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(c) Pester Lloyd / 02 - 2013   POLITIK 11.01.2013

 

Gordon Quichote

Die Hoffnung der Opposition in Ungarn kämpft gegen die Regierung und ringt mit den Verbündeten

Das Ringen um die Führungsrolle in der Opposition geht weiter. Ex-Premier Gordon Bajnai, Kopf der neuen Mitte-Links-Wahlallianz "Gemeinsam 2014", hat die stärkste Oppositionspartei, MSZP, vor Übermut und Rückfall in alte Politikmuster gewarnt und ihnen einige Hausaufgaben aufgegeben. So viele Menschen hätten 2010 nicht aus Jux und Dollerei einen Wechsel gewählt, daher müsse man mehr bieten als nur einen Regierungswechsel. Bajnai lobte Präsident Áder und stellte Orbán einmal mehr ein vernichtendes Zeugnis aus.

Comeback: Gordon Bajnai am 23. Oktober 2012 auf der Oppositionsdemo, wo er seine Rückkehr in die Politik verkündete und sich “Gemeinsam 2014” gründete.

Das Volk will wissen, dass die Opposition aus ihren Fehlern gelernt hat

In seinem Interview mit der Nachrichtenagentur MTI reagierte Bajnai auch auf die voreilige Siegeszuversicht, die MSZP-Chef Mesterházy ein paar Tage zuvor an gleicher Stelle versprühte.  Ein Regierungswechsel 2014 werde auf keinen Fall eine Rückkehr zum "status quo ante" bedeuten, so der Ex-Premier, auch wenn die Ablösung von Viktor Orbán für das Land "notwendig und wünschenswert" ist. Gleichzeitig müssen die "Oppositionskräfte aber sicher stellen, dass die Politik der Orbán-Vorgänger nicht wiederkommt." Anmerkung: Bajnai war ein solcher Vorgänger als Premier einer halb technokratischen, halb "sozialistischen" Minderheitsregierung 2009/2010 und wird von der heutigen Regierung (hier mehr dazu) nur allzu gern in einen Topf mit Ex-Premier Gyurcsány geworfen. - "Die Menschen haben 2010 nicht ohne Grund so zahlreich einen Wechsel gewählt". Nur "frisches Blut" in der Opposition wird die Wähler nicht zufriedenstellen, es müsse auch "Garantien dafür geben, dass die Opposition aus ihren Fehlern gelernt hat."

Lob für Präsident, Bedauern wegen LMP

Grundsätzlich gehe es aber darum, einen möglichst breiten Konsens über die "Wiederherstellung des Rechtsstaates" zu erreichen. Verfassungsrechtliche Angelegenheiten sollten noch vor den Wahlen einem Konsens unter den Oppositionsparteien zugeführt werden, da "danach keine Zeit für einen langgezogenen verfassungsgebenden Prozess" bleibe. Es könne auch nicht angehen, die heutige "radikal rechts gerichtete Verfassung durch eine radikal links gerichtete" zu ersetzen, es muss ein Grundgesetz geschaffen werden, in dem sich alle Bürger in Ungarn wiederfinden, eine Verfassung, die Einheit schafft, statt Spaltung und die Radikale in ihre Schranken weist.

Bajnai bedauerte die ablehende bis zögerliche Haltung der grün-liberalen Partei LMP, die sich offiziell vorerst nicht an der Kooperation beteiligen will, obwohl es von einflussreichen Gruppen in der Partei auch Signale gibt, die für eine Allianz oder zumindest eine Kooperation bei den Kandidaturen sprechen würden. Das letzte Wort sei hier noch nicht gesprochen.

Bajnai lobte ausdrücklich die Rolle von Präsident János Áder, der mit seiner Initiative zur Überprüfung der umstrittenen Wählerregistrierung die "Fähigkeit zu überparteilichem Handeln nachgewiesen" hätte. Bajnai selbst überraschte das Urteil des Verfassungsgerichtes dazu nicht, denn die Verfassungswidrigkeit lag für ihn auf der Hand.

Wiederherstellung des Rechtsstaates und Reparatur der Wirtschaft

 

Mit der Orbán-Regierung ging Bajnai umso härter ins Gericht. Es gab "bisher nur wenige Menschen, die in so kurzer Zeit so viel Schaden am Land angerichtet" hätten, wie diese Regierung. Dank der Orbánschen Wirtschaftspolitik müsse das Land auch 2013 in Rezession verharren und die Arbeitslosigkeit wird weiter wachsen, Bajnai erwähnte, dass er nicht bereit sei, die Kommunalen Beschäftigungsprogramme, in der über 200.000 Menschen unter dem Mindestlohn auf Steuerkosten sinn- und perspektivlos beschäftigt bzw. mehr beaufsichtigt werden, als Arbeit zu bezeichnen.

Rechnet man die "beschlagnahmten privaten Renten" heraus, sind die öffentlichen Schulden in Ungarn nicht substantiell verringert worden, die Investitionstätigkeit befindet sich auf Kellerniveau und junge, gut ausgebildete Fachkräfte sind verdammt das Land zu verlassen, sagte Bajnai und kündigte für 2014, im Falle des Wahlsieges auch Änderungen am zuletzt so heiß umkämpften Hochschulsystem an.

Er selbst und fast 200 Experten seines think tanks "Heimat und Fortschritt" arbeiten derzeit, zusammen mit den Partnern von "Gemeinsam 2014" (Milla und Szolidaritás) an politischen Programmen, die in den nächsten Monaten den Bürgern vorgestellt werden sollen. Ihr Plan ist es nicht, wie es Fidesz 2010 formulierte, alles wieder auf den Kopf zu stellen, doch "die Liste dessen, was zu ändern ist, ist schon sehr lang." - und sie wird täglich länger.

Unbequeme Fragen an die "Sozialisten"

Bei den  "Grundprinzipien" sei man sich auch mit der MSZP meist einig, allerdings wolle man über wirtschaftspolitische und konstitutionelle Fragen hinaus, den Menschen auch konkrete Gesetzesvorlagen zu Themen wie der Reformierung der Parteienfinanzierung, den Kampf gegen Korruption und Amtsmissbrauch durch und mit staatlichen Stellen, die Sicherstellung der Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien und die Öffnung der Stasiakten vorlegen. Das verlange die Berechenbarkeit, so Bajnai, der mit den gewählten Themenfeldern für die MSZP teils unangenehme Fragen auffwirft und ihnen einige Hausaufgaben erteilt hat, bei denen die "Sozialisten" über mehr als nur einen Schatten springen müssen.

Damit erhöht Bajnai natürlich gezielt seine Glaubwürdigkeit bei Wählern der Mitte und bei Nichtwählern, den, so aktivierbar, wohl entscheidenden Wählergruppen 2014. Andererseits stellt sich die Frage, ob die "Erziehung" der MSZP zu einer einsichtigen. volksnahen Partei, sich nicht als eine noch viel schwieriger zu überwindende Windmühle für unseren GorDon quichote heraustellt, als es die Bezwingung des politischen Gegners Fidesz ist und sein wird.

Sowohl ein Regierungsprogramm wie die Wahlkooperation an sich müsse 6-8 Monate vor den Wahlen (also bis ca. Oktober 2013) stehen. Bis dahin wird sich "Gemeinsam 2014" als politische Partei registriert und mit anderen Gruppen ein arbeitsfähiges Netzwerk gebildet haben. Es sei dabei auch noch viel zu früh, über einem gemeinsamen Spitzenkandidaten der (demokratischen) Opposition zu spekulieren (was vor allem von der Kompromissbereitschaft der MSZP abhängt, Anm.) Der neuen Allianz sei heute am besten gedient, wenn man die persönlichen Ambitionen hinter das gemeinsame Ziel eines Regierungswechsels zurückstellen könnte, so der Ex-Premier gegenüber MTI.

red. / ms.

Mehr Programmatisches in: Die anderen `Zwei Drittel` - Nov. 2012
Wie rettet man Ungarn? Fragen an Gordon Bajnai, die neue Hoffnung der Opposition
http://www.pesterlloyd.net/html/1243anderezweidrittel.html

Mehr zu ersten Umfragewerten und rechnerischen Allianzen: Aus dem Stand Platz 2 - Nov. 2012
Neue Oppositionsbewegung in Ungarn mischt Parteienlandschaft auf
http://www.pesterlloyd.net/html/1245gemeinsamaufplatz2.html

Mehr zu den MSZP-Sozialsten: Attilas Traum - Jan. 2013
Wahlen 2014: "Sozialisten" in Ungarn wähnen sich schon auf der Siegerstraße
http://www.pesterlloyd.net/html/1301mszpwahlsieg2014.html

Gemeinsam oder Einsam? Grüne in Ungarn stehen vor Spaltung - Dez. 2012
http://www.pesterlloyd.net/html/1251lmpspaltung.html

Mehr über Bajnais Werdegang und Rolle als Premier in: Comeback des Feuerlöschers? - Okt. 2012
Krisen-Premier Bajnai soll 2014 für Machtwechsel in Ungarn sorgen
http://www.pesterlloyd.net/html/1241bajnaicomeback.html

Mehr zur Kritik Bajnais an Orbáns Wirtschaftspolitik: Gebrochene Wirbel - Jan. 2012
Ex-Premier übt scharfe Kritik an der Orbán-Regierung in Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/2012_02/02bajnai/02bajnai.html

Mehr zu Bajnai als Premier: Schlusswort des Staatsbuchhalters - Feb. 2010
Die letzte Regierungserklärung des ungarischen Ministerpräsidenten Gordon Bajnai wurde emotionaler als gedacht
http://www.pesterlloyd.net/2010_08/08redebajnai/08redebajnai.html

Externe Links:

"Együtt 2014", "Gemeinsam 2014" auf Facebook
http://www.facebook.com/egyutt2014

Webseite von Együtt 2014
http://www.egyutt2014.hu/

 

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