Hauptmenü

 

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt
Stellenangebote aus Ungarn, Deutschland, Schweiz, Tschechien, Österreich und Slowakei. Annoncen ab 35.- EUR/Monat.

 

 

(c) Pester Lloyd / 02 - 2013   WIRTSCHAFT 11.01.2013

 

Der Brotpreis - ein Politikum

Händler und Bäcker in Ungarn feilschen um Preiserhöhungen - der Kunde schaut zu

Derzeit spielt sich zwischen den Bäckern und dem Handel ein Nervenkrieg um den Brotpreis ab. Massive Preiserhöhungen stehen im Raum, beide Seiten bezichtigen sich der einseitigen Vorteilsnahme. Bezahlen wird das Ganze, wie immer der Kunde, für die Ärmsten tut das am meisten weh. Der Staat könnte die Rekordmehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel massiv senken, tut es aber nicht. Warum?

Ein Euro für so ein Riesenbrot? Bei 350 EUR Durchschnittsverdienst relativiert sich das und auch, wenn man weiß, dass so ein Laib Weißbrot, so luftig wattig er frisch schmecken wird, schon nach einem Tag alt und pappig wird.

Ein ungarisches Weißbrot kostet im Schnitt 300 Forint, also ca. 1,02 EUR. Darin finden sich ca. 100 Forint für Mehl und andere Backzutaten, der Rest sind Energie-, Transport und Personalkosten, Handelsspanne und Mehrwertsteuer (für Milch- und Getreideprodukte, z.B. Mehl 18%, sonst für alle anderen Lebensmittel 27%). Noch im Januar hat die Ungarische Bäckereivereinigung, der größte Branchenverband, eine "mindestens 20%ige Erhöhung der Brotpreise" angekündigt, meldet das Wirtschaftsmagazin HVG. Andernfalls stünden die Bäcker vor dem Bankrott.

Alles wird teurer...

"Es geht auf keinen Fall um Extraprofite für die Backindustrie", sagt József Septe, Vorsitzender der Bäckereivereinigung, ´"die Preiserhöhung sollte bereits seit Herbst durchgesetzt werden, nachdem die Mehlpreise um 18-20 Forint pro Kilogramm gestiegen sind, so dass ein Kilo den Bäcker mittlerweile 100 Forint kostet." (in einem 1kg-Brot stecken etwa 750g Mehl). Gibt man diese Kosten nicht weiter, würden sich die Verluste stetig steigern, was wiederum "die Existenz der Arbeitnehmer unmittelbar gefährdet." Seine Branche "gibt mehr als 25.000 Menschen Arbeit". Für Septe ist nicht nur der Mehlpreis ein Problem geworden, "hinzu kommen noch der Mindestlohn, branchenspezifischer Mindestlohn, Beiträge und Abgaben und zu guter Letzt die auf 27% gestiegene Mehrwertsteuer. Auch die gestiegenen Treibstoff- und Energiepreise müssen geschultert werden."

Die Weizenschaukel: Exportieren, zum Geld verdienen,
importieren, zum Preis drücken...

Ungarischer Weizen und das daraus gewonnene Mehl haben sich in den letzten Jahren immer wieder sprunghaft verteuert, wie überhaupt die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise vor allem in diesem Jahr wegen Missernten und Dürre in der Landwirtschaft enorm zunahmen. Doch der Weizen aus Ungarn wird sogar in verschiedene europäische Länder exportiert, weil er dort mehr einbringt als auf dem heimischen Markt. Dabei orientiert man sich auch an den Weizenbörsen, den Ernteergebnissen in maßgeblichen Richtmärkten wie Ukraine oder Russland und jeder Erzeuger, vor allem aber die spezialisierten Trader, versuchen das beste für sich herauszuholen, koste es am Ende, was es wolle. Denn der Export von ungarischem Weizen verteuert die geschrumpften Bestände zu Hause automatisch, sobald die Exportmengen an die Eigenbedarfsmengen kratzen. Es kam in der Vergangenheit sogar vor, dass Bäcker Mehl importierten, um die hiesigen Weizenpreise zu senken.

Für die Händler ist der Vorstoß der Bäcker eine "Freichheit"

„Die Händler entscheiden, wie viel sie bereit sind für ein Kilogramm Brot auszugeben, meint der Pressesprecher der Supermarktkette CBA”, Fodor Attila. "Bisher hat sich keiner der Bäcker bezüglich einer Preiserhöhung an mich gewandt." Er betonte im Falle von Verhandlungen jedoch nur nachvollziehbare Mehrkosten akzeptieren zu können.

Der Genersekretár des Handelsverbandes OSZK, György Vámos, empfindet die Forderung der Backereivereinigung von 20-25% Preiserhöhung als maßlos. Er bezweifelt auch, dass diese durchsetzbar sein wird, denn eine derart drastische preisliche Veränderung wird der Kunde nicht hinnehmen, ein selbstzerstörerischer Poker der Händler würde einsetzen, wer wann wieviel Preiserhöhung weitergibt, um die Kunden nicht zu verlieren, aber gleichzeitig nicht draufzuzahlen. Vámos empfindet die Preiserhöhung zum Ende dieses Montas als eine "Frechheit", denn "das jetztige Brot wird noch aus dem Weizen des Vorjahres gebacken", die neuen Einkaufspreise hätte damit gar nichts zu tun. Es stimmt zwar, dass die anderen Kosten auch steigen (Teuerung 2012 insgesamt knapp 6%), aber 25% Steigerung rechtfertigten sie nicht. Vámos erkennt hier ein "Machtspielchen" seitens der Bäckereivereinigung.

Warum senkt der Staat nicht die Mehrwertsteuer?

So oder so. Das Brot wird teuer, was einen Mindestlöhner oder -rentner natürlich trifft, wie immer. Daher bleibt die Frage, ob man nicht endlich die Mehrwertsteuersätze, wie in fast allen anderen EU-Ländern für Grundnahrungsmittel auf z.B. 5 oder 7% senken könnte? Der OSZK-Chef meint sogleich entlarvend, das nutzt den Händlern wenig, und brächte "nur" dem Kunden etwas. Ein Hinweis darauf, dass der Staat genau kontrollieren müsste, dass eine solche Absenkung auch beim Kunden ankommt.

Aber sie wird ohnehin nicht so schnell kommen. Diese Sozialmaßnahme würde den Staatshaushalt rund 50 Milliarden Forint im Jahr kosten, umgerechnet 170 Mio. EUR bzw. ein Zehntel dessen, was er Besserverdienern mit der Flat tax an Steuern schenkt, jedes Jahr. Ganz nebenbei würde eine niedrige Mehrwertsteuer endlich die betrügerischen Karussel-Fahrten (Stichwort: Wurstkarussell) beenden, die ebenfalls ein Riesenloch in die Staatskasse fressen. Die Idee zu der Steuersenkung existiert seit 2010, seit Juli 2012 gibt es einen "Expertenrat" dazu.

 

Wenn man bedenkt, wie schnell und umstandslos die Orbán-Regierung sonst Gesetze und Dekrete erlässt und umsetzt, kann man in diesem Vorgehen nichts anderes als eine Totalverweigerung erkennen. Für die wird es Gründe geben, die über die Empathielosigkeit für die ärmeren Bevölkerungsschichten hinausreichen, die wir bei vielen anderen politischen Entscheidung der Orbán-Regierung registrieren müssen (Beispiele: Flat tax, Kommunale Beschäftigungsprogramme, Forex-Ablösemodell, Medikamentenzuschüsse, Hochschulreform etc. etc.)

Der Brotpreis ist ein sehr symbolischer Preis. Steigt er, sehen die Leute, dass es nicht gut läuft in der Wirtschaft und etwsa faul ist im Staate. Sie werden unruhig. Der Brotpreis und seine Entwicklung ist also immer auch eine politische Angelegenheit von äußerster Sensibilität und die Genossen der Kádár-Zeit wussten schon, warum sie ihn staatlich festlegten und kontrollierten. 2014 sind Wahlen, bis dahin wird auch der Brotpreis in der Wahlkampfzentrale, also dem Büro des Ministerpräsidenten noch eine Rolle spielen. Orbán kontrolliert ohnehin schon fast alles selbst, warum also nicht auch noch den Brotpreis?

zs.sch. / red.

 

Möchten Sie den Pester Lloyd unterstützen?