Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

Das Archiv
ab 1854

Hauptmenü

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 03 - 2013   WIRTSCHAFT 18.01.2013

 

Er will doch nur spielen...

Das Letzte zur Wirtschafts- und Finanzpolitik in Ungarn

Während Premier Orbán im Radio wieder einmal seine Erfolge feiert, meldet das Statistikamt aktuelle Reallohnverluste. Ein neuer IWF-Deal rückt in weite Ferne, da Ungarn sich am Devisenanleihemarkt umschaut. Minister Matolcsy fabuliert über Win-Win-Situationen, alte Staatsmonopole und "neue Spiele". Die Märkte drohen mit bodenlosem Forint, wenn "Matman" das Ruder bei der Zentralbank tatsächlich übernehmen sollte.

Noch Fragen? Premier Orbán im Studio des staatlichen Rundfunks.

Ministerpräsident Orbán kündigte am Freitag in "seiner" Radiosendung, "180 Minuten" auf Kossuth Rádió (Freitagsgebet) für die Mitte des Jahres einen weiteren "Aktionsplan" für "Lohn- und Gehaltsempfänger" an, ohne konkrete Maßnahmen zu nennen. Vermutet wird jedoch, dass es sich dabei u.a. um die Absenkung der Tarife für kommunale Dienstleistungen, z.B. Wasser- und Abwasser sowie Müllentsorgung handeln könnte, nachdem bereits in diesem Jahr eine 10%ige Preisreduzierung bei Strom und Gas für private Abnehmer angeordnet wurde. Auch eine Ausweitung des Arbeitsplatzschutzprogrammes (Reduzierung der arbeitgeberseitigen Abgaben für bestimmte Gruppen von Angestellten) sei denkbar. Diese Art Aktionspläne kommen seit Amtsantritt in halbjährlichen Abständen über das Land und stifteten bisher mehr Verwirrung als sichtbare Fortschritte, zuletzt riss der Arbeitsplatzschutzplan ein weiteres 300 Mrd.-Forint-Loch ins 2013er Budget, das nur durch zusätzliche Steuern gestopft werden konnte, ohne dass größere Verbesserungen am Arbeitsmarkt abzusehen sind.

Hinsichtlich der Entscheidung über den neuen Zentralbankchef, der ab März zu ernennen ist, sei noch keine Entscheidung getroffen worden, Orbán schloss den als heißesten (und fachlich umstrittensten)
Kandidaten gehandelten Nationalwirtschaftsminister Matolcsy jedoch auch nicht aus. Jedenfalls werde es kein "Off-shore-Ritter" sein, wie der jetzige MNB-Chef Simor, so Orbán. Fast zeitglich prophezeiten Analysten der ungarischen Währung einen freien Fall über die 300 Forint-Marke zum Euro, der grenzenlos werden könnte, wenn Matolcsy samt seiner "unorthodoxen" Überlegungen hinsichtlich Geldmarktpolitik und Zugriff auf die Währungsreserven, aber auch der angedachten zeitlichen und zinslichen Limitierung für die kurzfristigen Einlagen der Geschäftsbanken bei der MNB, tatsächlich die Zentralbank leiten sollte. Auch der jetzige Gouverneur Simor warnte vor "konkretem Schaden für die ungarische Wirtschaft", die Maßnahmen, die andere Notenbanken, wie die Fed oder die EZB anwenden, seien nicht friktionsfrei auf Ungarns Wirtschaftssystem übertragbar, so Simor.

Ansonsten wiederholte Orbán im Radio, dass seine Wirtschaftspolitik ein voller Erfolg geworden sei. Während das Land 2010 noch am Abgrund stand, könne man heute Renten und Mindestlohn erhöhen und die Energiepreise kürzen. Dass das Budget hart auf Kante gebaut sei, mag zwar sein, aber es gäbe eben immer ein paar Leute, die alles als Misserfolg werteten.

Als Orbán diese Lobpreisungen seiner Politik über den Äther schickte, veröffentlichte das KSH die aktuellen Daten zum Einkommen in Ungarn. 2012 brachte den Lohn- und Gehaltsbeziehern ein durchschnittliches Bruttoplus von 5,4%, netto noch ein Plus von 3,2%, abzüglich der Teuerung bzw. Inflation betrug der Reallohnverlust aller Lohnabhängigen 2%, durch die zweistelligen Teuerungsraten bei vielen Lebensmitteln, den erhöhten Mindestlohn und damit die höhere Steuer- und Abgabenbasis sowie angehobene Verbrauchssteuern, sind die Realeinbußen bei dem Millionenheer der Minimallöhner noch weitaus höher. Hier mehr dazu. Weitere “Traumzahlen”

Mittlerweile verdichten sich wieder Gerüchte, dass die ungarische Regierung
einen IWF-Deal aus politischen Erwägungen verhindern wird. Darauf lassen sowohl aktuelle Äußerungen von Chefverhandler Varga als auch der Umstand schließen, dass die Staatsschuldenagentur ÁKK verschiedene internationale Geschäftsbanken gebeten hat, die Möglichkeiten einer Emittierung von Devisenanleihen im Milliardenumfang zu bewerten und dafür Investoren zu werben. Nach Ansicht von Experten ist dies zum jetzigen Zeitpunkt ein unverantwortlicher Schritt, müssten die Anleihezinsen, auch wenn sie relativ milde ausfielen mindestens das 2,5 bis 3fache (nach oben offen) der 2% betragen, die die IWF-Milliarden jährlich an Zinsen kosten würden. Berechnungen zufolge zahlt Ungarn wegen des hingehaltenen IWF-Deals pro Jahr rund 130 Milliarden Forint (ca. 400 Mio. EUR) mehr Zinsen am Anleihemarkt als nötig wären.

 

In seiner aktuellen Kolumne in der regierungsnahen Zeitschrift "Heti Válasz" hat Minister Matolcsy seine Äußerungen zu Inflation und Forint (kann man beides laufen lassen) verteidigt und einige weitere "neue Ideen" beigefügt, deren Formulierungen jedoch immer wirrer werden. Er fabulierte über "Positive Spiele", die man zusammen gewinnen könne, dazu müsste nur jeder arbeiten können, billiges Geld in Form von Krediten verfügbar sein, Gewinne sollten über Steuernachlässe zurück in die Wirtschaft fließen, der Staat alte Monopole zurückgewinnen, die Regierung und die Zentralbank müssten enge Partner werden und das kleiner werdende öffentlich Defizit solle aus "lokalen Quellen" refinanziert werden. Seine Schlussfolgerung: "Die 2/3-Mehrheit der jetzigen Regierung ist bereits eine solche Win-win-Situation, weil sie Problemlösungsmöglichkeiten hat wie keine zuvor...". "Lasst uns ein neues Spiel beginnen, zum Nutzen aller...", so "Matman" in seinem aktuellsten Zeitungsartikel.

red.

 

Möchten Sie den Pester Lloyd unterstützen?