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(c) Pester Lloyd / 03 - 2013   TSCHECHIEN 14.01.2013

 

Der “Fürst” und der “Volkstribun”

Kopf-an-Kopf-Rennen bei Präsidentenwahl in Tschechien

Der erste vom Volk direkt gewählte Staatspräsident der Tschechischen Republik wird entweder Miloš Zeman (SPOZ) oder Karel Schwarzenberg (TOP 09) heißen. Keiner der beiden konnte bei der Wahl am 11. und 12. Januar, bei der neun Kandidaten zur Wahl standen, die absolute Mehrheit auf sich vereinen. Die Entscheidung darüber, wer am 7. März in die Prager Burg einziehen wird, fällt nun bei einer Stichwahl am 24. und 25. Januar. Der Gewinner muss große Erwartungen erfüllen...

Der Kandidat der “Linken”, Ex-Premier Miloš Zeman und der Kandidat der “Rechten”, Karel Schwarzenberg. Der Fürst und der Volkstribun? Bei Lichte, ist weder der Eine das eine, noch der Andere das andere...

Die Wahl zum Staatspräsidenten der Tschechischen Republik am 11. und 12. Januar 2013 war eine historische, zumindest wenn man sich anschaut, wer diese bestimmte. Bisher wurde der Präsident von den beiden legislativen Kammern, dem Abgeordnetenhaus und dem Senat, für fünf Jahre gewählt. Durch eine 2012 erfolgte Verfassungsänderung, sollte der nach Václav Havel und Václav Klaus nun dritte Präsident der Tschechischen Republik vom Volk direkt bestimmt werden. Klaus war nicht zur Wahl zugelassen, da er bereits für zwei Amtszeiten als tschechischer Staatspräsident fungierte und die Verfassung eine dritte untersagt. Um zur Wahl zugelassen zu werden, benötigte man entweder die Unterstützung von mindestens 10 Senatoren bzw. 20 Abgeordneten oder alternativ die Unterschriften von mindestens 50.000 Wahlberechtigten.

Die Präsidentschaftskandidaten: Spektrum vom Adligen bis zum fast Ganzkörpertätowierten

Favoriten waren Umfragen zufolge der parteilose Statistiker Jan Fischer, welcher von April 2009 bis Mai 2010 an der Spitze einer tschechischen Übergangsregierung stand und Ex-Premier Miloš Zeman, der mittlerweile der sozialdemokratischen Kleinpartei SPOZ angehört. Dem Außenminister der Regierungspartei TOP 09 Karel Schwarzenberg, ein Spross einer alten österrichisch-böhmischen Fürstenfamilie, wurden lediglich Außenseiterchancen eingeräumt. Als kleiner Geheimfavorit galt der promovierte Künstler und Komponist Vladimír Franz. Er ist zu 90% tätowiert und gilt als der schillerndste Kandidat, was ihm eine relativ große Medienpräsenz verschaffte. Obwohl er gar nicht daran dachte, sich für das Amt des Präsidenten zu bewerben, wurde er dennoch von seinen Studenten und einigen Intellektuellen zur Kandidatur überredet und konnte dafür beachtliche 88.000 Unterschriften sammeln. Der erst 43-jährige Senator Jiří Dienstbier von der größten sozialdemokratischen Partei ČSSD konnte laut Umfragen ebenfalls mit einem respektablen Ergebnis rechnen.

Weitere Kandidaten waren der stellvertretende Vorsitzende des Senats Přemysl Sobotka von der Regierungspartei ODS, die christdemokratische Europa-Abgeordnete Zuzana Roithová (KDU-ČSL), die Schauspielerin Táňa Fischerová sowie Jana Bobošíková, die von 2004-2009 im Europäische Parlament saß.

Die Suche nach Anständigkeit und Ehrlichkeit sowie des Präsidenten letzter Akt

Das alles beherrschende Thema des Präsidentschaftswahlkampfes war die Bekämpfung der Korruption im Lande. Keine Frage schien die Tschechen brennender zu interessieren, die sich vom neuen Staatsoberhaupt erhoffen, er möge mehr Anständigkeit und Ehrlichkeit in Tschechiens Politik und Gesellschaft bringen können. So sind seit 2010 beispielsweise schon sechs Minister wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten. Alle neun Kandidaten gaben an, sich diesem Thema aktiv widmen zu wollen, obwohl einer noch vor der Wahl ins Fadenkreuz der Justiz geriet. So reichte der Anwalt Milan Hulík Klage beim Prager Stadtgericht gegen Miloš Zeman ein. Dieser fordert eine Offenlegung aller Sponsoren Zemans, da vor seiner Registrierung als Präsidentschaftskandidat 6,7 Mio. Kronen auf dessen Konto flossen – von einem unbekannten Geldgeber. Prager Medien spekulieren auf undurchsichtige Kontakte zu russischen Firmen, vorneweg zum Mineralölkonzern Lukoil.

Das Thema, welches zum Ende des Wahlkampfes allgegenwärtig war, steht ebenfalls in engem Zusammenhang mit der Frage nach Ehrlichkeit, Anständigkeit und Korruptionsbekämpfung. So erließ der noch amtierende Präsident Václav Klaus am Jahrestag des zwanzigjährigen Bestehens der Tschechischen Republik am 1. Januar 2013
Amnestie für rund ein Drittel aller Inhaftierten, welche unter anderem auch Personen einschließt, die, insbesondere in den 1990er Jahren, Korruption in ganz großem Stile betrieben. Alle Kandidaten lehnten die Geste Klaus‘ klar ab.

Das Wahlergebnis: Karel Schwarzenberg überrascht, Enttäuschung für Jan Fischer

Wenig überraschend schaffte es keiner der neun Präsidentschaftskandidaten die absolute Mehrheit zu erringen. Die meisten Stimmen konnte mit 24,21% Miloš Zeman, einer der Favoriten, auf sich vereinen. Zweitplatzierter und damit ebenfalls in der Stichwahl um das Präsidentenamt ist überraschend Außenminister Karel Schwarzenberg, für den 23,4% der Wähler votierten. Der laut Umfragen hoch gehandelte Jan Fischer blieb mit einem Wählerzuspruch von nur 16,35% weit hinter den Erwartungen zurück. Nach der Wahl äußerte er sich sehr enttäuscht und sprach keinem der beiden Kandidaten Unterstützung in der Stichwahl zu. Insbesondere bei den TV-Auftritten hatte Fischer keine gute Figur abgegeben, was ein Grund für sein Wahlergebnis war.

Seit Dezember hatte sich in Umfragen ein Trend abgezeichnet, in dem der Zuspruch für Fischer sank, während der für Schwarzenberg stieg. Allerdings wurden für Schwarzenberg selbst noch kurz vor der Wahl nur elf Prozent der Wählerstimmen prognostiziert. Jiří Dienstbier, der Viertplatzierte, könnte für ihn starke 16,12% der Wähler hinter sich bringen, womit er ein Gewinner der Wahl ist. Gerade in den TV-Duellen konnte er im Gegensatz zu Fischer mit rhetorischen Geschick und guten Argumenten punkten. Der Kolumnist Václav Dolejší hob hervor, dass Dienstbier gerade einmal 43 Jahre alt ist und ein Politiker mit Zukunft sei. Die anderen Kandidaten erzielten allesamt einstellige Ergebnisse. Diese reichten von 6,84% für den fünftplatzierten Vladimír Franz bis zu einem Zuspruch von 2,39% der Stimmen, die Jana Bobošíková auf sich vereinen konnte.

Die Wahlbeteiligung wurde mit 61,31% als hoch bewertet.

Ausblick auf die Stichwahl: Miloš Zeman gegen Karel Schwarzenberg! Oder: Vergangenheit gegen Gegenwart?

Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in Tschechien am 24. und 25. Januar stehen sich also der Vollblutpolitiker Miloš Zeman und der adlige Außenminister Karel Schwarzenberg gegenüber. Politologen bezeichneten die Wahl als Persönlichkeitswahl, bei der Parteipräferenzen sekundär waren. Insbesondere Schwarzenberg gilt als sehr charismatisch und ist v.a. beim jungen Publikum sehr beliebt.

Der Wahlkampf Teil Zwei ist indes bereits eröffnet. So begann Schwarzenberg, indem er verlauten ließ, dass Zeman die Vergangenheit repräsentiere. Damit sind die 1990er Jahre gemeint, die in Tschechien als Blütezeit der Korruption gelten und für die Zeman stehe. Dieser hatte die Basis für die „Hinterzimmer-Politik“ gegen Ende der 90er entscheidend mitgelegt und -gestaltet. Zeman wiederrum nahm dies auf, indem er zustimmte. Ja, er sei ein „Mann der Vergangenheit, aber erfolgreicher“ im Gegensatz zu Schwarzenberg, der  ein „Mann der Gegenwart“ sei, womit Zeman auf die Rolle der aktuellen Regierung, der Schwarzenberg angehört, anspielte. Diese habe laut Zeman den Bürger durch die Steuererhöhung, die Rentenreform und die Kirchenrestitution sehr belastet.

 

Der Ausgang der Stichwahl gilt aktuell als offen. Allerdings haben sich schon erste Parteien und mittlerweile ehemalige Präsidentschaftskandidaten positioniert. So forderten die eher konservativen Parteien und Präsidentschaftskandidaten ihre Wähler dazu auf Karel Schwarzenberg zu unterstützen, während das Lager der eher linken Parteien zur Unterstützung von Miloš Zeman aufrief. Interessant ist die Lage allerdings bei der sozialdemokratischen Oppositionspartei ČSSD. Diese riet ihren Wählern zwar erwartungsgemäß Zeman zu unterstützen, da Schwarzenberg der Kandidat der aktuellen Regierung sei, aber der eigene Präsidentschaftskandidat der ČSSD, Jiří Dienstbier, widersprach dem, indem er u.a. auf dunkle Machenschaften Zemans aufmerksam machte. In welchem Ausmaß dies ein Umschwenken zu Schwarzenbergs Gunsten darstellen wird, ist noch unklar. Ebenfalls noch offen ist, zu welchem Kandidaten die Wähler des drittplatzierten Jan Fischer tendieren werden. Laut Aussage von Politologen gäbe es für die Wähler der beiden letztgenannten Parteien sowohl für die Unterstützung Zemans, als auch für die Schwarzenbergs einige Argumente.

Christopher Schulz

 

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