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(c) Pester Lloyd / 03 - 2013   BUDAPEST 14.01.2013

 

Schal und Rauch

Ein Jahr "Rauchverbot" in Ungarn - ein Ortstermin

Vor gut einem Jahr wurde auch in Ungarn ein rigoroses Rauchverbot für öffentliche Räume eingeführt, das vor allem die Gastronomie trifft. Wir sahen uns in Budapest um. Das Resümee nach einem Jahr qualmfreier Zonen in Kneipen und Restaurants für Raucher, Nichtraucher, Kellner und Barbesitzer fällt pragmatisch aus. Die staatliche Einschränkung wird grummelnd hingenommen, manchmal umgangen, aber alle können damit leben.

Die Tageszeitung "Népszabadság verkündete am Donnerstag, dass das Rauchverbot in der Öffentlichkeit einen Umsatzverlust von 15 bis 20 Milliarden Forint (bis 65 Mio. EUR) für die Tabakindustrie verursacht haben soll. Insgesamt schrumpfte der Markt seit den strengen Vorschriften für öffentliche Gaststätten um 5 bis 6 Prozent. Die Gesundheitsbehörde "ANTSZ" stellte im November bei einer landesweiten Befragung in 4000 Betrieben fest, dass bisher nur 0,6 Prozent der Gastronomen gegen das Verbot verstießen.

Schal und Rauch: Noch in der ärgsten Kälte rauchen die Raucher draußen...
Fotos: S.B. (c) Pester Lloyd

In Restaurants, Theatern, am Arbeitsplatz, in öffentlichen Verkehrsmittel, an Haltestellen sowie auf Spielplätzen herrscht absolutes Rauchverbot. Ausnahmen, wie in Österreich, wo ein abgetrennter Nichtraucherbereich vorliegen muss, genügen nicht. Für größere Umbauten haben die meisten Kneipen kein Geld. Vor den Lokalen darf man draußen, in 5 Meter Sicherheitsabstand von der raucherfreien Zone, seinen Glimmstängel anzünden.

Zum Thema: Kippe aus, hoch die Tassen! - April 2011
Das strenge Rauchverbot in Ungarn und dessen flüssige Kehrseite

Durchläuft man das für seine Szenelokale einschlägige jüdische Viertel von Budapest, fällt vor allem eins auf: Überall auf den Straßen tummeln sich selbst bei gefühlt arktischen Graden Raucher an frischer Luft. Die Meinungen hier über das Rauchverbot in öffentlichen Räumen gehen natürlich auseinander...

Das Urteil der draußen bibbernden Qualmer fällt überraschend positiv aus. Das Fazit einer einsamen Raucherin vor ihrem Stammlokal lautet etwa so: "Es ist besser für alle. Erstens stinken meine Klamotten nicht mehr nach Qualm, zweitens rauche ich automatisch weniger". Ein paar Straßen weiter schildern drei alkoholisierte Jugendliche die Situation ähnlich, denn je mehr man getrunken hat, desto größer wird bekanntlich der Zigarettenbedarf. Das Rauchverbot fördert also das Bewusstsein für die Gesundheit und schont gleichzeitig den Geldbeutel.

Verbieten, das kann der Staat immer am besten...

Nur ein junger Herr schließt sein Resümee mit den großen Worten: "Das Gesetz ist Scheiße, die Regierung ist Scheiße und Viktor Orbàn ein Arschloch". Seiner negativen Devise schließen sich zwei weitere Jugendliche an, denen wir gleich zu Beginn unseres Viertelstreifzuges in die Arme laufen. Sie fragen nach einer Zigarette. Für sie ist das neue Gesetz lästig. Der Junge gibt sich gelassen:" Ich schere mich nicht drum und rauche wann und wo ich will. Wenn das jemanden stört, kann er gern was sagen." Seine Freundin schüttelt energisch den Kopf: "Ich habe keine Lust mehr wegzugehen, wenn ich nirgendwo rauchen kann".

Es gibt sie also, die Skeptiker und Wutbürger, denen das Rauchverbot bloß überflüssige Steine in den Weg legt und sie in ihren Freiheiten einschränkt. Zu guter Letzt begegnen wir einem selbst ernannten Musterbürger. Er steht  mit seinen Raucherfreunden vor der Bar und verrät uns Folgendes: "Doch, doch ich habe geraucht, sehr viel sogar. Aber die Regierung verbietet mir zu rauchen, also rauche ich nicht mehr."...

Erwartungsgemäß bestätigt jeder Nichtraucher, dass er bzw. sie die seit dem 1. Januar 2012 geltenden Regelungen begrüßt. Hauptargument bildet der Gestank, welcher nun nicht mehr penetrant in der Luft hängt und sich widerstandsfähig in der Bekleidung festsetzt. Doch auch hier gibt es Ausnahmen. Wie etwa Péter, ein Barkeeper im "The Slang Pub": "Ich rauche nicht, aber ich finde diese Regelung wirklich bescheuert. Was ist denn eine Bar ohne Rauchdunst? Ich finde das gehört dazu. Aber zum Glück gibt es noch genug Menschen, die das anders sehen, hierher kommen und brav rausgehen zum Rauchen".

Warum es keine Ausnahmen gibt, warum man den Menschen nicht die Wahl lassen konnte, den Gastronomen die Entscheidungsfreiheit? Zwar wird von der ungarischen Regierung alles, was aus Brüssel kommt in Frage gestellt, unterliegt dem Verdacht, der Nation Schaden zufügen zu können. Doch das Nichtrauchergesetz in seinem Rigorismus kommt dem Regierungsstil hierzulande wohl sehr entgegen. Grundsätzliches am “Suchtverhalten” ändert man mit solchen Gesetzen nicht, auch nicht mit der “Chipssteuer” und anderen Nebelgranaten, die eigentlich nur mehr Geld bringen sollen - zumal auf der anderen Seite Alkohol steuerfrei legal gebrannt werden darf...

Man arrangiert sich, endet Nischen. Wozu dann der ganze Rigorismus?

Eingangs wurden die massiven Rückschläge der Tabakindustrie illustriert. Dazu haben wir in den Lokalen nachgefragt, welche Bilanz die Wirte nach einem Jahr Rauchverbot ziehen. Zsuzsi, die nette Bardame im "Galéria Pub" zieht eine Grimasse: " Für uns hat das ganz klar Verluste bedeutet, an Kunden und Geld. Wir verkaufen hier noch Zigaretten, aber das ist wohl mehr symbolisch". Die Besitzerin der kleinen "Smile"-Bar , Betti, plaudert gleich aus dem Nähkästchen, sie könne zwar nicht viel zum neuen Gesetz und wirtschaftlichen Veränderungen sagen, da sie erst April vergangenen Jahres geöffnet haben. Sie beteuert aber, dass sie jeden Raucher, der die deutlich sichtbaren Verbotsschilder missachtet, rigoros rausschmeißt.

Unterwegs überraschen einen die unterschiedlichsten Variationen von Rauchmöglichkeiten vor den  überfüllten Bars des jüdischen Kneipenviertels: überdachte mit Sitzgelegenheiten ausgestattete Terrassen, wie beim "Black Sheep" oder Heizpilze direkt vor dem "Galèria Pub". Aber auch  vor dem Eingang platzierte Aschenbecher, wie
beim "Szimpla Kert" sind eine beliebte Lösung, um dem Raucher eine möglichst komfortable Option zum Qualmen zu bieten.
 
Ein besonders kurioses Bild liefert die Szenebar "Szimpla Kert", eine der berühmt berüchtigten Romkocsmàs der Stadt, einstige Wohnhäuser, die notdürftig renoviert und in skurrile Bars umgewandelt wurden. Der Besucher kann hier wie üblich vor dem Lokal rauchen, aber auch im Innenhof, der großzügig mit Wärmepilzen und reichlich Deko ausgestattet ist. Wem das aber alles noch nicht reicht, der kann sich auch für läppische 2500 Forint eine Shisha im Lokalinneren genehmigen. Das Preisschild lockt den Raucher mit dem Schriftzug "with Nicotin & Tobacco". Wie jetzt, Zigarette nein, aber Shisha darfs sein? Leider kann uns die Dame hinterm Tresen dieses Paradox auch nicht erklären und behauptet, dass in den Wasserpfeifen kein Nikotin vorhanden sei...

Die letze Station des Abends offeriert viele neue Ansichten: Attila, der Besitzer des Lokals "Krizmo" erzählt von Kontrollen, die alle anderthalb Jahre mal durchgeführt werden. Stammgast Anna beleuchtet die sozialpsychologischen Veränderung durch das Gesetz:" Dieses draußen rauchen eröffnet neue Kommunikationswege, du gerätst per Zufall mit Leuten ins Gespräch, die du in einem Raucherlokal nie kennen lernen würdest, denn dort sitzt du umringt von deinen Freunden an einem Tisch und qualmst einfach."

 

"Gibt es überhaupt noch Raucherlokale?" fragen wir sie, denn unsere Liste von wohl noch existierenden Raucherlokalen, die die Zeitung "hvg" im April letzten Jahres veröffentlichte, erweist sich als unbrauchbar. Das Gesetz kennt anscheinend kein Pardon, man findet keine verqualmte Kneipe mehr. Aber Anna gibt uns einen Geheimtipp: "Geht ins "Làmpàs", aber erst so gegen drei, vier Uhr. Dann schließt der Besitzer die Tür ab und stellt Aschenbecher auf den Tisch".

Nächstes Mal schauen wir bestimmt vorbei, aber für uns neigt sich eine aufschlussreiche Nacht jäh dem Ende zu. Die ungarische Hauptstadt mag zwar über ein gesundheits- und kommunikationsförderndes Rauchergesetz verfügen, aber über ausgeklügelte, nächtliche Busfahrpläne für Anwohner der Budaer Berge noch nicht.

Zum Thema: Kippe aus, hoch die Tassen! - April 2011
Das strenge Rauchverbot in Ungarn und dessen flüssige Kehrseite

Saskia Bücker, Zsofi Schmidt

 

 

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