig und bis spät in die Nacht auf einem Polizeirevier festgehalten und befragt. Ansonsten blieb die Lage friedlich, allerdings war die Spannug fühlbar höher als an den Tagen zuvor. Wie zu hören, haben die Verhafteten mit einem Verfahren wegen Widerstands und Landfriedensbruchs zu rechnen, die Organisatoren dürfen sich auf eine Buße wegen "Nichteinhaltung der angemeldeten Demonstrationsroute" freuen. Es geschah, das sei hier festgehalten, nichts, was nicht in jeder Demokratie zwischen Demonstranten und Polizei erwartbar wäre, doch die Proteste an den Tagen zuvor kamen ohne direkten Polizeikontakt aus.

Thema wird sich nicht von selbst erledigen: zu Weihnachten Großeltern aufwiegeln

Fazit: die Studierenden sind sich einig in der Sache und einig in der Wut und bestehen weiter darauf, die Dinge nicht auf sich beruhen zu lassen. Ihre Forderungen sind klar formuliert und nachvollziehbar. Deutlich wurde die Einigkeit zwischen Lehrenden und Studierenden und der Wille, sich Entscheidungen über sein Schicksal und die Zukunft einer ganzen Generation nicht von der Regierung aus der Hand nehmen zu lassen. Bildung darf nicht zum politischen Spielball werden.

Sicherlich wird über die Weihnachtstage etwas Ruhe einkehren, doch die Regierung braucht nicht darauf hoffen, dass sich das Thema von selbst erledigt, wie es bisher doch immer gelang, wie einschneidend die Entscheidungen der Orbán-Regierung auch waren. Viel eher könnten die Studierenden die Feiertage nutzen, um ihre Eltern und Großeltern aufzuwiegeln und ihnen die Tragweite der Regierungsentscheidungen der letzten zwei Jahre näher zu bringen... Für eine Aufgabe sind die diesmal Herausgeforderten zu jung, zu intelligent und zu wach und dafür waren die Aktionen der Regierung zu verlogen und falsch.

red. / cs.sz. / ms..

Fortlaufende Berichterstattung über die Studentenproteste in Ungarn

Zwischen Kampf und Flucht - Die Jungen in Ungarn ringen um ihre Zukunft
Fakten, Analyse und Kommentar zur Hochschulreform

Fotos vom Donnerstag (MTI)

Mehrere Tausend Studenten am Donnerstag vor der Akademie der Wissenschaften, im Hintergrund: Kettenbrücke und Schloss.

Studierende, Schüler und Lehrer sprachen. In ihren Grundforderungen waren sie sich einig.

Fast zeitgleich in der östlichsten Stadt Ungarns, Níyregyháza...

... und in Szeged. Die Proteste waren von Anfang an landesweit, in rund zwei Dutzend Städten kam es zu Protesaktionen, sogar an einem ungarischsprachigen Gymnasien in Rumänien

 

Weil Studenten Reden nicht genügen, kam es anschließend zu “Spontandemos” mit Sit-ins in der Innenstadt

Brücken wurden blockiert, gerade in Budapest ein sehr effizientes Mittel, Aufmerksamkeit zu erregen.

Die Polizei sperrt Straßen, um ein marodieren der Studenten zu verhindern. Ein Organisator ruft zur Friedlichkeit auf und vertreibt sich wichtig machende Oppositionsparteienvertreter.

Man zieht weiter durch die Straßen...

...bis der Polizei die dauernden “unangemeldeten Routen” und die Blockade der Brücken zu bunt werden. Es gibt erstmals Verhaftungen von “Rädelsführern”.

Die Rose im Winter, alles ist im Fluß...

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